• Bundesinnenministerin Nancy Faser fordert ein härteres Vorgehen gegen Telegram.
  • Der Dienst ist längst mehr als eine reine Messenger-App. Er ist nach Einschätzung von Politik und Experten auch eine Plattform von Rechtsextremen und Verschwörungsideologen geworden.
  • Der Staat hat bisher wenig Handhabe gegen Telegram: Das Unternehmen sitzt in Dubai und ist für die deutschen Behörden kaum erreichbar.

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Mehr als 500 Millionen Menschen auf der Welt nutzen den Messenger-Dienst Telegram. Die meisten davon dürften sich vor allem private Nachrichten und Fotos zuschicken. In Belarus oder Hongkong bietet Telegram zudem Demokratie-Bewegungen die Möglichkeit, sich zu vernetzen.

Doch der Dienst hat in Deutschland auch eine dunkle Seite: Er ist zur Plattform für Rechtsextreme, Verschwörungstheoretiker und radikale Querdenker geworden. Politik und Verwaltung nehmen das Unternehmen inzwischen verstärkt ins Visier. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Was genau ist Telegram?

Telegram ist ursprünglich eine Messenger-App. Die Nutzerinnen und Nutzer können Textnachrichten, Fotos, Videos und andere Dateien untereinander verschicken.

Telegram spielt aber nicht nur für die individuelle Kommunikation eine Rolle. Chat-Gruppen können dort bis zu 200.000 Mitglieder haben. Zudem kann eine unbegrenzte Zahl von Nutzerinnen und Nutzern offene Kanäle abonnieren. "Einzelne können damit eine Vielzahl an Menschen mit ihren Nachrichten erreichen", erklärt der Politikwissenschaftler und Rechtsextremismus-Experte Jan Rathje vom "Center für Monitoring, Analyse und Strategie" im Gespräch mit unserer Redaktion.

Telegram wirbt auf der eigenen Webseite für sich, indem es behauptet, schneller und sicherer zu sein als andere Messenger-Dienste. Zudem ist das Angebot werbefrei und kostenlos – und soll es dem Unternehmen zufolge auch dauerhaft bleiben.

Wer steckt hinter Telegram?

Gründer ist der 37-jährige Unternehmer Pavel Durov, der die Staatsbürgerschaften von Russland, Frankreich sowie dem Karibik-Inselstaat St. Kitts und Nevis besitzt. Die meisten Entwickler kommen dem Unternehmen zufolge wie Durov aus St. Petersburg, wo Telegram auch gegründet wurde. Wegen der staatlichen Vorschriften hat das Unternehmen die russische Millionenstadt allerdings verlassen. Aktueller Sitz des Entwicklungsteams ist Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Wo liegt das Problem mit Telegram?

"Es hat sich herausgestellt, dass Telegram für Rechtsextreme und Verschwörungsideologen immer attraktiver geworden ist. Ein Grund ist, dass die großen sozialen Netzwerke in letzter Zeit entschiedener gegen Desinformation und rechtsextreme Inhalte vorgegangen sind", sagt Rechtsextremismus-Experte Jan Rathje.

In einschlägigen Chat-Gruppen bei Telegram kursieren Aufrufe zu Gewalt bis hin zu Mord, es werden Adressenlisten von Politikern ausgetauscht. Parteien wie die NPD oder rechtsextreme Gruppierungen wie die Identitäre Bewegung nutzen Telegram. Der Österreicher Identitäre Martin Sellner zum Beispiel erreicht über den Dienst rund 150.000 Menschen, schätzt das Internetprojekt "Hass im Netz".

Auch radikale Gegner der Corona-Maßnahmen schaukeln sich dort gegenseitig hoch und schaffen sich ihre eigene kommunikative Parallelwelt. Bilder und Nachrichten – auch völlig falsche – lassen sich dort schnell und ungefiltert verbreiten. Als im September ein mutmaßlicher Corona-Leugner in Idar-Oberstein einen Tankstellen-Mitarbeiter erschoss, wurde die Tat in Telegram-Gruppen gefeiert.

Dem ZDF-Magazin "Frontal" zufolge tauchten in der Telegram-Chat-Gruppe "Dresden Offlinevernetzung" Morddrohungen gegen Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) auf. Spezialkräfte haben daraufhin mehrere Wohnungen durchsucht.

Was sagt die Politik?

Michael Kretschmer kritisierte im Interview mit unserer Redaktion, bei Telegram würden sich mehr als 100.000 Menschen in Gruppen versammeln und dort "Propaganda, Zersetzung und Demagogie verbreiten und damit staatsgefährdend wirken".

Die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser kündigt ein schärferes Durchgreifen gegen Hetze und Gewaltaufrufe an – und hat dabei auch Telegram im Visier. Das Bundesamt für Justiz habe gegen Telegram zwei Verfahren wegen Verstoßes gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz geführt, auf die Telegram nicht reagiert habe. "Das wird diese Bundesregierung so nicht hinnehmen", sagte die SPD-Politikerin der Funke-Mediengruppe. Was genau sie damit meint, ist bisher aber noch unklar.

