Rote Zahlen bei den Orangenen – KTM ist in der Krise. Offene und klare Worte zur aktuellen Lage bei KTM und um KTM herum – auch bei MV Agusta – gibt's im MOTORRAD-Interview mit Hubert Trunkenpolz, Vorstandsmitglied der Pierer Mobility AG.

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KTM mit Verlusten: Nach Jahren mit Rekordzuwächsen rutscht der österreichische Hersteller KTM tief in die roten Zahlen. Schon im Juni 2024 hatte die Pierer Mobility AG, Dachunternehmen von KTM, Husqvarna, GasGas und MV Agusta, eine Gewinnwarnung herausgegeben und die Prognosen für 2024 drastisch gesenkt. Ende August legte die Gruppe nun den Finanzbericht für das erste Halbjahr 2024 vor – und es kam sogar schlimmer als erwartet.

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Rote Zahlen bei KTM im ersten Halbjahr 2024

Der Umsatz hat sich im Vergleich zum ersten Halbjahr 2023 um ein Viertel auf 1,01 Milliarden Euro reduziert, bei den Motorrädern um 27 Prozent, bei den Fahrrädern um 36 Prozent. Der Verlust liegt bei 172 Millionen Euro (2023: 53 Millionen Euro Gewinn). Die Nettoverschuldung stieg um 89 Prozent auf über 1,4 Milliarden Euro, und die Aktie der Pierer Mobility AG verlor massiv an Wert – Fakten, bei denen einem Angst und Bange werden könnte.

Die Pierer Mobility AG im Krisen-Modus

Den KTM-Bossen jedoch nicht. Zwar verordnete sich Big Boss Stefan Pierer, intern "Oanser" (sinngemäß "Nummer 1") genannt, den Finanzexperten Gottfried Neumeister als neuen "Co-CEO", doch schon fürs zweite Halbjahr 2024 erwartet die Pierer Mobility AG im Motorradbereich eine nur noch leicht negative oder sogar ausgeglichene Bilanz. Wie es zu dem Einbruch kam und wie KTM diese Krise meistern will, darüber sprach MOTORRAD mit Hubert Trunkenpolz, Vorstandsmitglied der Pierer Mobility AG und neuerdings zudem Chef bei MV Agusta.

KTM schreibt gerade tiefrote Zahlen. Sind Sie beunruhigt?

Nein, überhaupt nicht. Aber ich bin natürlich nicht erfreut.

Woran liegt der Einbruch?

Wir hatten bis 2018/2019 ein normales Marktumfeld, dann kam Corona und damit eine riesige Nachfrage nach Zweirädern. Unser Problem war plötzlich, genügend Produkte herzukriegen. Das war wegen der unterbrochenen Lieferketten enorm schwierig und kostspielig. Trotzdem waren alle guten Mutes und der Meinung, dass es so weitergeht.

Was aber nicht passiert ist.

Nein. Die Menschen hatten während Corona verfügbares Einkommen, konnten aber nicht reisen und auch vielen anderen Freizeitaktivitäten nicht nachgehen, und so wurde das Geld für Motorräder und Fahrräder ausgegeben. Das hat sich nach Corona wieder geändert. Da dann auch die Lieferketten wieder funktionierten, konnten wir noch nicht fertig assemblierte Motorräder komplettieren und ausliefern. Zusammen mit einer sinkenden Nachfrage ist eine Situation entstanden, die ich als durchaus dramatisch bezeichnen würde, was die Bestände anbelangt.

Und dadurch ist KTM in die roten Zahlen gerutscht?

Die logische Konsequenz war, dass wir den Abverkauf stützen, bei den Händlerfinanzierungen helfen und auch Rabatte geben. Das hat sich in unserer Bilanz sehr negativ niedergeschlagen, weil wegen der Rabatte unsere Marge gesunken ist, dazu kamen exorbitante Finanzierungskosten für die Händler. Zum Glück sind wir in der Lage, das alles finanziell aus eigener Kraft zu stemmen. Kein einziges Unternehmen der Pierer Mobility AG ist auch nur annähernd gefährdet.

