Gerade macht wieder ein WhatsApp-"Virus" die Runde. Zwar enthält er keine Schadsoftware, stiftet aber einige Unruhe bei Nutzern. Wir haben bei den Fake-News-Spezialisten von Mimikama nachgefragt, ob Klickfallen und Fakes zunehmen - und warum wir so leicht darauf hereinfallen.

Ein Interview

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Jeder Internet-Nutzer sieht sich über kurz oder lang mit Fakes konfrontiert: Ob Klickfalle oder Kettenbrief, gefälschtes Ekelvideo oder falsches Gewinnspiel. Gerade kursiert ein angeblicher WhatsApp-Virus. Nehmen solche Fälle zu? Wir haben bei den Experten nachgefragt.

Immer wieder kursiert eine angebliche Shampoo-Warnung auf Facebook, die sich als per Photoshop auf einen Hals montierte Lotos-Kapsel entpuppte. Solange ein Video nur mit Ekelbildern lockt oder es angeblich etwas zu gewinnen gibt, zuckt bei vielen Nutzern schnell der Finger. Was macht Menschen so anfällig für solche Maschen?

Andre Wolf: Bei dem Beispiel mit der Lotos-Kapsel kommt viel zusammen: Einmal wird mit dem Ekel gespielt, dann wird da gelockt und auf ein Gewinnspiel verwiesen.

Gerade beim Ekel ist es diese Faszination des Fremden: Man klickt etwas an, um zu schauen, was da wirklich dahintersteckt. Bei Gewinnspielen ist es die Hoffnung, dass man doch einmal begünstigt wird.

Oftmals fehlt das Verständnis dafür, was im Hintergrund passieren kann, wenn ich etwas anklicke und an etwas teilnehme.

Greift hier eine grundsätzliche Naivität oder fehlt das technische Verständnis?

Naivität würde ich das nicht nennen, sondern tatsächlich fehlendes Verständnis dafür, was passieren kann.

Für die Nutzer ist es immer nur ein Klick. Man hat das Gefühl, man hat gar nicht viel getan. Aber was ein Klick bewirken kann, dessen sind sich die meisten Menschen nicht bewusst.

Unser Ansatz ist: Man muss in der Bildung mehr machen. Dass es in Schulen einen Bereich Digitale Medienbildung gibt, dass man auch in der Erwachsenenbildung vorwärtskommt.

Das Netz schreitet weiter voran. Social Media schreitet weiter voran. Und wir müssen damit klarkommen. Das heißt, wir müssen auch lernen, damit klarzukommen.

Steigt die Zahl der Fakes an?

Nein, in den vergangenen drei Jahren haben wir weder eine große Zu- noch eine große Abnahme beobachten können.

Wenn ein Attentat oder ein Anschlag passiert ist in der realen Welt, dann hat man punktuell einen Anstieg. Das liegt auch daran, dass dann die Meldungen ansteigen. Das geht Hand in Hand.

Im Zuge der Flüchtlingskrise war dieser einmalige, richtig große Anstieg. Wir haben schon im Jahr 2014 gemerkt, dass sich da etwas ändert. Aber seitdem sind wir auf einem gleichbleibenden Level.

Es kommt in Wellen, je nachdem, was gerade los ist. Wenn es grad nicht um Flüchtlinge oder den Islam geht, kommen andere Sachen wieder auf den Tisch: Wir haben wieder mehr Kettenbriefe vorliegen, oder jemand macht wieder Fake-Gewinnspiele.

Das einzige ist, dass viele Menschen mittlerweile besser damit umgehen und wissen, dass es Falschmeldungen gibt auf Social Media. Das Bewusstsein ist jetzt da.

Ihr werdet ja von Nutzern auf die Meldungen aufmerksam gemacht. Wie viele Anfragen erreichen euch am Tag?

Das ist unterschiedlich. Das hat immer auch damit zu tun, was gerade draußen passiert. Wir kriegen am Tag über die verschiedenen Kanäle um die 100 Anfragen, die sich aber häufig doppeln.

