- Christian Drosten rückte vor knapp zwei Jahren plötzlich in den Fokus der Öffentlichkeit.
- Über seine Erfahrungen in der Pandemie, Mängel der Politik und wie er sich mit wem austauscht, erzählt der Virologe in einem aktuellen Interview.
Wie sprechen Wissenschaft und Medien eigentlich über Corona? Und mit wem? Warum erreichen sie so viele Menschen nicht mit den Fakten? Was ist schiefgelaufen in den vergangenen zwei Jahren Pandemie-Berichterstattung?
In der neuen Folge des "Pandemia"-Podcasts gibt
Christian Drosten: "Habe mit so etwas wie Omikron nicht jetzt schon gerechnet"
Sie haben in der 99. Folge des Coronavirus-Updates gesagt, die Wissenschaft habe "geliefert" und die großen Linien seien jetzt im Grunde klar. Das klang so ein bisschen nach: "Meine Arbeit ist getan." Jetzt ist Omikron da und jetzt gibt es wieder sehr viel Bedarf, die Neuigkeiten einzuordnen. Kommen jetzt doch noch mal 100 Folgen?
Christian Drosten: Das würde ich so nicht sagen, aber es ist schon eine interessante Frage. Ich habe einfach mit so etwas wie Omikron nicht jetzt schon gerechnet. Ich habe eigentlich gedacht, das ist etwas für den nächsten Winter. Das ändert schon ein bisschen die Situation.
Jetzt haben die Menschen ein wahnsinniges Informationsbedürfnis, es wird ja auch stundenlang über Omikron geredet. Aber vieles ist schon hundertmal gesagt worden, vor allem, dass wir mehr impfen müssen. Verzetteln wir uns manchmal im Detail, statt die einfachen Botschaften rüberzubringen?
Ich glaube, man verzettelt sich vor allem in der Umsetzung. Das ist ja das große Problem in der ganzen Pandemie und das haben wir hier natürlich auch. Wir wissen jetzt, nachdem die neuesten Immunitäts-Daten da sind, dass sich eigentlich nichts geändert hat an den Empfehlungen. Man muss alle Impf-Lücken schließen und man muss boostern. Die Frage ist: Gibt es genug Impfstoff? Wie bringt man das an die Leute? Und da ist die Langsamkeit.
Ich finde es so erstaunlich, dass wir jetzt eine Bevölkerung haben, die irgendwie über Inzidenzen und Impfstoffe und Virus-Varianten diskutieren kann, auch dank Ihres Podcasts, wir aber gleichzeitig in der Bewältigung der Pandemie - zumindest hat man manchmal das Gefühl - nicht so viel besser dastehen als 1918. Und wir haben diese riesige Impf-Lücke. Woran liegt das?
Na ja, also das ist die regulative Ebene, auch die Entscheidungsträger-Ebene. Ich würde denken, ersteres noch viel mehr. Also die Entscheidungsträger vom Bundeskanzler bis runter zu Kommunalpolitikern müssen ja auch mit der Umsetzungsebene irgendwie kommunizieren. Und wenn da weiter in Zuständigkeiten gedacht wird, wenn jeder Pragmatismus angesichts einer Notfallsituation abgelehnt wird, wird es natürlich sehr schwierig.
Glauben Sie, dass diese Pandemie dazu führen wird, dass gesundheitspolitische Themen einfach mehr in der Realität der Bevölkerung präsent sind?
Ein Bewusstsein für Gesundheitsversorgung wird stärker entstehen, da bin ich mir sicher. Und man wird bestimmte Teilaspekte besser öffentlich diskutieren können, also Pflege und Krankenversicherung vielleicht auch, dann die Finanzierung der Krankenhäuser. Ich glaube, solche Dinge werden besser zu diskutieren sein. Die Tiefen der Gesundheitspolitik werden nicht von öffentlichem Interesse sein. Die sind manchmal dann doch langweilig.
"Habe mich an ein paar Sachen gewöhnt"
Wir sind jetzt zwei Jahre in der Pandemie. Es gibt nun viel mehr wissenschaftliche Stimmen in der Öffentlichkeit. Am Anfang waren Sie da ziemlich alleine. Wie bewerten Sie das? Gerade am Anfang gab es ja immer die Konflikte, dann gab es unterschiedliche Stimmen. Wie ist das mittlerweile?
