Mutmaßlich steuerte Co-Pilot Andreas Lubitz den Germanwings-Flug 4U9525 absichtlich gegen eine Bergwand. Über seine Motive kann bis jetzt nur spekuliert werden. Ermittler haben Hinweise auf eine psychische Erkrankung gefunden. Depression? Suizid? Nach Ansicht von Stefan Röpke, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité, ist beides wenig wahrscheinlich.

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Herr Röpke, geben die bisher bekannten Informationen Ihrer Ansicht nach Hinweise auf den psychischen Zustand des Co-Piloten?

Ein gesunder Mensch mit einer gesunden Psyche macht so etwas nicht; dass er das Flugzeug selbstständig zum Absturz gesteuert hat. Wenn es wirklich so abgelaufen ist, wie aktuell beschrieben, muss es einen problematischen psychischen Hintergrund geben.

Kann es sich dabei um eine Depression handeln?

Eine Depression allein ist nicht erklärend für das Verhalten. Depression ist eine sehr häufige Erkrankung. 10 bis 15 Prozent aller Menschen kriegen im Laufe ihres Lebens eine depressive Episode. Das ist einer der Hauptgründe für durchgeführte Suizide. Diese Aktion des Co-Piloten ist extrem selten. Wenn man bedenkt, wie viele Piloten und Co-Piloten rein statistisch gesehen depressive Symptome haben müssen, dann passt das nicht ins Bild. Eine Depression allein kann das nicht erklären.

Es wird über einen sogenannten Mitnahme-Suizid oder erweiterten Suizid spekuliert. Macht das aus Ihrer Sicht Sinn?

Nein. Den Begriff des erweiterten Suizids finde ich hier wenig passend. Das würde ich eher als Mord mit Inkaufnahme des eigenen Todes bezeichnen. Von erweitertem Suizid sprechen wir, wenn eine Mutter ihr Kind mit in den Tod nimmt, weil sie denkt, es hätte ohne sie keine Zukunft mehr. Oder jemand nimmt seinen Partner oder seine Partnerin mit in den Tod, weil er nicht möchte, dass der Partner oder die Partnerin noch ein gutes Leben führt. Das kann eine Art Rache sein. Das mit völlig unbekannten Menschen zu tun, die mit im Flugzeug sitzen, ist unwahrscheinlich. Aus meiner Sicht spricht vieles dafür, dass ihm sehr bewusst war, was da passiert.

Eine Kurzschlussreaktion lässt sich ausschließen?

Vielleicht hat er die Idee schon länger mit sich herumgetragen und dann die Gelegenheit genutzt. Auf alle Fälle muss er die Situation im Kopf durchgegangen sein. Die Handlungen sind zu komplex, um aus dem Moment heraus entstanden sein zu können. Und was noch dafür spricht, dass es keine Kurzschlussreaktion war: Es gab noch diese acht bis zehn Minuten vor dem Aufprall, genügend Zeit, um nachzudenken. Dass in dieser Zeit gar nichts passiert, spricht für mich eher dafür, dass er es früher mehrfach in Gedanken durchgespielt und gut überlegt hat. Das ist nicht nur durch Depression erklärbar. Aus medizinischer oder psychiatrischer Sicht würde man stark vermuten, dass es da noch irgendein anderes psychisches Problemmotiv gibt. Wir sehen sowas bei Amokläufern an Schulen: Sie haben ein starkes Kränkungserleben, fühlen sich zurückgesetzt, erleben starke Enttäuschung.

Handelt es sich demnach um einen Amoklauf?

Ich ziehe eher Parallelen zu einem Amoklauf als zu jemandem, der sich aufgrund von schweren Depressionen suizidiert. Weil das eine überlegte Tat war, die den eigenen Tod klar mit in Kauf nimmt und andere gezielt mit einbezieht. Irgendetwas muss ihn bewegt haben, diese Methode auszusuchen. Wenn er sich das Leben nehmen wollte, hätte er auch eine andere Methode wählen können, bei der er allein zu Tode gekommen wäre. Er hat das nicht gemacht und sich auch für große mediale Aufmerksamkeit entschieden - dieser Folge muss er sich bewusst gewesen sein. Da braucht es noch ein anderes Motiv. Ich gehe davon aus, dass das eine bewusste Entscheidung war und nicht einfach der Moment und die Möglichkeit vorhanden waren.

Bekannte und Freunde beschreiben Lubitz als netten, freundlichen Menschen. Passt das zusammen?

Das passt nicht so richtig. Ich ziehe mal den Vergleich zu Amokläufern: Die sind wenig sozial integriert, sind Einzelgänger, mitunter sehr kränkbar und schnell ärgerlich. Sie haben viele Konflikte mit anderen, leben zurückgezogen und machen viel mit sich selbst aus. Das liegt bei dem Co-Piloten - soweit wir wissen - nicht vor. In der Medizin gibt es immer Einzelfälle. Aber ein sozial gut integrierter Mensch, der beliebt ist, entspricht nicht dem Profil eines Amokläufers.

Es gibt Hinweise auf eine psychische Erkrankung bei Andreas Lubitz. Lässt die Tat Schlüsse zu, ob er sich in Behandlung befunden hat?

Eine Behandlung geschieht ja immer auf einer freiwilligen Basis. Immer nur so viel, wie man jemandem erzählt und bereit ist, sich auf etwas einzulassen, kann man auch verändern. Eine Behandlung ist kein Garant dafür, dass man nicht fremd- oder eigenschädigend handelt. Es ist kein Argument zu sagen, nur weil er eventuell nicht in Behandlung war, hätte das passieren können.

Vielen Dank für das Gespräch.

Oberarzt Stefan Röpke ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité. Er leitet den Bereich Persönlichkeitsstörungen, Posttraumatische Belastungsstörung sowie die Autismusambulanz. Schwerpunkte seiner Arbeit sind unter anderem Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Depression sowie Täterprofile.
Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Suizid-Gedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge unter der Nummer 0800 111 0 111.
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