Seit fünf Monaten gibt es das Deutschlandticket. Die einen freuen sich darüber, die anderen nutzen es bis heute nicht. Nun fehlt wohl offenbar noch Geld, um die Finanzierung für das nächste Jahr zu gewährleisten. Wie geht es mit dem Ticket jetzt weiter?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Freckmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Dem Deutschlandticket fehlt das Geld. Dies ging kürzlich aus einer Analyse des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hervor. Demnach gibt es für das Jahr 2024 einen Zuschussbedarf von über einer Milliarde Euro, wie tagesschau.de meldete. Damit würde für das gesamte Deutschlandticket eine Summe von 4,09 Milliarden Euro benötigt – und nicht wie bisher erwartet jährlich drei Milliarden Euro.

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Am 28. September tagte dazu nun die Verkehrsministerkonferenz – allerdings ohne Bundesverkehrsminister Wissing. Es bestehe aus seiner Sicht keinerlei Handlungsbedarf bis 2025, so Wissing im Interview mit ntv.de. Die Bundesländer sollten vielmehr die Strukturen ihrer Verkehrsverbünde reformieren und "Konkurrenzprodukte abschaffen", so der Bundesminister.

Die Länder hingegen forderten laut der Deutschen Presse-Agentur auf der Konferenz vom Bund, die Hälfte der Mehrkosten zu übernehmen. Die Länder sehen ohne eine Finanzzusage vom Bund die Fortführung des Tickets ab 2024 sogar "ernsthaft gefährdet", wie es in ihrem Beschluss heißt.

In den kommenden Verhandlungen muss geklärt werden, wer die Finanzlücke schließt

Die Ursache für diese geringeren Einnahmen kämen laut VDV daher, dass viele Menschen von ihren Monatskarten auf das Deutschlandticket umgestiegen seien. Dadurch sparen diese Bahnkunden Geld, das den Verkehrsunternehmen jedoch nun fehle.

Für die Jahre 2024 und 2025 ist vereinbart, dass die Verluste, die den Verkehrsunternehmen durch das Deutschlandticket entstehen, zur Hälfte von Bund und Ländern getragen werden sollen. Die bisher dafür eingeplanten jährlichen drei Milliarden Euro reichen offenbar nicht. Die Frage ist, wer für die Mehrkosten aufkommt.

Streit um Deutschlandticket: Verkehrsminister beraten

Das Deutschlandticket für 49 Euro ist ein Erfolgsmodell. Doch nun streiten sich Bund und Länder über die weitere Finanzierung. Eine Sonderkonferenz soll Bewegung bringen.

Der Verkehrsclub Deutschland fordert derweil, dass der Bund bei der Finanzierungslücke einspringen müsse. Demnach sollten vom Bund unter anderem "umweltschädliche Subventionen im Verkehrsbereich" abgebaut werden. Dadurch, so der Verkehrsclub, könnten seiner Ansicht nach 30 Milliarden Euro eingespart werden.

Sollte der Bund seinen Anteil an der Finanzierung nicht erhöhen, steht zu befürchten, dass die Verkehrsbetriebe am Angebot sparen müssten. Manche von ihnen könnten auch die Zusammenarbeit kündigen und das Ticket nicht mehr akzeptieren, fürchtet der Verkehrsclub. Auch dass das Ticket am Ende teurer werde, könnte den Menschen im nächsten Jahr blühen.

Acht Prozent der Ticketkunden haben vorher nicht Bus und Bahn genutzt

Bei den Diskussionen von Politik und Verkehrsbranche über die kommende Finanzierung spielt eine maßgebliche Rolle, wie sich das Deutschlandticket bisher entwickelt hat. Doch wie sieht die Bilanz eigentlich bisher aus? Im August wurden nach Angaben des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen circa zehn Millionen Deutschlandtickets genutzt.

Dabei sind lediglich acht Prozent dieser Tickets von Menschen gekauft worden, die vorher nicht mit Bus und Bahn gefahren sind. 42 Prozent der Ticketkunden hatten bereits vorher ein Abo im Öffentlichen Nahverkehr und 47 Prozent von ihnen sind bereits unregelmäßig Bus und Bahn gefahren.