Also ich finde es eigentlich gut, dass gerade in letzter Zeit deutlich mehr Personen dazugekommen sind. Jetzt auch nicht nur aus der Virologie, sondern da ist Immunologie dazugekommen, also wirklich fachspezifische Leute, die sich auskennen. Und wir hatten eigentlich so die Tiefphase letztes Jahr beginnend im Oktober und dann November, als wirklich diese verwirrenden Botschaften kamen, die letztendlich dafür gesorgt haben, dass wir dann November/Dezember diesen sehr schlechten Teil-Lockdown hatten, mit hohen Zahlen, und es wurde gar nicht so richtig kontrolliert. Und dann zog sich das ja eigentlich so durch die ganze erste Jahreshälfte. Inzwischen bin ich schon relativ froh, dass Leute, ich will fast sagen unverbrauchte Leute, dazugekommen sind. Ich sehe auch, dass diejenigen, die von Anfang an dabei waren und die jetzt auch in den Medien unfair in Kritik geraten sind, einfach inzwischen ausgelaugt sind. Ich habe für mich manchmal so das Gefühl, ich bin da schon fast drüber weg und habe mich an ein paar Sachen gewöhnt. Und ich sehe, dass diese Prozesse parallel laufen, also das macht einfach was mit einem.
Fehlt es auch einfach an Geistes- und Sozialwissenschaftlern, die vielleicht auf diese andere Ebene, also dieser Impf-Abneigung gegenüber, etwas ändern könnten?
Ich sehe gar nicht, dass so viele Geistes- und Sozialwissenschaftler sehr informierend und engagiert in der Wissenschaftskommunikation sind. Da gibt es schon hier und da Kommentare, es gibt sicherlich auch Leute, die immer wieder auftreten. Es gibt aber – vielleicht auch, weil man sich da noch schwieriger an Fachgrenzen halten kann und an wirkliche Kompetenzfelder – schon sehr gemischte Botschaften, auch aus diesem Feld. Auch Botschaften, da muss man schon sagen: "Moment. Wenn man sich jetzt ein bisschen mit der Infektionsbiologie befasst hätte, dann würde man das so nicht sagen." Und da wäre es schon gut, bevor man sehr breite öffentliche Statements macht mit zwei Millionen Zuhörern, sich vielleicht vorher mal mit der Sache auseinanderzusetzen und nicht nur in gewissen unscharfen Grenzen zu argumentieren.
Tauschen Sie sich mit Wissenschaftlern aus in dem Bereich?
Es gibt ein paar Personen, mit denen ich im Austausch bin in diesem Feld. Das sind häufig auch Personen, die dann eben in der Politikberatung engagiert sind. Es ist gar nicht so, wie das manchmal gesagt wird, dass nur Virologen und sonstige Infektionsleute die Politik beraten. Das ist nicht der Fall. Das ist nie der Fall gewesen. Wir haben in diesen Gremien schon Leute drin aus den Sozial- und Geisteswissenschaften, auch aus der Rechtswissenschaft. Klar hat man da auch immer wieder Rückfragen und tauscht sich noch mal über ein Spezialproblem aus. Also das ist, glaube ich, nicht das große Problem, sondern eher die öffentliche Kommunikation auch aus diesen Feldern.
Sie sagten eben "das macht was mit einem", wenn man so in der Öffentlichkeit steht und auch in einer gewissen Kritik. Können Sie das beschreiben?
Man wird einfach vorsichtig in den Äußerungen und man überlegt sich genau, welche Formulierungen man verwenden kann und man antizipiert im Prinzip, während man den Satz spricht, schon, wie das verkürzt werden kann für eine Schlagzeile, die dramatisiert ist und die dann missverstanden wird von einigen Medien.
Haben Sie das Gefühl, dass die Medien besser geworden sind im Verlaufe dieser zwei Jahre in der Art und Weise, wie sie über die Pandemie kommunizieren? Oder ist es vielleicht sogar das Gegenteil?
Ich hatte am Anfang das Gefühl, dass die Medien relativ passiv sind und einfach auch nicht Bescheid wussten. Das war jetzt aber keine irreführende Information, die dabei entstanden ist. Und dann kam so eine Zeit, die leider sehr, sehr lang war, die vielleicht im Sommer oder späten Frühjahr mit dem Ende des ersten Lockdowns losging und die sich eigentlich jetzt erst vor kurzer Zeit ein bisschen gebessert hat: dass man wirklich solche Lager hatte und eine gewisse Absichtlichkeit und auch Agenda spüren konnte. Inzwischen habe ich das Gefühl, dass auch relativ viele interne Korrekturmechanismen in den Medien jetzt so langsam greifen und aktiv geworden sind, und einige Leute in den Medien, auch Meinungsmacher, vielleicht noch ein zweites Mal über bestimmte Dinge nachdenken.