Wie wollen Sie die Krise meistern?

Wir befinden uns in einer scharfen Restrukturierung und versuchen, Angebot und Nachfrage wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Daher haben wir starke Kürzungen in der Produktion, im zweiten Halbjahr dieses Jahres um ein Viertel. Immerhin haben wir aber den ganzen Verlust, den wir in der Fahrradbranche erlitten haben, in den Halbjahresbericht gepackt. Das sieht zwar furchtbar aus und hat einen riesigen Aufschrei gegeben, aber dafür können wir uns jetzt wieder auf das operative Geschäft konzentrieren.

Im ersten Halbjahr 2024 sind bei KTM insgesamt 373 Stellen weggefallen, im September sind es nochmal 200. Geht das noch weiter?

Nein. Wir bedauern zutiefst, und das ist mir wirklich ernst, dass wir wegen der reduzierten Produktion Mitarbeiter abbauen müssen. Aber Ende September werden wir diesen Prozess abschließen. Dann sind wir auf einem Personalstand von gut 5.000 Mitarbeitern, mit dem können und wollen wir weitergehen.

Die Händler geben derzeit bis zu 30 Prozent Rabatt auf 2023er-Modelle, weshalb die teureren 2024er-Modelle stehen bleiben, die dann wieder Rabatte brauchen... Wie kommen Sie da raus?

Indem wir eben ganz brutal die Mengen kürzen. Rabatte tun den Händlern nicht gut, sie tun uns nicht gut, aber vor allem tun sie unseren Marken nicht gut. Das hätten wir liebend gern verhindert, aber irgendwo müssen die Motorräder ja hin.

Wie funktioniert in dieser Lage die Zusammenarbeit mit den Händlern?

Wir wissen, dass wir den Händlern sehr viel abverlangen, und wir versuchen, die Situation in engem Kontakt mit ihnen durchzustehen. Unter anderem verlängern wir die Zahlungsziele, denn wir lassen unsere Händler nicht im Regen stehen, sie sind das kommerzielle Rückgrat unseres Geschäftsmodells.

Kunden und Händler berichten aber auch über Qualitätsprobleme. Wie stellen Sie die ab?

Das haben wir schon. Tatsächlich sind während der Corona-Produktion Qualitätsprobleme entstanden, eben durch die Überproduktion, und weil Teile nicht geliefert wurden. Dann müssen Sie ein fast fertiges Motorrad vom Band nehmen und ins Lager stellen, und wenn dann die Teile kommen, fangen Sie wieder von vorn an. Ein Motorrad, das so zusammengebaut wird, landet zu 90 Prozent in der Garantiestatistik. Jetzt bauen wir in Mattighofen wieder 160.000 bis 170.000 Motorräder. Für diese Kapazität ist das Werk ausgelegt, und nicht für über 200.000 Stück wie vorher. Deshalb können wir jetzt wieder in absolut hoher Qualität produzieren.

KTM hat 2024 den Europa-Vertrieb für die chinesische Marke CFMoto übernommen. Unterstützen Sie damit nicht einen scharfen Konkurrenten?

Der europäische Motorradmarkt ist im letzten Jahr um fünf Prozent gewachsen. Wir aber nicht. Denn wer den Markt antreibt, sind die Chinesen, die sich immer mehr Stücke vom Kuchen holen. Wir arbeiten mit dem aus unserer Sicht besten chinesischen Hersteller zusammen, eben CFMoto, der auch unsere Technologie verwendet, und wir ein Stück weit seine, weil wir künftig den 450er-Motor für GasGas verwenden. CFMoto vertreibt KTM in China, da ist es nur logisch, dass wir das umgekehrt in Europa tun. Wir haben die Marke lieber als Partner, denn als Mitbewerber.

