Neue EU-Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO₂) stellen die Autobranche vor enorme Herausforderungen. Diesel-Fahrer könnten unter Druck geraten, während E-Autos in der Flotte zunehmend wichtiger werden. Steht älteren Selbstzündern durch strengere Einschränkungen ein schleichendes Aus bevor?
Luftverschmutzung ist längst kein Randthema mehr – entsprechend macht die EU mit strikteren Umweltvorgaben Ernst. Allerdings rückt die öffentliche Diskussion oft nur die CO₂-Einsparung in den Mittelpunkt, obwohl in absehbarer Zeit noch eine ganz andere große Herausforderung auf uns zurollt. Und die könnte nicht nur Folgen für Hersteller haben, sondern auch zu Fahrverboten führen. Es geht um Neuregelungen zum jährlichen Durchschnittswert an Stickstoffdioxid (NO₂) in der Luft, die vor allem Diesel-Besitzern zum Verhängnis werden könnten. Aber der Reihe nach.
Während CO₂ als Haupttreiber des Klimawandels gilt, beeinflusst das Reizgas NO₂ die Luftqualität und damit die menschliche Gesundheit direkt. Hohe NO₂-Konzentrationen stehen laut Umwelt- und Gesundheitsbehörden klar in Zusammenhang mit Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch Franz Loogen, Geschäftsführer der Landesagentur e-mobil BW GmbH, die sich mit dem Thema befasst, betont: "Wenn wir die Emissionen betrachten, dann sprechen wir bei CO₂ über ein nicht giftiges Gas, das Auswirkungen aufs Klima hat. Stickoxid fällt indes in die Kategorie der giftigen Gase, die gesundheitsschädlich sind."
Neue EU-Luftqualitätsrichtlinien
Deshalb will die Europäische Union entschlossener als bisher durchgreifen. Während die EU-Luftqualitätsrichtlinie seit 2010 noch einen jährlichen Durchschnittswert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m³) als Grenzwert vorschreibt, soll dieser bis 2030 auf 20 µg/m³ halbiert werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt sogar nur 10 µg/m³ – ein Niveau, dem sich die EU langfristig annähern will. Eine klare Meinung hierzu hat Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes (UBA): "Auch wenn sich die neuen europäischen Grenzwerte nur schrittweise an die deutlich niedrigeren WHO-Empfehlungen annähern werden, führt jede Verbesserung der Luftqualität zu einer Reduktion des Gesundheitsrisikos für die Gesamtbevölkerung", so Messner.
Dass sich solche Angelegenheiten nicht nur gesundheitlich, sondern auch wirtschaftlich und verkehrspolitisch auswirken, wurde schon mal sichtbar. Loogen erinnert an vergangene Herausforderungen, die vielen Haltern von Verbrenner-Fahrzeugen ebenfalls die Schweißperlen auf die Stirn getrieben hatten: "Bereits im Jahr 2010 wurde der Immissionsgrenzwert für Stickstoffdioxid von 80 auf 40 Mikrogramm pro Kubikmeter gesenkt. Kommunen mussten darauf reagieren. Teilweise gab es Umweltzonen, die die Einfahrt mit bestimmten Fahrzeugen verboten. Viele Halter von Euro-4- und Euro-5-Diesel-Fahrzeugen haben diese damals weiterverkauft, etwa nach Osteuropa", mahnt der e-mobil BW-Chef.
Betrifft die NO₂-Problematik nur Diesel?
Größtenteils ist die NO₂-Belastung ein Thema, das mit Dieselmotoren in Verbindung steht, da sie in der Vergangenheit die höchsten Stickoxid-Emissionen verursacht haben. Ein Stück weit spielen aber auch Benziner eine Rolle. Sie sind zwar grundsätzlich sauberer, doch gerade ältere Modelle ohne moderne Abgasreinigung tragen ebenfalls zur höheren Belastung der Luftqualität bei. Allerdings in geringerem Maße, und da vor allem moderne Benziner mit ihren optimierten Verbrennungsverfahren viel weniger NO₂ ausstoßen, stellen diese laut Loogen zunächst ein geringeres Problem dar.