Wenn wir noch mal über die Stimmen aus der Wissenschaft, die dazugekommen sind, sprechen: Haben sich die Kolleginnen und Kollegen da an Sie gewandt, um noch ein paar Tipps abzuholen, bevor sie sich dem aussetzen?
Das ist eine interessante Frage, die man sich als Außenstehender vielleicht anders erklären würde. Es ist nicht so. Es ist tatsächlich so, dass praktisch alle, die sich in der Öffentlichkeit äußern, das aus eigener Überzeugung oder aus eigener Befassung mit der Materie tun. Es ist jetzt nicht so, dass ich dauernd Anrufe kriege nach dem Motto "Christian, was soll ich denn da sagen? Ich habe heute Abend ein Interview". Das war tatsächlich ganz am Anfang der Pandemie so. Da habe ich sehr häufig solche Anrufe aus dem Kollegenkreis bekommen, was ich auch verstehen kann. Jeder muss ja letztendlich irgendwo auch mal mit einer lokalen Radiostation sprechen und so weiter. Und natürlich ruft man dann jemanden an, der sich besser auskennt. Aber inzwischen habe ich schon das Gefühl, dass diejenigen, die sich öffentlich äußern, das auch mit einer gewissen fachlichen Sicherheit tun. Also in den meisten Fällen. Es gibt immer welche, die letztendlich irgendwas erzählen und sich nicht auskennen. Aber das sind zum Glück wenige. Und diejenigen, die sich das noch trauen, auch gerade jetzt in diesem jetzigen Medien- und Politik-Klima, die stehen schon in der Regel auf dickerem Eis.
Sie werden dann natürlich trotzdem auch zur Zielscheibe. Als die "Bild"-Zeitung vor kurzem diese drei Wissenschaftler quasi persönlich verantwortlich gemacht hat für einen neuen Lockdown – Dirk Brockmann und Viola Priesemann und Michael Meyer-Hermann –, da haben dann ja auch die Wissenschaftsorganisationen geschlossen dagegen Stellung bezogen. Braucht es das? Ist das eine Lehre aus den letzten zwei Jahren?
Also ich glaube, dass diese Personen das brauchen. Und ich glaube auch, dass überhaupt das Diskussionsklima das braucht. Das ist sehr gut, dass das gemacht worden ist.
Wir hatten Mai Thi auch dazu gefragt, und sie hat im Grunde gesagt: Das Paradoxe sei, dass die Wissenschaft, um neutral bleiben zu können, manchmal eben Position beziehen muss. Ist das die Lehre daraus?
Da muss ich rückfragen. Damit ist gemeint: Um neutral zu bleiben, muss man vielleicht so ein gewisses Territorium im Diskussionsbereich erst mal einzäunen und sagen "Das hier ist die Wissenschaft und hier bitte haben wir die Deutungshoheit" oder wie ist es gemeint?
Ich glaube, was Mai Thi damit sagen wollte, war eher: Wenn die Wissenschaft neutral bleiben will, muss es Wissenschaftlern auch möglich sein, weiter nach bestem Wissen und Gewissen zu antworten. Und das verlangt, dass die Wissenschaftsorganisationen diesen Raum auch verteidigen. Das ist natürlich eine politische Aktion, in gewisser Weise also Stellung zu beziehen.
Das ist richtig. Die Wissenschaft oder die Personen, die jetzt für die Wissenschaftsinhalte sprechen, die müssen in der Lage sein, frei zu sprechen. Also die müssen sagen, wie es ist, auch wenn es unbequem ist, wenn es unbequeme Botschaften sind. Es ist schon schwierig, wenn man sich als Wissenschaftler mit einer unbequemen Botschaft so in der Öffentlichkeit ausdrücken muss, wie das ein Politiker mit einer unbequemen Botschaft muss. Also bei den Politikern, das ist nun mal so. Die haben ihre unbequemen Botschaften, die haben aber auch natürlich die Abhängigkeit von der Popularität und die sind in dieser Skandalisierungsfalle immer drin in den Medien. Und das ist ganz schwierig, wenn das auf Wissenschaftler übertragen wird. Das ist aber über lange Zeiten und bis jetzt auf Wissenschaftler übertragen worden. Die Medien gehen da mit Wissenschaftlern eigentlich genauso um wie mit Politikern.
