Intime Bilder an die Smartphones der Mitschüler schicken, Beschimpfungen auf Facebook posten - Cybermobbing hat viele Facetten. Das ist längst ein verbreitetes Phänomen, auch weil Mitgefühl nicht zum Lehrplan passt.
Um ihrem Freund zu gefallen, schickt ihm die 14-jährige Sophie (Name geändert) Bilder von sich mit nacktem Oberkörper. Nach der Trennung gibt er sie per Whatsapp an gemeinsame Mitschüler weiter. Sophie habe sich damals selbst die Schuld gegeben, erzählt Birgit Kimmel von der Landeszentrale für Medien und Kommunikation (LMK) Rheinland-Pfalz in Ludwigshafen. Sie habe sich gedacht: "Ich hab's ja selbst weitergeschickt".
Die 14-Jährige schämte sich zu sehr, um sich Hilfe zu holen. Medienscouts ihrer Schule bemerkten die Fotos und intervenierten, berichtet Kimmel. Das Mädchen könne inzwischen dank psychologischer Betreuung mit dem Vorfall umgehen und sei an ihrer Schule geblieben.
Bis zu 30 Prozent der Schüler werden Mobbingopfer
Cybermobbing sei ein bundesweites Phänomen und durchaus keines, das sich auf Großstädte beschränke, sagt Maria Große Perdekamp von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (BKE) in Nürnberg. Und weil Smartphones inzwischen bei fast allen Jugendlichen Standard seien, sei das Problem eher noch größer geworden. Hinzu kommt, dass das Alter der Kinder, die Smartphones nutzen, sinke, sagt Große Perdekamp, die bei der BKE die Onlineberatung leitet.
Kinder und Jugendliche mit Hilfe von Whatsapp, Snapchat, Twitter, Facebook und Co. bloßzustellen, ist mittlerweile Alltag. Andere würden beleidigt, ausgrenzt oder bedroht, ergänzt Katja Waligora von der schulpsychologischen Beratung des Pädagogischen Landesinstitut Rheinland-Pfalz in Bad Kreuznach.
Studien aus Rheinland-Pfalz zufolge sind etwa 15 bis 30 Prozent der Schüler betroffen. Weil im digitalen Raum der direkte Kontakt zwischen Tätern und Opfern fehle, sinke die Hemmschwelle, sagt Waligora. Doch Mobbing, egal in welcher Variante, hinterlasse psychische Spuren.
Vom Gefühl der Ausgrenzung bis zum Suizid
Gefühle von Ausgrenzung gehörten dazu, bis hin zu Depressionen, Schlafstörungen, Bauchschmerzen, Selbstverletzung und Suizid, erklärt Susanne Rödiger. Sie ist die medienpädagogische Projektmanagerin der Selbstschutzplattform juuuport mit Sitz in Hannover, über die sich junge Menschen zu Themen rund ums Internet anonym beraten lassen können.
Einer der ehrenamtlichen juuuport-Helfer ist der 17-jährige Schüler Jonas Hotze. Er findet vor allem die Reichweite erschreckend. "Alle sehen es. Und der Betroffene wird wahrscheinlich in der Schule oder beim Spazierengehen darauf angesprochen", sagt er.
Bei Anfragen versucht Hotze, Ratschläge zu geben und vor allem, den Betroffenen Mut zu machen. "Sie haben oft Angst, dass wieder ein neuer beleidigender Post ins Internet geladen wird oder das Mobbing in der Schule weitergeht."
Mitgefühl ist im Unterricht "nicht mehr so das Thema"
In fast allen Fällen geht dem Online-Mobbing Offline-Mobbing voraus. Birgit Kimmel spricht von etwa 80 Prozent der Fälle. "Das beginnt schon ganz früh." Typische Situationen seien, wenn sich eine Gruppe neu findet oder wenn zum Beispiel eine neue Person in die Klasse kommt. Den Tätern gehe es darum, Macht auszuüben und auf Kosten anderer anerkannt zu werden.
Gegen das Cybermobbing vorzugehen sei eine der Pflichten der Schulen - der sie allerdings nicht ausreichend nachkämen, kritisiert Kimmel. "Menschenbildung" und das Erlernen von Mitgefühl sei in der Schule "nicht mehr so das Thema". Der Fokus liege auf Informationsvermittlung.
Präventive Arbeit bereits in der Grundschule beginnen
Dieses Versäumnis beginne schon bei der Ausbildung von Lehrern. Sie seien bei Mobbing in ihren Klassen dann schlicht überfordert, meint Kimmel. Dabei müsste präventive Arbeit bereits in der Grundschule anfangen. Vor allem müsse den Lehrern bei Interventionen und der Suche nach Lösungen klar sein: "Schnell geht nicht".
Leidtragende reagieren Kimmel zufolge sehr unterschiedlich: "Je länger ein Mobbing andauert, umso unberechenbarer werden die Reaktionen des Opfers." Einige tickten irgendwann aus und brüllten in der Klasse herum. Das erschwert es anderen, Verständnis für ihre Probleme zu entwickeln. Denn solches Verhalten führe langfristig dazu, dass die Mitschüler zu dem Schluss kämen: "Das ist ja wirklich ein Idiot, der hat es verdient." © dpa
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