E-Autos als Heilsbringer
Dem e-mobil-BW-Leiter zufolge wird für die Einhaltung der Grenzwerte der Gesamtmix an Fahrzeugen in der Flotte entscheidend sein – E-Autos hätten hierbei eine wichtige Bedeutung. Zum Verständnis: Bevor der neue Stickstoffdioxid-Grenzwert gilt, muss sie von den EU-Staaten verpflichtend in nationales Recht überführt werden. Dabei gibt die EU den Rahmen vor, doch die Länder haben Spielraum, wie und wann sie bis Dezember 2026 die Vorgaben konkret umsetzen. Ab 2030 wird für das Kalenderjahr der Grenzwert dann auf 20 Mikrogramm pro Kubikmeter abgesenkt. Für EU-Mitgliedstaaten gilt es dann sicherzustellen, dass die Schadstoffwerte in der Luft nirgendwo in ihren Gebieten die Grenzwerte überschreiten.
"Sie treffen alle erforderlichen Maßnahmen, die keine unverhältnismäßigen Kosten verursachen", sagt Loogen. Klarheit zu schaffen, wie man die Vorgaben realisieren will, ist daher umso wichtiger. "Sobald sie in Kraft treten, betreffen sie im übertragenen Sinne ja unmittelbar alle Fahrzeuge in der Bestandsflotte. Und je höher dann der E-Auto-Anteil ist, desto einfacher wird die Einhaltung der Grenzwerte", so Loogen. Sei der Anteil der E-Autos hingegen gering, steige das Risiko, dass in Ballungsgebieten tatsächlich strengere Maßnahmen, wie zum Beispiel Fahrverbote für Fahrzeuge mit hohen NO₂-Emissionen, verhängt werden – vor allem für Diesel.
Diesel als Risiko-Investition
Dass man das als Kunde nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte, daran erinnern die Maßnahmen zur Einhaltung des geforderten Feinstaub-Grenzwerts von 25 µg/m³. Mitunter kam es deshalb in den vergangenen Jahren zu Fahrverboten. In vielen Städten wurden Umweltzonen eingeführt, um die Luftqualität zu verbessern. So gilt zum Beispiel seit 2019 im gesamten Stuttgarter Stadtgebiet ein ganzjähriges Verkehrsverbot für Fahrzeuge mit Dieselmotoren der Emissionsklasse Euro 4 und schlechter – mit Ausnahmen für Lieferverkehr, Rettungsdienste oder Menschen mit Behinderung. In den Randgebieten sind auch Euro-5-Diesel teilweise tabu. München hat im Februar 2023 eine Umweltzone eingerichtet, in der Euro-4-Diesel und schlechter nicht fahren dürfen. Darmstadt etwa schließt seit 2019 Diesel mit Abgasnorm Euro 1 bis 5 und Benziner der Klassen Euro 1 und 2 aus Hügel- und Heinrichstraße aus. Hamburg ruderte indes 2023 nach fünfjähriger Durchfahrtsbeschränkung für Diesel unterhalb der Euro-6-Norm an der Max-Brauer-Allee und an der Stresemannstraße zurück und hob das Verbot auf.
Das macht die Entscheidung, ob man sich noch einen Diesel zulegt, nicht einfacher – vor allem, was ältere Modelle anbelangt. Die Vermutung liegt nahe, dass sich die Verbotstendenz verstärkt: Sinkt der Wert bis 2030 auf besagte 20 µg/m³, ist damit zu rechnen, dass Städte und Kommunen strengere Umweltzonen schaffen und Fahrverbote ausweiten. Gut möglich, dass man dann sogar Fahrzeuge oberhalb der Euro-5-Abgasnorm ins Visier nimmt. Sowieso, weil laut EU-Plan ab 2030 auch der Feinstaub-Grenzwert nochmals niedriger angesiedelt wird – nur 10 µg/m³ sind dann diesbezüglich noch akzeptabel. Hier spielen übrigens auch Benziner eine Rolle. Durch ihren hohen Einspritzdruck emittieren sie ebenfalls viele Partikel, die wieder herausgefiltert werden müssen.
