Sie ist ein heiß diskutiertes Thema in Talkshows und am Küchentisch: die Schere zwischen Arm und Reich. Zuletzt ließ der Ungleichheitsbericht der Hilfsorganisation Oxfam, der Ende Januar im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums in Davos veröffentlicht wurde, aufhorchen: Demnach stiegen die Vermögen der Milliardäre im Jahr 2018 weltweit um zwölf Prozent, während der ärmere Teil der Weltbevölkerung Einbußen von elf Prozent erlitt – und auch in Deutschland vollzieht sich eine ähnliche Entwicklung.

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Die finanzielle Kluft zwischen Arm und Reich werde immer größer, heißt es. Aber inwieweit stimmt das? Und wie lässt sich eine solche Entwicklung erklären? Wir haben einen Experten dazu befragt.

Wo liegt eigentlich der Unterschied zwischen Einkommen und Vermögen?

Dr. Markus Oberndörfer: Die Begriffe "Einkommen" und "Vermögen" sollte man in jedem Fall getrennt voneinander betrachten. Einkommen sind, etwas vereinfacht dargestellt, alle Einnahmequellen in Geldwerten. Dazu zählen beispielsweise das Einkommen aus einer unselbständigen oder aus einer selbständigen Tätigkeit, Renten, Gutschriften aus einer Lebensversicherung, Kindergeld oder auch Zinseinnahmen. Selbst Geldgeschenke von Verwandten oder Freunden sind grundsätzlich zum Einkommen zu zählen.

Die Einkommensverteilung eines Landes zeigt, wie das Einkommen einer Volkswirtschaft auf einzelne Personen oder Gruppen verteilt ist. Über Vermögen dagegen weiß man viel weniger. Die Vermögensverteilung in Deutschland ist bis dato wenig erforscht. Insbesondere im Hinblick auf die geografischen und regionalen Hintergründe von Vermögen weiß man im wissenschaftlichen Diskurs im Grunde sehr wenig. Bei der Untersuchung der Vermögensverteilung treten außerdem verschiedene statistische und methodische Schwierigkeiten auf.

Um welche Schwierigkeiten handelt es sich dabei?

Einige Vermögenskomponenten lassen sich nur sehr schwer ermitteln. Vor allem eine genaue Auflistung des Marktwertes von Sachwerten lässt sich nur erschwert vornehmen, weil sie schwanken oder subjektiv sind.

Experte: "Hohe Vermögen in Steueroasen verlagert"

Die Wertermittlung von geerbten oder gekauften Immobilien, Betriebsvermögen, Kunstwerken oder immateriellen Vermögensgegenständen - wie zum Beispiel Patente oder Lizenzen - oder gar erworbene Rentenanwartschaften sind nicht ohne weiteres einsehbar und darüber hinaus international nur bedingt vergleichbar.

Sehr hohe Vermögen werden zudem zu einem beträchtlichen Anteil in Steueroasen verlagert, die weitgehend verborgen bleiben. Die meisten dieser verborgenen Vermögenswerte gehören den reichsten Privatpersonen der Welt.

Wie kann man denn die Einkommens- bzw. Vermögensverteilung der Bevölkerung messen?

Das häufigste Instrument zur Darstellung der Einkommens- und Vermögensverteilung eines Landes ist der Gini-Koeffizient. Er wird als Zahl zwischen 0 und 1 angegeben.

Liegt der Gini-Koeffizient exakt bei 1, so besitzt quasi eine Person alles und alle anderen nichts. Die Zahl 1 repräsentiert also die absolute Ungleichverteilung, 0 bedeutet dementsprechend eine absolute Gleichverteilung, also sämtliche Personen eines Landes besitzen das gleiche Vermögen.

Info: Der Gini-Koeffizient (oder Gini-Index) ist ein statistisches Maß, das vom Statistiker Corrado Gini entwickelt wurde, um den Grad der Ungleichheit der Einkommensverteilung angeben zu können. Die Berechnung des Gini-Koeffizienten geht aus der sogenannten Lorenz-Kurve hervor. Aus ihr lässt sich ablesen, wie sich das Gesamteinkommen einer Volkswirtschaft auf einen bestimmten Anteil der Bevölkerung verteilt.

Sind Einkommen und Vermögen in Deutschland besonders ungleich verteilt?

Beim Einkommen lag der Gini-Koeffizient in Deutschland im Jahr 2017 bei 0,29 und beim Vermögen bei 0,79.

Damit waren die Einkommen in der Bundesrepublik Deutschland zuletzt ungleicher verteilt als beispielsweise Anfang der 1990er Jahre. Allerdings hat sich der Index seit 2005 nicht mehr signifikant erhöht.

Deutschland zählt gemäß dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) noch immer zu den Nationen, in denen die Ungleichheit tendenziell unterdurchschnittlich ausgeprägt ist.

Die Einkommenskonzentration hat in den vergangenen Jahren zugenommen, immer mehr des Gesamteinkommens geht an immer weniger Spitzenverdiener.

Die Vermögensungleichheit ist in Deutschland allerdings relativ hoch. Dies hängt jedoch auch mit dem hohen Wohlstand und der umfassenden staatlichen Absicherung zusammen.

Wie kommt diese Vermögensungleichheit zustande?

Der Süden der Republik ist tendenziell reicher als der Rest und der Osten ist ärmer als der Westen. Das Ergebnis überrascht nicht. Ursache hierfür ist der hohe Anteil der Süddeutschen an Immobilienvermögen.

Darüber hinaus sind die Häuser und Wohnungen dort mehr wert als andernorts. Der Immobilienbesitz ist übrigens auch der entscheidende Grund, warum die Deutschen im europäischen Vergleich relativ arm erscheinen. Der deutsche Wohnungsmarkt ist traditionell ein Mietermarkt. So leben in Deutschland lediglich circa 52 Prozent in der eigenen Wohnung, in Spanien sind es circa 83 Prozent.

Welche Rolle spielen denn Erbschaften bei der gerechten Verteilung von Vermögen?

Eine entscheidende Rolle. Im Osten erbt man im Schnitt 20.000 Euro, im Westen 120.000 Euro, in Großstädten erbt man etwa ein Drittel mehr als in ländlichen Gefilden. Die Begünstigten sind oft die bereits ohnehin schon Privilegierten.

Das Erbvolumen in Deutschland kann jedoch momentan nur geschätzt werden und hier klaffen die Schätzungen weit auseinander. Demnach werden jährlich zwischen 50 und 400 Milliarden Euro verschenkt oder vererbt. Gerade für die Generation Y oder die Generation Z werden Erbschaften zukünftig so entscheidend wie nie zuvor.

Der Politikwissenschaftler Dr. Markus Oberndörfer hat Wirtschaftswissenschaften in München und Detroit studiert. Derzeit ist er externer Habilitand am Lehrstuhl für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre der Technischen Universität Chemnitz und Dozent beim Bildungszentrum der Bundeswehr in Oberammergau.
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