Seine Politikberatung? "Ist in Echtzeit im Podcast-Script nachzulesen"
Es gibt ja jetzt die neue Regierung. Sind Sie da in irgendeiner Weise beratend tätig? Sind Sie da kontaktiert worden? Gibt es da eine Veränderung schon aus Ihrer Sicht?
Das ist noch zu frisch. Also ich bin natürlich kontaktiert worden. Ich kann jetzt da nicht so im Detail über Entscheidungen sprechen. Aber das wird natürlich auch alles öffentlich gemacht werden, wie jetzt die Politikberatung weiterläuft. Damit ist aber jetzt wahrscheinlich auch nur das eine Beratungsgremium gemeint. Parallel geht natürlich Politikberatung die ganze Zeit weiter. Das ist ja jetzt nicht nur die Bundespolitik, die sich beraten lässt.
Die Briten haben eine klar organisierte Politikberatung mit SAGE, sehr strukturiert, sehr offen auch inzwischen, sehr transparent. Ironischerweise geht es bei denen aber schlechter zu manchmal in der Pandemie-Bekämpfung. Sollten wir uns so was wünschen für Deutschland? Die Kritik an Ihnen kam ja manchmal auch daher, dass wir eben nicht ganz klare Strukturen hatten?
Das ist ganz klar. Das gesamte False-balance-Problem wird dadurch abgeschafft, dass man ein Gremium hat, das im Schriftlichen sich äußert. Im UK hat sich dann ja sogar diese "Alternative Sage" formiert, die aber auch zu den gleichen Botschaften kommt. Das ist noch mal besonders bestätigend. Da hat man eben nicht einzelne Talkshow-Figuren, die gegeneinander gehalten werden können.
Wird das eigentlich in irgendeiner Weise nachvollziehbar sein nach dieser ganzen Zeit, was einzelne Wissenschaftler der Politik gesagt haben?
In eigener Sache kann ich sagen: Meine Politikberatung ist in Echtzeit in dem Podcast-Script nachzulesen. Also ich habe wirklich immer zu der Zeit dasselbe in der Politikberatung gesagt wie im Podcast und das habe ich auch immer wieder so gesagt. Sowohl den Politikern habe ich das gesagt als auch der Öffentlichkeit. Und das ist auch so. Ich könnte gar nicht anders agieren, das wäre viel zu anstrengend und ja einfach gar nicht durchführbar. Aber ich glaube nicht, dass es möglich sein wird, über lange Zeiträume hinweg Protokolle zu verfolgen aus der Politikberatung. Die scheint es in vielen Bereichen höchstens intern zu geben,
Es hören Ihnen ja wirklich Hunderttausende Leute zu. Die tragen das weiter. Sie sind eine unglaubliche Orientierungs-Figur in der Gesellschaft, haben auch Einfluss auf das Verhalten der Menschen. Wenn ich das wäre, würde mich das Verantwortungsgefühl wahnsinnig machen. Können Sie sich davon eigentlich frei machen oder geht das gar nicht? Ist das eine Typ-Frage?
Ich mache das letztendlich über ein Abstecken des Feldes, über das ich spreche. Ich spreche eben tatsächlich nur über das, was ich auch verstehe. Und ich mache es auch über sehr viel Vorbereitungs-Aufwand. Ich lese die ganze Zeit. Auch wenn ich beispielsweise eine vierwöchige Pause habe zwischen zwei solcher Podcastfolgen, lese ich jeden Tag jede Information aus vielen Ländern. Das ist einfach so ein Habit geworden. Sodass ich eigentlich immer irgendwie zu den Leitfragen der Pandemie gerade meine Meinung habe, die ich auch begründen kann. Und bei anderen Dingen würde ich dann eher nichts dazu sagen. Es gibt manchmal einfach ganz schwierige Situationen. Zum Beispiel diese letzte Podcastfolge über Omikron, da hat man das vielleicht gemerkt, dass ich einfach an vielen Stellen nicht weiß, was ich sagen soll. Und auch wenn ich irgendwie so die zweite und dritte Hilfsebene nehme, also wenn ich sage: "Okay, also jetzt mal nach aller Berufserfahrung und mit vielen Analogieschlüssen und jetzt gucken wir mal in dem Land." Dann wird es natürlich irgendwann wirklich schwammig und dann will ich auch nicht mehr weiter.