Das ist für uns auch gut. Da haben wir einen Indikator, welches Thema gerade relevant ist - und bei dem man entsprechend zeitnah darüber berichten sollte.

Welches sind die häufigsten Klickfallen?

Insgesamt ist vieles Zufall und hat auch mit der Dynamik von Social Media zu tun.

Punktuell sind immer wieder Todesmeldungen von Stars dabei. Im Februar hieß es etwa, Sylvester Stallone wäre gestorben: Knapp eine Million Menschen haben diese Falschmeldung geteilt. Das ist punktuell ein großes Aufkommen von Traffic, von Reichweite.

Alle vier bis sechs Wochen tauchen diese typischen Kettenbriefe auf: Vorsicht, diesen Account nicht als Freund annehmen, er ist ein Hacker und so etwas. Das kommt immer mittelfristig.

Und zu jedem Wochenende hin tauchen immer sehr viele Fake-Gewinnspiele auf Facebook auf - um Traumhäuser oder Traumreisen -, woran Zehntausende Menschen teilnehmen und natürlich nichts gewinnen.

Zum Wochenende hin wünschen sich die Leute wahrscheinlich verstärkt Urlaub - und fallen eher darauf herein.

Wir haben häufig überlegt, woran es liegt: Es geht immer Donnerstagabend los und Sonntagabend oder Montag werden die Gewinnspiele deaktiviert, sodass die Seiten, die das betreiben, nicht gelöscht werden können.

Ob das daran liegt, dass viele Firmen am Wochenende halt Wochenende machen und deren Reputationsmanagement das nicht melden kann, oder ob sich das generell so eingebürgert hat, ich weiß es nicht.

Lässt sich bei Fake-Todesfällen zurückverfolgen, wer die ursprüngliche Quelle war?

Sehr selten. Das liegt auch daran, dass vieles aus einem Netzwerk in ein anderes überschwappt. Da ist etwas auf Reddit entstanden als Trollerei und schwappt dann rüber zu Twitter oder Facebook.

Vieles wird schief übersetzt und dann falsch übernommen. Das haben wir alles schon beobachtet, speziell bei der angeblich mit HIV infizierten Nadel in Saftpistolen: Da konnte man feststellen, dass eine US-amerikanische Statusmeldung durch den Facebook-Übersetzer erst auf Italienisch und dann irgendwann auf Deutsch erschien - und sich immer leichte Übersetzungsfehler eingeschlichen haben, die in der noch existierenden deutschen Statusmeldung weiter drin sind.

Wie oft kommt es vor, dass Satire-Sites etwas posten, das jemand für bare Münze nimmt, und ein Fake so seinen Lauf nimmt?

Das haben wir regelmäßig. Man muss genau aufpassen, wo etwas herkommt. Dass jemand eine "Postillon"-Meldung falsch auffasst, passiert schon, ist aber meistens recht harmlos.

Es gibt aber viele Websites, die unter dem Deckmantel der Satire absichtlich falsche Meldungen kreieren. Wirklich gefährlich ist, wenn böswillige Seiten behaupten, sie machen Satire, und absichtlich lügen.

Zum Beispiel?

Ich habe einen Artikel über einen Fall geschrieben, wo wieder mal eine Grafik von Uwe Ostertag benutzt wurde.

Uwe Ostertag ist ein selbsternannter Troll, der mittlerweile sogar verurteilt ist wegen seiner Art der Darstellung. Seine Bildchen tragen immer den Zusatz "In Satira". Das ist natürlich keine Satire, wie mittlerweile auch gerichtlich festgestellt worden ist.

Anmerkung: Uwe Ostertag teilt immer wieder selbst gebastelte Memes mit erfundenen Zitaten von Politikern. Weil er 2016 eine Geldstrafe wegen Volksverhetzung nicht bezahlt hatte, kam es zu einem Prozess. Im Februar 2017 wurde Ostertag zu 22 Monaten Haft verurteilt. Im Berufungsprozess am 25. Januar 2018 wurde Ostertags Strafe auf vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Er bekam zudem eine Geldstrafe von 1.200 Euro. Das Urteil ist rechtskräftig.

