Die Vision von "Carbon Farming Germany" ist klar. Mit ihrer ersten Pilotanlage wollen die Berliner Innovatoren ab 2026 jährlich genug klimaneutralen Kraftstoff für 300 Lkw erzeugen. Das Beste daran: Die Produktion entfernt zusätzlich 75.000 Tonnen Kohlendioxid (CO₂) aus der Atmosphäre – pro Jahr! Was nach Zauberei klingt, ist technisch und mathematisch erklärbar. Die erste praktische Beweisprobe ist bereits erbracht.
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Biomasse als Ausgangsprodukt
"Wir haben den sogenannten Proof of Concept erreicht", erzählt uns CEO Marc Feldmann. "Damit ist die praktische Umsetzbarkeit des Konzepts bewiesen. Jetzt gehen wir in die Planung der Pilotanlage, sprechen mit Investoren und schließen erste Verträge mit Lieferanten und Abnehmern." Denn eines scheint schon jetzt sicher: Bald werden viel Stroh und Gülle benötigt, um die Kraftstoff-Produktion hochzufahren. Als potenzieller Standort rückt derweil Schleswig-Holstein in den Fokus der Berliner.
"Das Gelände wird später aussehen, wie eine herkömmliche Biogasanlage, mit einigen Extra-Gebäuden," erklärt Feldmann. Der Kraftstoff wird auch hier in Form von Methan aus dem Biogas gewonnen. Daraus lassen sich ebenso andere Kohlenwasserstoffe wie Erdgas oder Flüssiggas – theoretisch sogar Benzin und Diesel – generieren.
Doch statt wie üblich nur das Biomethan aus der Vergärung aufzufangen, legen die Berliner den Fokus auf die Gärreste, die in einer zusätzlichen Anlage weiterverarbeitet werden. Aus denen sollen dann hochwertige Pflanzenkohle sowie flüssiges CO₂ entstehen, das von Spezialfirmen unterirdisch gespeichert werden kann. Feldmann sagt: "Wir können uns auch den Speicher unter dem Meeresboden der Nordsee vorstellen." Sowohl das CO₂ in der Pflanzenkohle als auch jenes in flüssiger Form zahlt positiv auf die Treibhausgas-Bilanz (THG-Quote) des ursprünglich erzeugten Kraftstoffs ein. Die Weiterverarbeitung selbst verschlingt nur etwa 5 Prozent.
Biogasanlagen können aufgerüstet werden
Nicht nur die eigene Anlage soll auf diese Weise Kohlendioxid aus der Atmosphäre holen. Auch bestehende Biogasanlagen können mit der Technik aufgerüstet werden. Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gibt es in Deutschland rund 9.600 Biogasanlagen, die klimaverträglich Strom und Wärme für Millionen Haushalte erzeugen. Allerdings nutzen diese Anlagen nur einen Teil des in der Biomasse gebundenen Kohlendioxids, das ja ursprünglich aus der Atmosphäre stammt. Die übrig gebliebenen Gärreste werden als Abfall behandelt und oft als Dünger zurück auf die Felder gebracht, wo sie erhebliche Mengen CO₂ wieder emittieren. Auch bei der Aufbereitung des Biogases zu Bio-Methan entsteht CO₂, das üblicherweise wieder in die Atmosphäre entlassen wird.
Genau hier setzt "Carbon Farming" an und will kein CO₂ zurück in die Atmosphäre gelangen lassen. Aus den Gärresten soll mittels Trocknung und Pyrolyse (patentierte Karbonisierung) sogenannte Pflanzenkohle werden. Das stabilisiert den in Gärresten enthaltenen Kohlenstoff (C), sodass er nicht mehr mit Luftsauerstoff (O₂) zu CO₂ reagieren kann. Die entstandene Kohle wird dann wiederum gelagert oder als Spezialdünger den Böden zugeführt – Carbon Farming spricht hier von 15 Prozent mehr Ernte-Ertrag. Weil die Pflanzenkohle zudem von höchster Qualität ist, könne sie sogar als Futterkohle in der Landwirtschaft eingesetzt werden.
Mineralölhändler müssen CO₂-Bilanz senken
Potenzielle Kunden von "Carbon Farming" sind Mineralölhändler, die gesetzlich dazu verpflichtet sind, ihre CO₂-Emissionen aus dem Vertrieb fossiler Kraftstoffe immer weiter zu verringern. Das regelt das Erneuerbare-Energien-Gesetz – der Renewable Energy Directive – der Europäischen Union. Mit Bio-Methan können diese Händler ihre THG-Quote aufbessern und hohe Strafzahlungen vermeiden.
Seinen Partnern verspricht das Berliner Unternehmen schon jetzt, den wie oben beschriebenen Biokraftstoff mit einer CO₂-Bilanz von –400 % gegenüber der fossilen Referenz zu produzieren. Schließlich möchte "Carbon Farming" bei der Produktion ausschließlich landwirtschaftliche Reststoffe und keinen Mais einsetzen. "Für unser Biogas wird kein Wald gerodet und kein Futter- oder Nahrungsmittel genutzt," betont CEO Feldmann, der gleich noch einen Blick in die Zukunft hinterherschickt. "Bis 2035 wollen wir insgesamt zehn Anlagen betreiben und so eine Million Tonnen Kohlendioxid jährlich aus der Atmosphäre holen."
Biogas als wertvoller, klimafreundlicher Rohstoff
Pflanzen nehmen beim Wachstum CO₂ aus der Atmosphäre auf und speichern es. Aus dieser Biomasse lässt sich später auf verschiedene Arten Kraftstoff herstellen – Biogas ist eine davon. Es entsteht bei der Vergärung der Biomasse. Geeignet dafür sind nicht nur hochenergetische Pflanzen wie Mais, sondern auch Gülle, Mist, Speise- oder Pflanzenreste wie Stroh als Nebenprodukt der Getreideproduktion.
Das aus der Vergärung von Biomasse entstehende Biogas ist ein Mischgas, das hauptsächlich aus Methan (CH4) und Kohlenstoffdioxid (CO2) besteht, je nach Zusammensetzung aber auch Stickstoff (N2), Sauerstoff (O2), Schwefelwasserstoff (H2S), Wasserstoff (H2) und Ammoniak (NH3) enthält. Je höher der Methan-Anteil, desto energiereicher das Gas. Im Schnitt besteht Biogas zu 60 Prozent aus Methan – einem Treibhausgas, das eine 25-mal stärkere Wirkung hat als CO₂. Biogasanlagen unterliegen daher strengen und regelmäßigen Dichtigkeitsprüfungen. © auto motor und sport
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