• SPD, Grüne und FDP wollen das Mindestalter zum Erwerb eines Pkw-Führerscheins senken und begleitetes Fahren bereits ab 16 statt wie bisher mit 17 Jahren ermöglichen.
  • Doch ist das gefährlicher, als wenn junge Menschen mit 18 Jahren den Führerschein machen?
  • Wir haben darüber mit Ulrich Chiellino vom ADAC gesprochen.

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Die Ampel-Koalition will den Führerscheinerwerb bereits mit 16 Jahren erlauben. Damit sollen Jugendliche schon frühzeitig für die Gefahren im Straßenverkehr geschult werden, heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Derzeit ist das sogenannte begleitete Fahren erst ab 17 Jahren möglich. Das heißt, dass Fahranfänger und Fahranfängerinnen bis zu ihrem 18. Geburtstag einen Pkw nur in Begleitung einer mindestens 30-jährigen Person fahren dürfen.

Ulrich Chiellino vom ADAC unterstützt den Vorschlag der neuen Bundesregierung, begleitetes Fahren bereits ab 16 Jahren zu erlauben. Dabei beruft sich der Verkehrspsychologe unter anderem auf eine Studie zur Wirksamkeit des Begleiteten Fahrens ab 17 (BF17).

20 Prozent weniger Unfälle durch BF17-Modell

Das BF17-Modell wurde zwischen April 2004 und Januar 2008 in allen 16 Bundesländern in Deutschland eingeführt. Bis Ende 2009 hatten fast eine Million Fahranfängerinnen und -anfänger teilgenommen. Zu diesem Zeitpunkt entschieden sich fast drei Viertel der Zielgruppe – sogenannte Früheinsteiger, die das selbstständige Fahren unmittelbar mit dem 18. Geburtstag anstreben – für das BF17.

Die Studienergebnisse zeigten, dass das Unfallrisiko der BF17-Gruppe gegenüber Nicht-Teilnehmenden etwa 20 Prozent niedriger war. Rein rechnerisch gesehen verhinderte das BF17 im Jahr 2009 damit rund 1.700 Unfälle mit Personenschaden.

Chiellino erläutert die Theorie hinter dem Modell: "Bei den Fahranfängern ist es grundsätzlich so, dass ungünstige Unfallrisiken zusammentreffen. Da ist zum einen das Anfängerrisiko, sprich den jungen Menschen fehlt die Fahrpraxis und sie fahren weniger vorausschauend. Dann gibt es das Thema der jugendtypischen Fahrsituation. Das heißt, man fährt häufiger nachts, etwa zur Disco, und ist oft mit mehreren Personen im Auto. Hierbei kommt es unter Umständen auch trotz des strikten Alkoholverbots zu Kontakt mit alkoholischen Getränken. Der dritte Punkt ist das sogenannte Jugendlichkeitsrisiko. Dabei handelt es sich um ein Phänomen, bei dem sich junge Leute für weniger verwundbar halten und eine gewisse Zuversicht mitbringen, dass schon alles gut gehen wird. Dementsprechend ist das Verhalten der Fahrer möglicherweise auch etwas leichtsinniger."

Das BF17-Modell ziele in erster Linie auf das Anfängerrisiko ab, weil es ermöglicht, den Lernzeitraum unter protektiven Bedingungen zu verlängern. Sprich: Ein Beifahrer oder eine Beifahrerin sorgt dafür, dass auch andere Dinge im Straßenverkehr mitbeobachtet werden oder macht den Fahranfänger oder die Fahranfängerin darauf aufmerksam, wenn er oder sie beispielsweise zu forsch unterwegs ist. Diese "soziale Kontrolle" erlaubt es ihm oder ihr, Fahrpraxis aufzubauen und die eigene Fahrkompetenz zu schärfen.

ADAC spricht sich für Optionsmodell aus

"In der Praxis des BF17-Modells hat sich jedoch herausgestellt, dass die tatsächliche Fahrpraxis nach dem Erwerb des Führerscheins in der Regel zu kurz ist", so Chiellino weiter. "Die Idee hinter dem BF16 ist, den Führerschein früher zu machen und dadurch den Lernzeitraum bis zum 18. Lebensjahr weiter auszuschöpfen. Und da wir ja gesehen haben, dass während der Begleitfahrten so gut wie nichts passiert und im Gegenteil es danach auch zu weniger Unfällen kommt, hat dieses Instrument eine hohe Wirksamkeit."

Einen Haken gebe es dennoch: Mit dem BF17-Modell werde nur das Anfängerrisiko adressiert. Die beiden anderen Risiken – also das der jugendtypischen Fahrsituation und das Jugendlichkeitsrisiko – werden beim begleiteten Fahren nicht miterfasst. Chiellino erklärt: "Hier wäre es gut, die Fahranfänger noch etwas einzubremsen – und da kommt das sogenannte Optionsmodell ins Spiel."

Beim Optionsmodell würde die Probezeit für Führerscheinneulinge von zwei auf drei Jahre verlängert. Darüber hinaus würde nach Erhalt der Fahrerlaubnis eine "Feedback-Schleife" eingeführt werden. "Dabei könnte es sich um Feedback-Fahrten oder Fahrsicherheitstrainings handeln, bei denen Fahranfänger hautnah erleben, dass es kritische Fahrsituationen geben kann, die sie nicht bewältigen können. Dann reift die Erkenntnis, dass es klüger ist, Gefahren von vornherein aus dem Weg zu gehen", sagt Chiellino. "Nach einer erfolgreichen Teilnahme wäre dann wiederum eine Reduzierung der Probezeit um ein Jahr denkbar."

Über den Experten: Ulrich Chiellino ist Verkehrspsychologe und Leiter Verkehrspolitik beim ADAC.

Verwendete Quellen:

  • Sicherheitswirksamkeit des Begleiteten Fahrens ab 17. Summative Evaluation
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