Gilt das auch für Medien oder Blogs wie RT Deutsch und Unzensuriert.at? Was sie veröffentlichen, grenzt teilweise an Falschberichterstattung.

Hier sind wir in ganz anderen Bereichen. Das müssen wir ganz klar trennen. Das sind Redaktionslinien, die arbeiten nun mal so.

Wenn man diese Medien konsumiert, muss man wissen, dass man eine sehr einseitige Berichterstattung vorfindet, dass gewisse Elemente und Themen generell ausgeblendet werden und dass nur aus einem einseitigen Themenpool Inhalte kommen.

Es ist also eine Gratwanderung: Man kann es nicht wirklich als Fake bezeichnen, man kann nicht großartig etwas dagegen unternehmen, es sei denn, es geht um Verhetzung?

Wenn Verhetzung stattfindet, dann natürlich. Ansonsten muss ich als Leser oder Leserin wissen, welchen Charakter diese Formate haben und welche Intention dahintersteht. Und da sind wir natürlich wieder beim Thema digitale Medienkompetenz und Bildung.

Was war der bestgemachte Fake, der euch je untergekommen ist?

Boah! (lacht) Wir haben viele tolle Falschmeldungen erlebt in all den Jahren. Ernsthaft: Viele Falschmeldungen haben auch zu Freundschaften geführt, weil das teilweise Aktionen waren, die nett gemeint waren.

Das Krankste und Lustigste überhaupt war die Verschwörungstheorie, dass Radieschen über Nacht schrumpeln, wenn man sie neben WLAN-Geräte legt. Das fanden wir so faszinierend, dass wir uns Radieschen gekauft und den Realtest gemacht haben. Natürlich schrumpeln sie nicht. (lacht)

Eine ganz tolle, groß angelegte Reihe war der sogenannte Moselkurier. Das war ein Fake-News-Projekt vom Bohemian Browser Ballett, was so nicht ersichtlich war.

Wir sind wirklich nur durch Recherchearbeit und Zufall dahintergestiegen, wer dahinter steckte. Mit denen sind wir bis heute in Kontakt und gut befreundet.

Und dann verschiedene False-Flag-Aktionen, bei denen kleine Details den Fake verraten haben.

Was bedeutet False Flag?

Dass einen jemand absichtlich in eine Falle lockt. Dass etwas so gemacht wurde, dass man darauf reagiert. Der Begriff kommt aus der Militärsprache und bedeutet "das falsche Ziel".

Diese Geschichte mit den Sozialamtsstreifen war eine typische False-Flag-Geschichte. Da wurde ein Fake verbreitet über ein Abriss-Zettelchen im Wert von 200 Euro für Asylbewerber von der Stadt Chemnitz.

Das war eigentlich eine ganz tolle Geschichte. Der Macher hatte das gespickt mit ganz vielen kleinen Details. Man hätte erkennen können, dass das eine False-Flag-Aktion war.

Viele Menschen haben das geteilt, haben sich tierisch darüber aufgeregt, dass Asylbewerber alles geschenkt bekommen würden.

Der Macher dieser Geschichte hat dann einfach nur gewartet, bis weit über 10.000 Menschen sie geteilt haben. Und dann hat er das Bild ausgewechselt - und 10.000 Menschen hatten plötzlich eine völlig andere, konträre Botschaft geteilt. Das war faszinierend.

In einer früheren Version dieses Artikels wurde berichtet, Uwe Ostertag habe vier Jahre auf Bewährung erhalten. Richtig ist, dass seine Strafe auf vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Andre Wolf ist Pressesprecher und Content Coordinator von Mimikama. Außerdem kümmert er sich um die Social-Media-Auftritte des Vereins. Mimikama aus Wien ist der größte Aufdecker von Fakes im deutschsprachigen Raum. Nutzer können dem großteils ehrenamtlich arbeitenden Team mutmaßliche Fälschungen melden, über die der Verein dann auf seiner Website und auf Facebook berichtet.
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