Also die Absicherung ist sozusagen die Vorbereitung?
Klar, das ist ja alles, was man machen kann. Wenn man vorbereitet in so eine vielleicht auch schwierige oder sogar mal gefährliche Situation geht, dann wird man da weniger Fehler machen. Ich glaube, so richtig grobe Schnitzer sind in dem Podcast nicht drin. Wenn man das jetzt mal so in zwei Jahren nachhört, dann wird man schon sehen: Was hat er denn da gedacht? Aber ich glaube nicht, dass es mal irgendwann so richtig falsch abgebogen ist.
Liegt es auch an der gemeinsamen Arbeit, also mit den Journalistinnen, die das betreiben? Beschließen Sie das gemeinsam? Kann man das so machen?
Da muss ich jetzt vor allem die Korinna Hennig hervorheben, die einfach massiv gut eingedacht ist in die ganze Thematik, die auch alles aufsaugt. Und wir vereinbaren zwar immer, dass wir ein Vorgespräch machen und das ist immer ein bisschen so gedacht: Wie wäre denn so vielleicht der Ablauf? Was kommt denn als Erstes? Und wie ist denn dafür die Meinung? Aber letztendlich machen wir da unseren Privat-Podcast. Also es ist tatsächlich recht spontan das Ganze. Natürlich muss man vorher wissen, welche Paper, welche Studien man da besprechen will, gerade wenn es komplexe Studien sind. Aber das ist es dann auch schon.
"Ich bin eine Ware, die von Medien zu Geld gemacht wird"
Sie haben sich letztens im Interview als öffentlich-rechtlicher Wissenschaftler bezeichnet. Das war so ein Kernsatz, um ein bisschen besser zu verstehen, wie Sie Ihre Rolle sehen. Können Sie es ein bisschen beschreiben, was Sie damit meinen?
Damit meine ich im Prinzip erst mal eine Erklärung für die vielen Interessen der Medien, die man ja irgendwie nicht bedienen kann. Man kann es nicht allen Medien recht machen. Letztendlich bin ich da ja eine Ware, die von den Medien zu Geld gemacht wird. So muss man es leider in aller Härte und Konsequenz sehen. Und darauf gibt es erstmal nur die eine Antwort, dass diese Ware unbezahlbar ist und deswegen auch nicht bezahlt wird. Ich habe keinen Cent jemals Medien-Honorare kassiert und da ist dann eben die nächste Antwort. Okay, also bevor jetzt kommerzielle Medien sich gegeneinander reiben und sagen "Moment, bei dem ist er aber gewesen und bei dem anderen nicht", ist mal die erste Antwort: Okay, dann also öffentlich-rechtlich. Da kann keine Radiostation zum Beispiel sagen: "Na ja, es ist aber ja nur der NDR." Das stimmt, aber dennoch, das öffentlich-rechtliche Gefüge ist jetzt erst mal hier gemeint. Und bei den Printmedien ist es auch so, ich gebe ja manchmal hier und da ein größeres Printmedien-Interview. Da vereinbare ich immer im Vorfeld, dass ich das Interview nur dann gebe, wenn der Artikel hinter der Bezahlschranke befreit wird, also wenn jeder das lesen kann.
Meinten Sie auch, dass Sie öffentlich-rechtlicher Wissenschaftler sind in der Hinsicht, dass Sie ja von der Gesellschaft bezahlt werden als Forscher und sich deshalb dem Ganzen aussetzen? Das ist ja schon auch viel verlangt manchmal.
Ich bin ja hier Wissenschaftler an einer öffentlichen Bildungseinrichtung, die ist steuerfinanziert. Und ich habe natürlich auch offiziell die Genehmigung, diese Art von Kommunikationsarbeit zu machen. Wäre ich jetzt bei einer Firma angestellt, dann würde mein Abteilungsleiter oder mein Chef mir sagen: "Moment mal, was kostet denn hier eine Stunde? Das zahlen wir ja letztendlich hier irgendwie mit." Da fällt ja die Arbeitszeit aus.
Sie erreichen so wahnsinnig viele Leute. Frustriert es Sie manchmal, dass sie dann eben doch nicht genug erreichen, dass wirklich alle an einem Strang ziehen?