KTM hat bereits einen Teil der Entwicklung nach Indien und China verlagert. Ist da noch mehr geplant?

Nein. Zu dem Thema muss ich etwas ausholen. Wir haben dezidiert gesagt, dass wir die Entwicklung der Elektro-Mobilität nach China verlagern, weil uns die Chinesen in diesem Bereich um Jahre voraus sind. Ansonsten produzieren wir die kleinen Hubräume schon lange bei unserem Partner Bajaj in Indien, und seit sieben Jahren einen Teil der mittleren Baureihe bei CFMoto in China. Die Konzeptentwicklung für alle Produkte findet aber nach wie vor in Mattighofen statt. Auch alles, was Wettbewerbsmotorräder anbelangt und alles mit 990 Kubik und mehr bleibt zu 100 Prozent in Mattighofen. Das ist in Stein gemeißelt!

Im März 2024 hat KTM auch noch 50,1 Prozent an MV Agusta übernommen. Kam das zur Unzeit?

Nein. Wir kommen dort besser voran, als ich ursprünglich gedacht hatte. Das liegt an der guten Zusammenarbeit unserer erfahrenen Mitarbeiter mit dem italienischen Team, dessen Motivation wirklich unglaublich ist! Wir haben die Produktion stabilisiert, das zweite Band ist in Betrieb gegangen, die Qualitätsprobleme haben wir weitgehend im Griff. Aber wir haben einen enormen Bestand an Brutale 800 vom früheren Eigentümer übernommen.

Die werden gerade auch mit ordentlichem Nachlass verkauft.

Wir können sie ja nicht alle behalten. Diese Maßnahme hilft jetzt den neuen MV-Händlern, in Schwung zu kommen. Auf der anderen Seite haben wir eine immense Nachfrage nach der neuen Superveloce 1000 Serie Oro – dieses Motorrad kostet 68.000 Euro und ist de facto ausverkauft! Dadurch fühlen wir uns bestätigt, die Marke hat nach wie vor Kraft. Wir arbeiten außerdem an neuen Modellen, der Brutale-Nachfolger ist schon sehr weit gediehen.

Zurück zu KTM: Wie wollen Sie das Image wieder aufpolieren?

Indem wir uns auf unsere alten Stärken besinnen. Wir haben mit der Überproduktion und den Qualitätsproblemen die Marke KTM beschädigt und müssen das nun ausbügeln. Die KTM-Motorräder müssen wieder ihren Markenkern verkörpern, eben "Ready to Race", was wir mit dem Sport unterstützen. Im nächsten Jahr geht KTM mit vier MotoGP-Maschinen an den Start und tritt wieder im AMA-Supercross an. Husqvarna wird sich auf Motocross konzentrieren, GasGas auf die Motocross-Einsteigerklassen und auf Enduro, beide machen kein Roadracing mehr. Die weite Streuung aller Marken in gleichen Rennserien wird beendet.

Und MV Agusta im Rennsport?

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Es ist kein Geheimnis, dass wir mit MV Agusta die Rückkehr in die MotoGP-WM anstreben, wohl 2027 mit dem neuen Reglement. Aber wir bauen ganz sicher keine zwei GP-Motoren für MV und KTM, das ist viel zu teuer. Außerdem kann es ja nur einen Motor geben, der für uns der Beste ist – wer würde dann den zweitbesten bekommen, MV oder KTM? Bestimmt wird auch der neue Rechte-Inhaber der MotoGP-WM, die Liberty Media, neue Ideen einbringen, damit aus dem Ducati-Markenpokal wieder eine attraktive Mehr-Marken-WM wird. Nichts gegen Ducati, aber acht Motorräder vom selben Hersteller am Start, das ist übertrieben.

Wann ist KTM respektive die Pierer Mobility AG wieder in den schwarzen Zahlen?

Nächstes Jahr.  © Motorrad-Online

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