Ein Sprecher ihres Ministeriums sagte am Montag in der Bundespressekonferenz, dass Faeser das Thema zunächst auf die Agenda gesetzt habe. Zu konkreten Maßnahmen gegen Telegram wollte er sich nicht äußern. "Es ist im Moment nicht so, dass fertige Maßnahmen auf dem Tisch liegen."

Welche Gesetze gelten für Hassnachrichten und Gewaltaufrufe im Netz?

Zentrales Gesetz ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz von 2017, kurz Netz-DG. Es verpflichtet soziale Netzwerke wie Facebook, Youtube und Twitter, wirksam gegen Hasskriminalität und Fake News vorzugehen: Sie müssen strafbare Inhalte innerhalb von sieben Tagen nach einer Meldung löschen oder sperren, bei "offensichtlich" strafbaren Inhalten muss das schon nach 24 Stunden geschehen.

Zudem müssen die Anbieter über ihre Bemühungen in dem Bereich halbjährlich berichten. Bei Verstößen gegen das Netz-DG können Bußgelder in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro fällig werden.

Gilt das Netz-DG auch für Telegram?

Das war eine Zeit lang umstritten. Wenn man Telegram lediglich als Messenger-Dienst einstuft, fällt das nicht unter das Netz-DG – denn das Gesetz gilt nur für soziale Netzwerke.

Die Bundesregierung ist inzwischen aber anderer Meinung. Der Dienst erfülle unterschiedliche Funktionen, sagte der Sprecher des Bundesinnenministeriums am Montag in der Bundespressekonferenz. Seine Kollegin des Bundesjustizministeriums stellte klar: "Telegram ist ein soziales Netzwerk im Sinne des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes."

Experte Jan Rathje begrüßt diese Einstufung. Telegram habe Funktionen und Reichweiten, die mit großen sozialen Netzwerken vergleichbar sind. "Endlich hat man das Thema auch im Bundesinnenministerium erkannt, nachdem seit längerem darauf hingewiesen wurde."

Wie geht Deutschland gegen Telegram vor?

Der deutsche Staat hat inzwischen zwei Bußgeldverfahren gegen Telegram eingeleitet. Das Bundesamt für Justiz bemängelt, dass der Dienst keinen leicht erkennbaren Meldeweg für strafbare Inhalte und keinen Zustellungsbevollmächtigten für deutsche Gerichte bietet. Doch die Sache ist kompliziert.

Die deutschen Behörden können das Unternehmen nicht direkt anschreiben. Da es in Dubai sitzt, sind sie auf Hilfe der Vereinigten Arabischen Emirate angewiesen. Die Sprecherin des Bundesjustizministeriums erklärte am Montag, dass die deutsche Botschaft im Mai dieses Jahres ein Rechtshilfeverfahren bei den Emiraten eingeleitet hat. Auf diesem Weg sollen die Anhörungsschreiben für das Bußgeldverfahren bei Telegram ankommen.

Das ist bisher aber offenbar nicht geschehen. "Wir haben keine Erkenntnisse, dass die Anhörungsschreiben zugestellt wurden", sagte die Sprecherin des Bundesjustizministeriums am Montag. Erfahrungsgemäß könne das in der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Arabischen Emiraten "länger dauern".

Was sagt Telegram zu dem Thema?

Wenn illegale Inhalte in privaten oder in Gruppenchats auftauchen, fühlt sich das Unternehmen dafür nicht zuständig. "Alle Telegram- und Gruppenchats sind die Privatsache der jeweiligen Nutzer. Wir bearbeiten keine diesbezüglichen Anfragen", heißt es auf der Webseite des Unternehmens. Gruppenchats können allerdings bis zu 200.000 Mitglieder haben.

Für die offenen Kanäle gibt es zumindest in der Theorie einen Meldeweg: Nutzerinnen und Nutzer können strafbare Inhalte zum Beispiel per Mail an Telegram anzeigen. Experten zufolge moderiert Telegram seine Inhalte aber deutlich weniger als etwa Facebook und Youtube. "Auch Telegram löscht Inhalte – allerdings ohne erkennbare Struktur", sagt Experte Jan Rathje. "Es gibt dort immer noch Aufrufe zu Straftaten und Gewalt, die ungelöscht stehen bleiben."

Über den Experten:
Der Politikwissenschaftler Jan Rathje ist Experte für Online-Rechtsextremismus, Verschwörungsideologien und Antisemitismus. Er hat unter anderem in der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus und bei der Amadeu Antonio Stiftung gearbeitet. Derzeit gehört er zum Team des gemeinnützigen "Center für Monitoring, Analyse und Strategie" (CeMAS), das sich mit Verschwörungsideologien, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus beschäftigt.

Quellen:

  • Gespräch mit Jan Rathje, Center für Monitoring, Analyse und Strategie
  • Bundespressekonferenz
  • Bundesministerium für Justiz: Regeln gegen Hass im Netz – das Netzwerkdurchsetzungsgesetz
  • Hass-im-Netz.info: Telegram: Zwischen Gewaltpropaganda und "Infokrieg"
  • Telegram.org: Fragen und Antworten

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