Die Beliebtheit des Deutschlandtickets hängt zudem sehr stark davon ab, wo die Menschen wohnen. So besitzen zwischen 20 und 30 Prozent der Menschen in den Städten ein Deutschlandticket. Im ländlichen Raum sind es gerade einmal sechs Prozent, wie die Zahlen des VDV ergeben haben.

Auch bei den bisherigen Kündigungen gibt es je nach Kundengruppe erhebliche Unterschiede, wie die "taz" berichtete. So haben bereits mehr als zehn Prozent der Kunden das Deutschlandticket schon einmal, wenn auch nur vorübergehend, gekündigt. Bei Kunden, die vorher bereits andere Ticket-Abos hatten, ist die Zahl um sieben Prozent zurückgegangen. Bei Menschen, die vorher Einzelfahrscheine hatten, um 17 Prozent. Den größten Rückgang gab es bei Menschen, die vorher nicht mit Bus und Bahn gefahren sind. Hier ging die Kundenzahl um 19 Prozent zurück.

Eine wesentliche Rolle spielte bei der Einführung des Tickets auch die Ersparnis von CO2 beim Umstieg von Auto auf Bus und Bahn. Nach aktuellen Zahlen der Marktforschung, erklärt der Berliner Verkehrsexperte Christian Böttger, ersetze aktuell jede 20. Fahrt mit dem Deutschlandticket in Bus und Bahn eine Autofahrt. Das jedoch, so Böttger, entspreche bestenfalls einem Umfang von drei bis vier Milliarden Personenkilometern.

Der Öffentliche Personennahverkehr insgesamt komme jedoch auf 100 Milliarden Personenkilometer, erklärt Böttger. Diese eingesparten vier Milliarden Personenkilometer entsprechen 0,4 Millionen Tonnen eingespartem CO2. Damit, so der Berliner Verkehrsexperte, sei jede Tonne CO2-Reduktion dann mit 10.000 Euro erkauft worden.

Experten: Deutschlandticket müsste sozial gerechter sein

Mit Blick auf die weiteren Diskussionen zwischen Politik und Verkehrswirtschaft fordert der Verkehrsclub Deutschland einen breiteren Fokus bei dem Thema Deutschlandticket. Denn das Ticket für 49 Euro sei nach Ansicht des Verbandes ohnehin zu teuer für viele Menschen. Daher fordern Verbandsvertreter "ein bundesweites Jugend- und Sozialticket" für maximal 29 Euro. Auch sei im ländlichen Raum weiterhin ein erheblicher Bedarf an Streckenausbau gegeben.

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Auch der Verkehrsexperte Christian Böttger sieht das bisherige Konzept des Deutschlandtickets kritisch. Bei dem Ticket profitiere vor allem die Mittelschicht im Speckgürtel der Städte und das Fernpendeln werde so noch gefördert, sagt Böttger. Da die Verkehrsunternehmen durch das Ticket mehr Geld aus öffentlicher Hand und weniger vom Markt bekämen, liege deren Schwerpunkt nun stärker auf der Lobbyarbeit gegenüber der Politik als auf der verbesserten Fahrgastgewinnung. Es sei nun nicht mehr möglich, so Böttger, den Preis im Öffentlichen Nahverkehr über die Nachfrage zu steuern – "dieses Instrument hat man sich aus der Hand geschlagen."

Ob allerdings diese von den Experten gemachten Reformvorschläge beim nächsten Bund-Länder-Treffen eine Rolle spielen, bleibt abzuwarten. Zunächst einmal werden auf der kommenden Verkehrsministerkonferenz im Oktober wohl die Diskussionen um die Finanzierung fortgesetzt werden.

Zur Person:

  • Prof. Dr. Christian Böttger, Professor für Industrial Marketing, Verkehrswesen und Eisenbahn an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und Sprecher des Verkehrsclubs Deutschlands.

Verwendete Quellen:

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