Fest steht: Uli Hoeneß hatte mit dem Geld auf seinem Schweizer Konto an der Börse spekuliert – die Gewinne in Millionenhöhe aber nicht versteuert. "In den Jahren 2002 bis 2006 habe ich richtig gezockt", sagte er in einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit". "Ich habe teilweise Tag und Nacht gehandelt." Ist der Bayern-Boss süchtig geworden?
Für Experten ist es schwer, aus der Ferne eine Diagnose zu stellen. Jens Reimer ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Direktor des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg. Er hilft bei der Annäherung.
Herr Reimer, gibt es eine Börsensucht?
Jens Reimer: Es gibt eine Spielsucht, wir kennen das von Wettspielen, Automaten- oder Kasinospielen. Spekulieren an der Börse funktioniert ähnlich, es treffen die gleichen Grundmechanismen zu. Beim "Zocken" setzt ein Gefühl der Entspannung oder positiven Anspannung ein. Nach einer Spielpause steigt die negative Anspannung, das Verlangen nach Entspannung nimmt Überhand, die Person spielt erneut. Bei solchen Verhaltenssüchten wirkt keine Substanz auf das Gehirn wie bei Drogen, sondern es ist die Handlung, die die Entspannung oder Euphorie verursacht.
Euphorie – auch
Herr Reimer, wie äußert sich Spielsucht noch?
Wenn das Spielen verweigert wird, entsteht eine gewisse Unruhe und Anspannung. Auch werden die Geldsummen immer größer, um die gespielt wird. Wenn Geld verloren wird, kehrt der Betroffene zum Spielen zurück in der Hoffnung, die Verluste wieder auszugleichen. Man beschäftigt sich schließlich immer mehr mit dieser Tätigkeit, andere wichtige Lebensbereiche werden vernachlässigt. Das gefährdet die Beziehung zu Familie, Freunden und das Berufsleben.
Hoeneß spricht davon, Tag und Nacht mit der Bank telefoniert zu haben. Die Kurse verfolgte er auf einem Börsenpager, den er immer dabei hatte. Manchmal habe er sogar im Fußballstadion darauf "geschielt". Das Verhältnis zum Geld schien er dabei zu verlieren. "Das war für mich virtuelles Geld, wie wenn ich Monopoly spiele", sagte Hoeneß.
Er zockte außerdem gegen den Willen seiner Familie. "Wir haben alle immer wieder mit meinem Vater geredet, dass es so nicht weitergeht", sagte Hoeneß’ Sohn Florian. Doch offenbar hörte er nicht auf sie. Am Ende machte er viele Verluste. Und nun steht er deswegen vor Gericht. Wie es für Hoeneß beruflich weitergeht, ist ungewiss.
Wie kann es sein, dass ein Mann wie Hoeneß, der so erfolgreich war und offenbar beruflich funktioniert, bei seinen privaten Geldangelegenheiten so die Kontrolle verliert?
Ich kann zu Herrn Hoeneß nicht direkt etwas sagen. Im Allgemeinen: Wenn man im beruflichen Leben sehr erfolgreich ist und die Erfahrung gemacht hat, Dinge immer kontrollieren zu können, kann es passieren, dass man denkt, man kann das auf Bereiche ausweiten, die aber eigentlich von Zufällen abhängen. Dann denkt man beim Spielen im Kasino oder an der Börse, dass man die Abläufe unter Kontrolle hat. Normalerweise sind beim Glücksspiel eher junge Männer anfällig für diese Kontrollillusion. Sie machen zum Beispiel beim Sport die Erfahrung, dass sie durch Leistung und Training sehr weit kommen können. Aber ein Fußballspiel funktioniert anderes als ein Glücksspiel. Das kann man nicht beeinflussen.
Hoeneß sagt von sich selbst, er sei nicht krank. Aber: "Ein paar Jahre lang war ich wohl nah dran." Jetzt spiele er viel weniger und habe kein Bedürfnis mehr, jeden zweiten Tag ein Geschäft zu machen. "Inzwischen halte ich mich für kuriert", sagt er.
Herr Reimer, ist Spielsucht heilbar?
Die Symptome sind durch Verhaltenstherapie deutlich besserbar. Da wird zum Beispiel Abstinenz geübt und man lernt, mit den schlechten Gefühlen umzugehen, die entstehen, wenn man nicht spielen kann.
Ist es auch möglich, von alleine loszukommen?
Ja, es gibt diese Fälle. Wir arbeiten gerade an einem Forschungsprojekt zur Selbstheilung bei Spielsüchtigen. Ich denke, dass da auch ein Teil dabei ist, der das Problemverhalten ohne professionelle Hilfe wieder aufgibt.
Ob es nun die Sucht war oder nicht – Uli Hoeneß hat also gute Chancen, nach dem Verbüßen der drohenden Strafe von vorne zu beginnen. Ohne wilde Spekulationsgeschäfte, ohne Steuerhinterziehung.
Jens Reimer (45) ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Seit 2010 leitet er das Zentrum für interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg sowie den Arbeitsbereich Suchtmedizin und abhängiges Verhalten am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Er forscht unter anderem zu Sucht im Alter und berät bei der Erstellung von Konzepten zum Spielerschutz bei Lotterien.
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