Berlin (dpa) - Wenn eine gezielte Falschnachricht erst in der Welt ist, wird sie in sozialen Medien oft tausendfach geteilt. Sie dann wirkungsvoll zu korrigieren, sei fast nicht möglich, sagt Prof. Stephan Weichert im Interview.
"Damit entsteht in unserem Informations-Ökosystem ein neues Kräfteverhältnis, das es so früher nicht gegeben hat." Weichert plädiert dafür, Fake News nicht nur zu kennzeichnen, sondern zu löschen. Allerdings dürfe nicht der Staat die Rolle des Zensors übernehmen.
Gezielte Falschmeldungen gab es schon immer, was ist neu an den Fake News von heute?
Stephan Weichert: Das Spezifische an Fake News ist, dass sie gleichrangig neben Informationen hoher Güte und Qualität stehen. Und dass sie so schwer nachverfolgbar sind. Facebook und andere Netzwerke haben unser Informations-Ökosystem einfach auf den Kopf gestellt. Jeder hat Zugriff, jeder kann sich wie ein Medium artikulieren, ohne dass das jemand überprüft. Wenn einmal eine Falschmeldung erst in der Welt ist und die tausendfach geteilt wurde wie im Fall von
Facebook will mit Hilfe des Recherchezentrums Correctiv gegen Fake News vorgehen und sie künftig kennzeichnen - ist das der richtige Weg?
Weichert: Ich war vor einigen Wochen erschrocken, als der Bundesinnenminister angekündigt hat, es gebe bald eine Art staatliche Zensurbehörde, die das kontrolliert. Was solche staatliche Maßnahmen angeht, bin ich sehr, sehr skeptisch. Dass der Staat die Rolle des Zensors übernimmt, ist einem demokratischen Mediensystem schlicht undenkbar, selbst wenn es um das Thema Fake News geht. Gefreut hat mich an der Nachricht über Correctiv, dass es den starken Wunsch von Facebook gibt, sich journalistische Kompetenz in die Bearbeitung dieser Problematik zu holen. Man hat einen Akteur gefunden, der sich als Non-Profit-Redaktion versteht, der sich über Stiftungen finanziert. Aber was mich noch etwas wundert, warum sollte sich eine Redaktion in den Dienst eines sozialen Netzwerkes stellen und deren Arbeit machen? Entlastet man da nicht Facebook um Aufgaben, die es selbst zu machen hätte? Die Frage ist auch, sucht sich Facebook da nicht jemanden aus, der in der Branche einen guten Ruf genießt, um sein Gewissen zu beruhigen?
Fake News grundsätzlich zu kennzeichnen, wie finden Sie das?
Weichert: Ich habe bisher noch kein besseres Modell gehört, irgendwie muss man es ja machen. Ich finde so ein Labeling, stärker darauf hinzuweisen, was ist eine vertrauenswürdige Quelle, was ist eine journalistische, was ist eine private Meinung, ist auf jeden Fall ein richtiger Ansatz. Kurz vor der Bundestagswahl gibt es damit jetzt eine Handhabe, die kurzfristig, pragmatisch, gut anwendbar ist. Vielleicht muss man so ein Labeling jetzt einfach mal ausprobieren. Wie das aussieht, ist allerdings noch gar nicht klar. Ich bin auch der Auffassung, wenn es eine Fake News ist, dann muss sie auch gleich gelöscht werden.
Das ist aber umstritten.
Weichert: Ja. Aber wenn irgendwo geschrieben wird, "
Jüngere Mediennutzer, die Millennials, informieren sich über Nachrichten oft in sozialen Medien - sind sie besonders stark gefährdet, auf Fake News hereinzufallen?
Weichert: Ohne Altersdiskriminierung betreiben zu wollen, ich glaube ja. Es ist tatsächlich so, dass Jugendliche und junge Erwachsene einen Großteil ihrer Informationen aus sozialen Netzwerken beziehen. Das ist in Amerika noch viel extremer als hier. Und sie können zwischen den Nachrichtenquellen oft nicht mehr unterscheiden. Darin liegt die Gefahr, leichter auf Fake News reinzufallen, wenn nur oberflächlich gelesen wird, kein Plausibilitätstest mehr gemacht, nicht mehr gefragt wird, kann das eigentlich sein, dass Papst Franziskus Donald Trump unterstützt? Das wird oft unreflektiert geteilt und als Tatsache wahrgenommen.
Wie sehen Sie das für die nähere Zukunft?
Weichert: Wir sind an einem Wendepunkt: Wie kriegt man die 16-Jährigen noch eingefangen? Wie kriegt man sie dazu, sich mit Journalismus zu beschäftigen? Das ist vielleicht die letzte Generation, bei der wir noch etwas richtig machen können, die nächste weiß dann am Ende gar nicht mehr, was die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" oder die "Süddeutsche" ist. Diese Marken sind denen nicht mehr vertraut. Dann ist die Frage, wie unser Informations-Ökosystem überhaupt noch funktioniert und ob Journalismus darin noch eine große Rolle spielen wird.
Zur Frage, ob Medien in einer Glaubwürdigkeitskrise stecken, gibt es ganz verschiedene Einschätzungen, wie sehen Sie das?
Weichert: Am Ende ist nach wie vor die Frage, ob das Vertrauen abnimmt. Über einen längeren Zeitraum kann man sehen, dass Medien an Glaubwürdigkeit verloren haben. Das Misstrauen gegenüber den sogenannten Mainstream-Medien scheint auch in Deutschland zu wachsen, es scheint immer mehr Kritik gegenüber Journalisten und ihren Berichterstattungsmethoden zu geben. Das ist auch eine Folge von dem, was wir seit zwei, drei Jahren durch Pegida und AfD erleben, also Populisten, die sich gegen traditionelle Medien positionieren.
Das Thema könnte im Jahr des Bundestagswahlkampfs ja noch an Bedeutung gewinnen.
Weichert: Die große Frage ist, was tut man dagegen? Sollen wir noch transparenter werden, sollen wir noch mehr erklären, wie unsere Arbeit ist als Journalisten? Bringt das überhaupt etwas? Wie viele Leute bekommen das überhaupt mit? Das ist ja nur ein Bruchteil der Bevölkerung.
Sie sind Mitgründer des Debattenportals «Vocer», das zu einer Netzwende aufruft, was ist damit gemeint?
Weichert: Wir wollen Trump und die US-Wahl zum Anlass nehmen, uns nochmal ganz grundsätzlich zu fragen, was im Netz alles schief läuft und was besser laufen muss. Und wie wir Journalisten unser Berufsbild noch stärker als Moderatoren verstehen müssen, die Debatten begleiten. Und es geht um Frage, wie man jüngere Mediennutzer noch erreichen kann. Dazu werden wir in den nächsten Wochen einige Beiträge veröffentlichen. Netzwende ist auch der Hashtag dazu. Netzwende, weil Trump für uns Journalisten der Weckruf war, wie damals Tschernobyl der für die Atompolitik und die spätere Energiewende.
Zur Person: Stephan Weichert wurde 1973 geboren, studierte unter anderem Psychologie und Medienwissenschaft an der Universität Trier, außerdem Soziologie, Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Uni Hamburg. Er promovierte 2006 dort an der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Er ist Professor für Journalismus und Kommunikationswissenschaft an der Hochschule Macromedia. Außerdem ist er wissenschaftlicher Leiter des Masterstudiengangs Digital Journalism an der Hamburg Media School und Mitbegründer des Portals "Vocer". © dpa
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