Das ist nicht so mein Ziel. Ich glaube nicht, dass man mit so einer Art Wissenschaftskommunikation auf ein absolutes Breitenpublikum setzen kann. Ich glaube, es ist eher wichtig, dass man das für gewisse Multiplikatoren und auch Entscheidungsträger und auch Leute macht, die sich wirklich eine Meinung machen wollen, bei denen vielleicht die Meinung auch an was hängt. Leute, die vielleicht für ihre Firma eine Entscheidung treffen wollen, dass man denen den Hintergrund erklären muss. Darum auch dieses lange Format. Also warum sagt eigentlich jemand etwas, dass man die Begründung mitliefert und auch jetzt nicht nur "Literaturstelle 14, 15 und 17. Kann ja jeder nachlesen. Hahaha." Macht sowieso keiner und die Literaturstellen verstehen die meisten auch nicht. Sondern dass man einfach irgendwie ein gewisses logisches Argumentationsgefüge liefert, das Leute verstehen können. Also darum geht's mir eher und ich glaube die Multiplikation, die ergibt sich dann von selbst.
Hat sich Ihr Bild der Gesellschaft verändert durch die Pandemie?
Ja, also das muss ich sagen. Ich bin vor dieser Medienerfahrung sicherlich vollkommen unvoreingenommen in jede gesellschaftliche Situation und auch in jede gesellschaftliche Schicht gegangen. Und das kann ich so nicht mehr aufrechterhalten. Es ist schon so, dass ich mir inzwischen überlegen muss, ob ich in bestimmten Sozialsituationen beispielsweise gefährdet wäre.
Wir wussten alle, es gibt eine Bedrohung durch Viren. Mehr als das Virus hat mich der Mensch überrascht - im negativen Sinne: wie wir damit umgehen als Gesellschaft. Dass zum Beispiel die Impf-Lücke so groß ist trotz all des Wissens, das wir haben. Hat sich bei Ihnen etwas geändert, wie Sie die Gesellschaft sehen, in der wir alle leben?
Ich bin schon überrascht über die Größe dieses Teils der Gesellschaft und auch die Aggressivität, die es da anscheinend gibt. Und ich frage mich, wie das eigentlich zustande gekommen ist. Denn ich glaube nicht, dass das am Anfang so war. In der ersten Welle am Anfang haben alle irgendwie ein bisschen kooperiert mit einer gemeinsamen Problemlösung. Das scheint irgendwie ganz verloren gegangen zu sein und da gibt es Mechanismen, die man sich wirklich anschauen muss. Natürlich die sozialen Medien, gerade diejenigen sozialen Medien, die weniger öffentlich sichtbar sind, wie eben bestimmte Messenger-Dienste. Aber auch Teile der offenen, offiziellen Medien, die über Monate eigentlich in Form von Kampagnen möglichst breiten Bevölkerungsschichten suggeriert haben, dass das Problem eigentlich übertrieben ist und nicht real und vielleicht auch mit Andeutungen einer Agenda folgt und so weiter. Da haben sich schon wahrscheinlich Motive überschnitten in diesem sehr offiziellen öffentlichen Bereich und dann wieder in diesem Untergrundbereich der Medien – und das bestätigt sich ja auch gegenseitig.
Können Sie da an irgendeiner Stelle einen Zeitpunkt für sich feststellen, im Nachhinein, wo Sie gedacht haben: "Jetzt ändert sich da was"? Weil Sie jetzt gerade gesagt haben, dass Sie jetzt überlegen in sozialen Situationen, ob Sie irgendwie gefährdet sind - wann fing das an?
Das kann ich so genau nicht sagen. Das ist eher die Summe der Alltagserfahrungen bei mir. Es ist einfach so: Ich werde auf offener Straße erkannt und das ist in überwältigender Zahl positiv, es gibt aber hie und da auch eine negative Erinnerung an Situationen. Und je mehr man davon hat, desto vorsichtiger wird man einfach. Das kann man einfach nicht so abschütteln.
Vorsichtiger im alltäglichen Verhalten meinen Sie jetzt, nicht in der Kommunikation?
Genau. Es ist einfach so: Wenn man sich öffentlich bewegt, dann erwartet man schon, dass bei jeder Gelegenheit plötzlich jemand kommen könnte und einen anspricht. Auch wenn man - sagen wir mal positiv - angesprochen wird, ist das in vielen Alltagssituationen ja eher unpassend, also muss man nicht unbedingt haben. Und bei den negativen Dingen, da sind es eben zum Teil einfach Bedrohungssituationen, die auftreten.
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