Bei Flugverspätung können Fluggäste in vielen Fällen Entschädigung verlangen. Doch wer versucht, zu seinem Recht zu kommen, wird feststellen: Bares gibt es nicht, stattdessen hanebüchene Ausreden und Ablenkmanöver. Am Ende drücken sich die Airlines und sparen so Millionen. Typische Tricks und was Sie dagegen tun können.

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Wer im Flieger sitzt und sich auf den Urlaub freut, wird sicher wegen einer Verspätung von ein paar Minuten keinen Ärger machen. Doch richtig bitter ist es für Passagiere, die mehr als drei Stunden oder sogar ein, zwei Tage verlieren. Das schicke Hotel ist umsonst gebucht, die Abenteuer versprechende Grand-Canyon-Tour fällt ins Wasser, der Mietwagen ist schon vergeben oder die teuren Anschlussflüge sind weg. Doch für Passagiere gibt es einen Wermutstropfen: Fluggesellschaften müssen nach EU-Recht Ausgleichzahlungen leisten; entweder 250, 400 oder 600 Euro. Soweit die Theorie. In der Praxis sieht das ganz anders aus.

Passagiere verschenken Millionen Euro

Allein in Deutschland verschenken Flugpassagiere jährlich 720 Millionen Euro Entschädigung. Zu diesem Ergebnis kommt die Verbraucherschutzorganisation Fairplane, die mit ihren Anwälten geschädigte Passagiere unterstützt. Weniger als 40 Millionen Euro werden dem Portal zufolge an die betroffenen Fluggäste ausgezahlt.

Flugverspätung
Datengrundlage nach Informationen von FairPlane für das Jahr 2014 © 1&1 Mail&Media

Warum die Airlines so oft mit einem blauen Auge davonkommen, hat mehrere Gründe. Zum einen kennen Fairplane zufolge 90 Prozent der Passagiere ihre Rechte nicht. Doch nicht nur die Unwissenheit der Passagiere lässt Fluggesellschaften kräftig sparen. Airlines wehren sich mit Händen und Füßen gegen etwaige Forderungen. "Ich kenne keinen Fall in den letzten Jahren, bei dem die Fluggesellschaft gleich gezahlt hat", sagt Jan Bartholl, Fachanwalt für Reiserecht.

Airplane zufolge erhalten nur etwa fünf Prozent eine Entschädigung – meist erst, wenn sie einen Anwalt eingeschaltet haben. Im Vergleich zu den möglichen Forderungen sind diese Kosten für die Airlines Peanuts. "Bei einem Langstreckenflug mit Verspätung von mehr als drei Stunden wären nach EU-Gesetz bei 250 Passagieren insgesamt 150.000 Euro fällig. Sie können sich vorstellen, was die Airline spart, wenn letztendlich nur drei Passagiere mit ihren Forderungen durchkommen. So läuft das Geschäft."

Besonders ärgerlich: Einige Fluggesellschaften kalkulieren Verspätungen teilweise sogar ein und verlangen eine Gebühr für die Fluggastansprüche. "Das heißt, Passagiere zahlen auch noch im Voraus für mögliche Flugverspätungen", weiß Bartholl.

"Alle Fluggesellschaften versuchen sich gegen die Fluggastrechte, die zumeist berechtigt sind, zu wehren", sagt Bartholl. Mit uns hat er über die Maschen der Airlines gesprochen und die Fallen, in die Passagiere tappen.

Trick 1: Die Hinhalte-Taktik

"Eine besonders hinterhältige Taktik ist die Hinhalte- und Verzögerungstaktik", erklärt der Anwalt. Viele Passagiere scheiterten allein schon an der Suche nach einer E-Mail-Adresse oder Telefonnummer. "Es werden ganz klar Barrieren aufgebaut." Wer dennoch erfolgreich war, wird lange auf Antwort warten. "Die Airlines versuchen das Ganze auszusitzen. Diese Taktik ist nicht dumm. Wer nach einem Jahr noch keine Reaktion erhalten hat, lässt in der Regel davon ab. Das wissen die Fluggesellschaften nur zu gut. Und die fahren immer diese Schiene", betont er.

Sollte die Airline dennoch antworten geben, seien die Schreiben aus vorgefertigten Textbausteinen erstellt, die meist ein Call-Center verschickt. "Die sind nur dafür da, die ganzen Fluggastrechte-Anfragen einfach abzubügeln. Die Korrespondenz ist immer sehr schwammig. Verbraucher stehen durch die Scheinargumente und Pseudoauseinandersetzungen der Fluggesellschaften vor der Problematik, den Pudding an die Wand nageln zu müssen. Damit hält man sich natürlich rechtlich alle Optionen offen."