Schmerzhafter Spagat für Autobauer
Während für Fahrer umweltungünstiger Verbrenner also Fahrverbote und Fahrzeug-Wertverlust zum Thema werden könnten, stellt die EU-Regelung auch die Hersteller vor einen Drahtseilakt. Wer weiterhin verkaufen will, muss in emissionsarme oder -freie Antriebe investieren – doch genau hier liegt die Krux. Während striktere Abgasnormen alte Verbrenner – einst das Rückgrat des Fahrzeugmarkts – zunehmend unter Druck setzen, gerät gleichzeitig die E-Mobilität ins Hintertreffen. Bekanntlich scheuen nach wie vor viele Kunden den Umstieg – sei es wegen Kosten, Ladeinfrastruktur oder unsicherer Förderung.
Weiteres Dilemma: Die Abgasnachbehandlung beim Verbrenner ist technisch sehr weit ausgereizt, doch neue Normen wie Euro 7 treiben die Kosten weiter in die Höhe. Loogen hebt hervor: "Ich glaube nicht, dass wir noch einmal massive Investitionen in die Diesel-Technologie sehen werden. Die Abgasnachbehandlung ist heute bereits enorm aufwendig und teuer." Hersteller sind also in der Zwickmühle: Weiter in teure Filtertechnik investieren oder auf E-Modelle setzen?
Wie steht es um die Alternativen
Was noch besteht, ist die Hoffnung der Technologieoffenheit: Während die Automobilindustrie vorrangig auf Elektro setzt, bleiben alternative Antriebe wie synthetische Kraftstoffe oder Wasserstoff bislang allerdings Nischenlösungen – unter anderem aufgrund hoher Kosten, begrenzter Verfügbarkeit und regulatorischer Unsicherheiten. Das könnte dazu führen, dass viele Verbrenner-Modelle aus dem Angebot verschwinden, da die Umrüstung auf künftige Emissionsstandards zu aufwendig wird.
Für die OEMs würde das eine tiefgreifende Neuausrichtung der Modellpalette bedeuten. Bereits jetzt zwingen die Klimaziele die Unternehmen dazu, entgegen der Markt-Nachfrage verstärkt auf Elektrofahrzeuge zu setzen. Die neuen NO₂-Vorgaben und strengere Abgasnormen wie Euro 7 verschärfen diesen Wandel zusätzlich – Verbrenner werden technisch und wirtschaftlich immer schwerer haltbar.
e-mobil-BW-Geschäftsführer Loogen warnt nochmals mit Nachdruck: "Mit den neuen NO₂-Grenzwerten steigt der Druck, die Immissionswerte in Städten zu senken. Das könnte indirekt dazu führen, dass ältere Fahrzeuge durch Umweltzonen oder Fahrverbote eingeschränkt werden."
Maßnahmen zur Luftreinhaltung zahlen sich aus
Doch bei aller Sorge vor Fahrverboten und wirtschaftlichen Folgen – die Maßnahmen tragen bereits Früchte. 2024 war das erste Jahr, in dem deutschlandweit alle Grenzwerte der europäischen Luftqualitätsrichtlinie eingehalten wurden. Somit auch der Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid, der laut Umweltbundesamt und einer ersten Auswertung von rund 600 Messstationen erstmals an allen Standorten unter dem geltenden Grenzwert von 40 µg/m³ lag.

Das beweist: Umweltzonen, Tempolimits und emissionsärmere Fahrzeuge wirken – doch zur Einhaltung des geplanten neuen NO₂-Grenzwerts auf 20 µg/m³ werden die bisherigen Regularien nicht ausreichen. Welche Konsequenzen sich für Autofahrer am Ende tatsächlich ergeben, bleibt aber abzuwarten. © auto motor und sport