Er entführt ein Kind, sperrt es in ein Verlies, misshandelt und missbraucht es über Jahre. Er gleicht sein Opfer Natascha Kampusch dem Bild eines Nazi-Opfers an und will sie sich zur Ehefrau erziehen. Wolfgang Priklopils Person gibt nach wie vor Rätsel auf, genauso aber sein Tod und das Verhältnis zu seinem Entführungsopfer.

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Geduldig und souverän beantwortet Natascha Kampusch wieder und wieder Fragen zu ihrer Entführung, zu ihrer Flucht und den zehn Jahren in Freiheit, die bei weitem nicht immer glücklich verliefen. Der aber, der ihr all das angetan hat, ihr Peiniger Wolfgang Priklopil, schweigt. Kein Ermittler, kein psychiatrischer Gutachter kann ihn mehr ins Verhör nehmen, niemand ihn zur Verantwortung ziehen. Priklopils Leben endete an jenem 23. August 2006, an dem sein Opfer sich wieder zurück ins Leben, in die Freiheit kämpfte.

Wer und wie Wolfgang Priklopil war, muss somit rätselhaft bleiben. Nach außen wirkte er wie ein Eigenbrötler und Einzelgänger, der sich gern bemuttern ließ. Noch als 40-Jähriger ließ sich Priklopil von seiner Mutter sein Essen für die gesamte Woche vorkochen. Der gelernte Nachrichtentechniker wurde von Nachbarn als wortkarger Typ wahrgenommen, der stolz auf sein PS-starkes Auto war. Priklopil lebte von der Renovierung und dem Verkauf von Wohnungen.

Priklopil verehrte Adolf Hitler

Gelegentlich gibt Natascha Kampusch Einblick in die Psyche ihres Peinigers, wie jüngst anlässlich des Erscheinens ihres neuen Buches "Natascha Kampusch: 10 Jahre Freiheit". Priklopil habe sie mit falschen Dokumenten heiraten wollen, erklärte die Wienerin im ORF: "Ja, das war sein Plan. Er hat wohl gedacht, dass er das irgendwie vertuschen kann, sein Verbrechen."

"Der Täter", wie sie ihn in ihrem Buch ausschließlich nennt, habe Adolf Hitler bewundert "und wollte, dass es mir so geht wie den Nazi-Opfern. Er hat mir wenig zu essen gegeben, wenig Kleidung, hat mich gedemütigt, schwere Arbeiten verrichten lassen und mir eine Glatze geschoren."

Kampusch schweigt zu sexuellen Übergriffen

Das Verhältnis zwischen Priklopil und Kampusch beschäftigt die Öffentlichkeit nach wie vor. Viele Beobachter befremdet, dass sie immer wieder zum Tatort, in Priklopils Haus zurückkehrt. Es wurde Kampusch nach seinem Tod zu zwei Dritteln zugesprochen. Das Drittel der Mutter Priklopils kaufte sie. Am Tag vor seiner Beisetzung verabschiedete sie sich in der Wiener Gerichtsmedizin von ihm. In aktuellen Interviews erklärt Kampusch, sie habe ihm vergeben.

Das Interesse der Öffentlichkeit an den Details der Beziehung - vor allem an den sexuellen Übergriffen - ist für Kampusch nicht nachvollziehbar: "Das beständige Einfordern, noch mehr preiszugeben, ist so, als wollte man mich ein zweites Mal meines Rechts auf Individualität und Privatsphäre enteignen", sagte sie im ORF.

Spekulationen: Selbstmord oder nicht?

Immer wieder neue Theorien gab es zu Priklopils Tod. Zwar ließ die Polizei in ihrem Abschlussbericht 2013 keinen Zweifel daran, dass sich der Entführer wenige Stunden nach Kampuschs Flucht das Leben nahm. Dennoch kam auch in den Jahren danach die Theorie nicht zur Ruhe, dass der damals 44-Jährige womöglich tot auf die Gleise gelegt, der angebliche Selbstmord inszeniert worden sein könnte.

Und obwohl Kampusch betont, Priklopil sei der einzige Täter gewesen, wurde auch das immer wieder angezweifelt. Eine Kommission unter Beteiligung des deutschen BKA und des FBI, die bisher letzte zum Fall Kampusch, kam 2013 zu dem Schluss, dass Priklopil "die Entführung mit hoher Wahrscheinlichkeit alleine durchgeführt hat." Etwaige Verbindungen zur Rotlicht-, Sado-Maso- oder Pädophilenszene hätten trotz umfangreicher Ermittlungen nicht festgestellt werden können, sagte der damalige BKA-Chef Jörg Ziercke.

Zu den offenen Fragen des Falls zählt eine Geldüberweisung von 500.000 Schilling (rund 36.300 Euro) eines Freundes an Priklopil rund um den Zeitpunkt der Entführung. Die beiden hatten 1994 zusammen eine Firma gegründet. Unmittelbar nach der Flucht von Natascha Kampusch traf sich Priklopil mit diesem Freund und Geschäftspartner und erzählte, dass er in großen Schwierigkeiten sei. Laut Aussage des Freundes handelte es sich bei dem Geld um Schwarzgeld aus Wohnungsverkäufen.

(af mit Material der dpa)

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