Afton Burton will Charles Manson heiraten. Der 80-Jährige sitzt seit über 40 Jahren für die Anordnung mehrerer brutaler Morde in Kalifornien im Gefängnis. Die 26-jährige Afton ist mit ihrer Faszination für einen Schwerverbrecher kein Einzelfall. Was macht Täter wie Manson für viele Frauen so anziehend?
Der Psychiater und Psychotherapeut Borwin Bandelow beschäftigt sich seit vielen Jahren nicht nur mit Angst- und Panikerkrankungen, sondern auch mit dem bizarren Reiz schrecklicher Verbrecher. In seinem Buch "Wer hat Angst vorm bösen Mann? Warum uns Täter faszinieren" hat Bandelow genau untersucht, was Verbrecher so interessant und anziehend macht für andere Menschen. Wir haben bei dem stellvertretenden Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Göttingen nachgefragt.
Professor Bandelow, was steckt hinter der Faszination für einen Verbrecher wie Charles Manson?
Borwin Bandelow: Charles Manson erfüllt die Kriterien einer antisozialen Persönlichkeitsstörung. Er hat das Gefühl ein Auserwählter zu sein, viele Menschen um sich scharen zu müssen, um seine Mission zu erfüllen. Diese Kategorie "antisozial" bedeutet freilich nicht, dass bei Menschen wie Manson das soziale Gehirn nicht funktioniert. Im Gegenteil, es funktioniert vielleicht sogar besser als bei normalen Menschen. Menschen mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung können sich sehr gut in ihr Gegenüber hineinversetzen, dessen Gedanken erfassen. Während Sie und ich diese Fähigkeit zum Wohle anderer nutzen würden, nutzen diese ihre Fähigkeit und ihr Charisma für ihr eigenes Wohl.
Was geht in Frauen wie Afton Burton vor?
Es gibt mehrere Gründe, warum Frauen sich von Verbrechern angezogen fühlen. Bei Afton Burton wird es das Rotkäppchen-Syndrom sein. Sie ist fasziniert vom Animalischen, dem Bösen des Täters. Ihr Gehirn ist einer Art Gehirnwäsche unterzogen worden. Sie blendet die Morde aus, denkt, dass sie nicht passiert sind oder ihm untergeschoben wurden. Dieses Phänomen "Liebe macht blind" kennen ja auch wir. Das Gehirn hat – einfach gesagt – zwei Bereiche: das vernünftige Gehirn und das Belohnungssystem. Letzteres denkt nur von jetzt auf gleich, will essen, trinken, Sex. Ist dieses System angetriggert, wird die Kritikfähigkeit ausgeschaltet.
Welche Gründe gibt es noch?
Beim Dompteusen-Syndrom haben die Frauen das Gefühl, die Bestie unter Kontrolle zu haben. Burton hat ja vielleicht sogar Angst vergewaltigt oder geschlagen zu werden. Aber da es im Fall Manson keine Liebeszelle geben wird, ist sie vor ihm sicher. Beim Amiga-Syndrom sind die Frauen überzeugt "Meiner ist ganz anders". Sie sind beseelt vom Guten des Menschen und sie glauben: Durch meine Liebe oder meine Religion kann ich ihn umpolen. Auch Frauen mit Borderline-Syndrom sind unter diesen "Gefängnisbräuten".
Was weiß die Wissenschaft über die Biographie dieser Frauen?
Es wäre sicher interessant, statistische Hintergründe zu wissen. Es gibt keine Studie, auch weil es zu wenige Fälle gibt. Aber das Belohnungssystem funktioniert bei uns allen gleich. Es ist unabhängig von Intelligenz und Bildung. Es kann jede Frau treffen. Unter den Anhängerinnen des mehrfachen Frauenmörders Jack Unterweger (Anm. d. Red.: Der Österreicher Jack Unterweger erhängte sich nach seiner Verurteilung 1994 in seiner Zelle.) waren alle gesellschaftlichen Schichten vertreten, von ganz jungen Mädchen bis hin zur reichen Unternehmenswitwe. Eine von ihnen habe ich kennengelernt. Astrid Wagner ist Juristin, gebildet, gut aussehend. Vordergründig geht sie damit erfolgreich hausieren: Sie hat mittlerweile drei Bücher geschrieben und nutzt ihre Bekanntheit auch, um mehr Klienten für ihre Kanzlei zu bekommen. Aber der wahre Antrieb ist die sexuelle Faszination durch den Verbrecher.
Gibt es das Phänomen auch bei Männern?
Ja, nur in deutlich geringerem Umfang. Das liegt daran, dass weltweit nur sechs Prozent der Gefängnisinsassen Frauen sind. Aber ich denke zum Beispiel an Amanda Knox, den "Engel mit den Eisaugen". Ich habe mich sehr intensiv mit dem Fall beschäftigt und glaube persönlich, dass sie den Mord an ihrer Mitbewohnerin begangen hat. Sie sieht gut aus und hat unglaublich viele Anträge von Männern erhalten.
Was lässt denn die Faszination wieder verschwinden?
Eine Verliebtheit hält zwischen 18 Monate und drei Jahre an. Es gibt Frauen, da verläuft das ähnlich, und es gibt Frauen, da hält die Verliebtheit auch nach dem Tod des Mannes an. Ich war 2013 zusammen mit Astrid Wagner in einer Talkshow von Markus Lanz. Und sie hat so von Unterweger gesprochen, dass Lanz gesagt hat: "Sie lieben ihn ja immer noch."
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