Wer ungefragt Nacktbilder verschickt, macht sich strafbar. Was Betroffene aktiv gegen die Belästigung und das Ekelgefühl unternehmen können, erklärt eine Expertin.

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Viele Frauen waren schon mal in dieser unangenehmen Lage: Nichtsahnend öffnen sie eine Nachricht, aber statt eines Textes oder eines harmlosen Bildes ist ein Nacktbild oder ein sogenanntes "Dickpic", also ein Foto eines meist erigierten männlichen Glieds zu sehen. Überraschung, Schock und Abscheu sind bei den Betroffenen häufig so groß, dass sie das Bild gleich löschen – und der Versender ungeschoren davonkommt. Bei den Empfängerinnen hingegen kann ein unfreiwillig empfangenes Nacktbild viel Negatives auslösen.

Claudia Otte ist Betroffenenberaterin bei der Organisation HateAid, einer Beratungsstelle gegen Hass und Belästigung im Internet. Sie sagt: "Das Empfangen von unerwünschten 'Dickpics' stellt immer einen Übergriff dar und lässt Betroffene häufig mit einem Gefühl von Ekel, Überforderung und Fassungslosigkeit zurück. Viele wissen nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen und fühlen sich belästigt. Bei Personen, die bereits sexualisierte Gewalt erlebt haben, kann es im schlimmsten Fall zu einer Retraumatisierung kommen, denn ein 'Dickpic' ist ebenfalls eine Form von sexualisierter Gewalt – eben bildbasiert."

Ungewollte Nacktbilder sind sexuelle Belästigung

Und sie ist leider weit verbreitet, wie Umfragen belegen. Anfang des Jahres stellte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) die Ergebnisse der repräsentativen Studie "Lauter Hass – leiser Rückzug" vor. 29 Prozent der mehr als 3.000 Befragten gaben an, bereits ungefragt ein Nacktfoto oder "Dickpic" erhalten zu haben. Eine Befragung von Frauen zwischen 18 und 36 Jahren in Großbritannien im Jahr 2018 hatte ergeben, dass vier von zehn Frauen unaufgefordert ein Penisfoto erhalten hatten.

Doch warum machen Männer das? Während viele durch das ungefragte Verschicken von Penisfotos Männlichkeit und Macht demonstrieren wollen, erhoffen sich andere eine Art Gegenleistung, sagt Claudia Otte. "Tatsächlich besagt eine Studie aus dem Jahr 2020, dass fast die Hälfte der Befragten, die ein Dickpic verschickten, hofften, im Gegenzug mit einem Nacktbild belohnt zu werden."

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Da die meisten Opfer (und wohl auch viele Täter) nicht wissen, dass es sich um sexuelle Belästigung handelt oder weil sie den Vorfall so schnell wie möglich verdrängen wollen, bleiben die meisten Fälle ungeahndet. Doch das unaufgeforderte Verschicken von "Dickpics" ist strafbar. Im Strafgesetzbuch wird der Tatbestand unter Paragraf 184 geführt, der die Verbreitung pornografischer Inhalte behandelt. Neben Geldbußen kann auch eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr drohen.

Für einen 23-jährigen Mann endete das ungefragte Verschicken von sexualisierten Text- und Bildnachrichten an eine Frau teuer, wie ein Fall aus Stralsund Anfang Juni zeigt. Eine Pressemitteilung des Landgerichts klärt über die "zivilrechtlichen Folgen des ungefragten Versands von Textnachrichten mit pornografischem Inhalt, Fotos eines männlichen Gliedes sowie eines Masturbationsvideos" auf. Insgesamt kostete den Beklagten das unerbetene Verschicken der Inhalte inklusive Gerichts- und Anwaltskosten rund 12.500 Euro. Die Klägerin erhielt 4.000 Euro Entschädigung.

"Dickpic" erhalten - was tun?

Die Polizeiliche Kriminalpräventation der Länder und des Bundes rät allen Betroffenen, sich zu wehren und folgendermaßen vorzugehen:

  • Beweise sichern: Screenshots von Nachrichten und Fotos machen.
  • Die gesicherten Bilder nicht weiterverbreiten.
  • Den Kontakt blockieren und beim Seitenbetreiber melden.
  • Anzeige bei der Polizei erstatten.

Claudia Otte von HateAid betrachtet jeden Fall individuell. Sie sagt: "Wir bestärken Betroffene darin, juristische Schritte einzuleiten, wenn sie dies möchten. Für sie kann es nach einem solchen sexuellen Übergriff heilsam sein, wieder ins Handeln zu kommen und aktiv gegen die Tatperson vorzugehen. Und ihr klarzumachen, dass Grenzen überschritten wurden. Außerdem wird den Strafverfolgungsbehörden nur durch zahlreiches Anzeigen deutlich, dass es sich bei 'Dickpics' um ein weit verbreitetes Phänomen handelt, das gesellschaftliche Relevanz hat und konsequent verfolgt gehört."

Betroffene hätten zudem die Möglichkeit, rechtliche Verstöße und Verstöße gegen die Community-Guidelines bei den Social-Media-Plattformen direkt zu melden. Außerdem können sie bei HateAid eine Meldung einreichen oder über die Plattform "Dickstinction" direkt Anzeige erstatten. Doch nicht für alle Betroffenen sei es die beste Lösung, den Vorfall weiterzuverfolgen, da ihnen schlichtweg die Energie fehle oder sie keinen Sinn in einer Anzeige sähen: "Der Umgang kann also sehr individuell sein. Generell raten wir allen Betroffenen, sich mit möglichen negativen Gefühlen und Gedanken auseinandersetzen, diese ernst zu nehmen und danach zu entscheiden, wie sie mit der Situation umgehen möchten. Ein Beratungsgespräch kann dabei helfen."

Dass sich unfreiwillige Empfängerinnen von pornografischen Inhalten mitunter über längere Zeit unwohl fühlen, sei wie bei allen Gewalterfahrungen keine Seltenheit, sagt Claudia Otte. Deshalb sei es wichtig, sich mit dem Erfahrenen auseinanderzusetzen. "Es kann helfen, sich immer wieder bewusst zu machen, dass man selbst, egal was vorher passiert ist, keine Schuld am übergriffigen Verhalten trägt. Die Verantwortung liegt klar bei der Tatperson."

Weiter sagt sie: "Anderen kann es helfen, in Erfahrung zu bringen, aus welchen Gründen jemand ein 'Dickpic' verschickt und sich bewusst machen, dass es hierbei um die Ausübung von Macht geht. Die Tatpersonen bringen die Betroffenen in eine unangenehme Situation, indem sie ungefragt Fotos teilen und in den meisten Fällen nicht einmal mit Konsequenzen rechnen müssen. Ein bewusstes Aktivwerden in Form einer Anzeige kann also durchaus auch eine gute Bewältigungsstrategie sein."

Über die Gesprächspartnerin

  • Claudia Otte ist Sozialarbeiterin und seit 2020 Teil von HateAid. Sie berät Betroffene digitaler Gewalt und klärt über die Folgen von Hass im Netz auf.

Verwendete Quellen

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