Nein, es dauert natürlich nicht lang, ein Auto mit Benzin- oder Dieselmotor vollzutanken. Sechs Minuten habe er über Jahre hinweg dafür im Durchschnitt gebraucht, sagt ein geschätzter Kollege. Aber wie sehen diese sechs Minuten aus? Erst steht man an der Zapfsäule und hört der Pumpe beim Brummen zu. Und dann wartet man beim Bezahlen hinter fünf anderen in der Schlange, während der einzige Kassierer gerade Bockwurst und Automatenkaffee serviert. Macht das Spaß?

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Jonas Sulzer kennt Tankstellen kaum noch, er fährt elektrisch. Wenn er nachladen muss, dauert das viel länger als beim Verbrenner. Aber das macht Jonas nichts aus. Wenn er auf der A7 nach Norden rollt, steuert er gern den Ladepark am Autohof Lutterberg südlich von Göttingen an, zum Entschleunigen: "Da gibt es Bänke und eine Mega-Aussicht. Mit einem Kaffee dazusitzen und auf die Kasseler Berge zu schauen, ist für mich purer Genuss."

Firmengründung im Sommer 2022

"Die Ladezeit gehört dir" – das ist der Claim der App ChargingTime. Hinter ihr steht die On Your Route GmbH, das Start-up von Jonas Sulzer, 25, und Felix Geibel, 42. Die beiden hatten sich bei Mercedes-Benz in einem Team kennengelernt, das elektrische Antriebe für die kompakten Modelle entwickelte. Felix hatte schon damals eine smarte Lade-App programmiert und veröffentlicht – aus eigenem Antrieb, in seiner Freizeit. Aber was ihm fehlte, war jemand, der das Backend übernehmen konnte.

Jonas war dieser Mann, er stieg im Frühjahr 2022 mit ein. Im Sommer erfolgte die Firmengründung – zu einer Zeit, in der das Karussell schon Fahrt aufgenommen hatte. Immer mehr App-User meldeten Informationen und Vorschläge zurück, und schon bald konnten die beiden Gründer das Volumen an Verbesserungen nach Feierabend nicht mehr bewältigen. Felix verließ Daimler im Herbst 2023, Jonas vollzieht diesen Sprung jetzt.

"Ein Start-up aufzubauen, ist kein Sprint, sondern ein Marathon", sagt Felix. "Aber mich reizt die unternehmerische Seite daran, die Finanzen, die Verträge, das Marketing." Mittlerweile, Ende Februar 2024, arbeiten er und Jonas in einem Co-Working-Space in der Stuttgarter City. Sie haben mehrere Freelancer und externe Partner dazugeholt und suchen laufend neue Leute. ChargingTime steht derzeit bei etwa 45.000 Downloads, 22.000 Fahrten pro Monat werden über die App geplant.

Oft funktioniert ein vorgegebener Fahrplan nicht

Das Erfolgsgeheimnis erklären die beiden Gründer, sei die Flexibilität ihrer App bei der Ladeplanung für eine längere Fahrt. Die meisten heutigen Tools im E-Auto berechnen die Stopps strikt auf Basis von Energieinhalt und Stromverbrauch. Daraus erstellen sie eine Liste, auf der es kaum mehr Filtermöglichkeiten gibt als die Leistung der Ladesäulen. Diese Grundfunktionen beherrscht ChargingTime natürlich auch, aber da ist eben noch mehr. "Als vierfacher Vater erlebe ich unterwegs immer wieder, dass ein vorgegebener Plan nicht funktioniert", sagt Felix. "Jemand kriegt Hunger, jemand bekommt Durst. Dann sagt mir unsere App sofort, wo ich von der Autobahn runterfahren kann und was wir dort zu essen bekommen."

ChargingTime soll dem Fahrer dabei helfen, die richtigen Ladepunkte für seine Bedürfnisse zu finden. Da gibt es simple Kriterien wie Beleuchtung und Überdachung und gängige wie gepflegte Toiletten und attraktive Gastronomie. Und es gibt individuelle Wünsche – einen Spielplatz, eine kurze Joggingstrecke oder einen Place-to-Work für die Arbeit mit dem Laptop. Bei der Routenplanung, auf Wunsch mit Unterstützung eines Assistenten, kann der User nach solchen Kriterien filtern; dazu kann er Informationen über Gastro- oder Supermarktketten und deren Bewertungen aufrufen. Während der Fahrt erleichtert ihm die einfache Bedienoberfläche der App spontane Entscheidungen.

Gold-Status für 35 Euro

Als Begleit-App konzipiert, nutzt ChargingTime das Europa-Kartenmaterial von Google Maps oder Apple Maps. Derzeit läuft die App aus Stuttgart nur auf iPhones, im Frühjahr 2024 soll sie auf die Android-Welt ausgerollt werden. Die Daten über die Ladesäulen kommen aus der freien Community von Going-Electric und von kommerziellen Dienstleistern. Die Angaben über das Angebot rund um die Säulen steuern vor allem die eigenen User bei. Ebenso wie die CarPlay-Integration und der aktuelle Ladesäulen-Status (verfügbar für Deutschland, Österreich und die Schweiz) sind diese Informationen für die Premium-Kunden reserviert, die statt der Freeware-Version den "Gold"-Status für 35 Euro im Jahr abonniert haben.

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Wie sich entschleunigtes Elektrofahren anfühlt, weiß Felix Geibel sehr genau. "Ich habe einen Hyundai Ioniq Jahrgang 2018 mit 28-kWh-Batterie. Mit der schafft er zwar nur gut 150 Kilometer am Stück, aber sie ist in 20 Minuten vollgeladen. Das ist für mich okay. Mit dem Auto war ich sogar schon in Kroatien im Urlaub.  © auto motor und sport

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