Trick 2: außergewöhnliche Umstände

Wer schließlich eine Antwort erhält, sieht sich mit zahlreichen Ausreden konfrontiert. Möglich macht dies ein Hintertürchen im Gesetz. Liegen die Flugverspätungen außerhalb des Verantwortungsbereichs einer Airline, muss auch keine Entschädigung gezahlt werden. Dies ist bei außergewöhnlichen Umständen wie Wetter, Streik und Vogelschlag der Fall.

"Dieses Argument 'außergewöhnliche Umstände' wird von den Airlines heftig genutzt", sagt Bartholl. Besonders Streik oder Vogelschlag würden oft angebracht. Für den Fluggast ist das natürlich schwer zu überprüfen. Allerdings sollten Kunden wissen: Der Grund für eine Verspätung wird akribisch im Logbuch dokumentiert. Bartholl empfiehlt zudem, immer genau den Ansagen des Kapitäns im Flugzeug zuzuhören. "Die Gründe die der Kapitän angibt, entsprechen aus meiner Erfahrung meistens der Wahrheit."

Trick 3: Verwirrung schaffen

Fluggesellschaften versuchen Kunden manchmal auch gezielt hinters Licht zu führen. "Wir kennen Antwortschreiben, die sind völlig inhaltslos. Da wird sieben Seiten lang über europäisches Recht geschrieben und mit abstrakten Rechtsbegriffen verwirrt. Und am Ende des Schreibens teilt man mit, dass die Airline nicht verpflichtet sei, die Ausgleichszahlung zu leisten. Es sind eben Nebelkerzen der Airlines", erzählt Bartholl. Es werde zudem tunlichst vermieden, sich auf einen Grund für die Verspätung festzulegen. Nur ganz selten werde die Ursache für die Verspätung oder Annullierung genannt.

Trick 4: Gutschein als Lockmittel

Es gibt Airlines, die bieten hartnäckigen Kunden einen Gutschein an. Doch Bartholl warnt davor, sich auf diesen Deal einzulassen. "Er ist eine Mischkalkulation. Ein Gutschein mit einem Nennwert von 400 Euro kostet die Arline faktisch vielleicht höchstens 250 Euro." Außerdem könnte es sein, dass der Gutschein auf bestimmte Flüge gar nicht anrechenbar sei. "Dann ist der Gutschein das Papier nicht wert, auf dem er steht. Die EU-Fluggastrechte-Verordnung spricht da eine klare Sprache: Bei Flugverspätung gibt's Bares."

Trick 5: Schummeln bei der Ankunftszeit

Wie lange ein Flieger Verspätung hat, ist entscheidend für die Entschädigung. Fluggäste haben bei mehr als 180 Minuten ein Recht darauf - wenn kein außergewöhnlicher Umstand zur Verspätung führte. Viele Airlines spielen daher mit der Ankunftszeit, weiß Bartholl. Da können fünf Minuten den Unterscheid machen. Die Frage dabei ist, ab welchem Zeitpunkt ein Flugzeug als gelandet gilt. "Früher war die Rechtsprechung in Deutschland uneinheitlich. Seit der Entscheidung des EuGH vom 4. September 2014 gilt in Europa, dass ausschlaggebend für die tatsächliche Ankunftszeit das Öffnen der Flugzeugtüren – und nicht etwa der Touch-down (das Berühren der Räder bei der Landung) oder das Erreichen der Parkposition – ist.

Trick 6: Schummeln bei der Entfernung

Ebenso wie die Zeit spielt die Entfernung eine wichtige Rolle. Getrickst wird vor allem, wenn es um sogenannte Hub-Flüge geht, das heißt Flüge mit Zwischenstopps. Die Frage ist, welche Flugstrecke gerechnet wird – und hier zählt jeder Kilometer. Denn ob es 1.499 oder 1.500 Kilometer sind, macht am Ende 150 Euro aus. Viele Airlines rechnen daher die Teilstrecke. "Fakt ist: Die Teilstrecke zählt nicht. Es gibt genügend Gerichte in Deutschland, die sagen: Es zählt die Gesamtstrecke", so Bartholl.

Keine Angst vor hohen Anwaltskosten

Viele Passagiere scheuen zu hohe Anwaltskosten. Allerdings werden Bartholl zufolge die meisten Ansprüche vor Gericht durchgesetzt. "Es ist unglaublich schwer, Urteile zu finden, in denen Fluggesellschaften gewonnen haben", sagt der Anwalt. Und: Fast alle Flugverspätungen sind auf technische Defekte und nicht außergewöhnliche Umstände zurückzuführen. Zudem verweist Bartholl auf einen ganz wichtigen Fakt: Bei der Fluggastverordnung hat die EU eine kundenfreundliche Klausel eingebaut. Es liegt eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast vor. "Dies ist in Zivilprozessen eine unglaublich hohe Hürde. Das heißt, die Airlines müssen lückenlos beweisen, was genau zur Verspätung führte." Der Verbraucher muss sich also keine Gedanken über den Nachweis machen - nur darüber, wie groß die Erfolgsaussichten sind.

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