• Für Eltern ist es eine schwierige Situation: Die Rufe nach Corona-Impfungen für Kinder ab zwölf Jahren werden immer lauter - die Stiko empfiehlt sie aber derzeit noch nicht.
  • Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

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Impfen lassen oder nicht? Das ist die Frage, die sich nun viele Eltern von Kindern ab zwölf Jahren stellen. Wir haben den aktuellen Stand zusammengefasst, warum so heiß debattiert wird, wem die Impfung schon jetzt eindeutig empfohlen wird und welche Impfreaktionen zu erwarten sind.

Impfen schon ab zwölf - wie ist der Stand der Dinge?

In Deutschland gibt es bisher keine klare Empfehlung für eine Impfung von Kindern und Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren, während etwa in den USA und in Israel in dieser Altersgruppe bereits millionenfach geimpft wurde.

Die EU-Arzneimittelbehörde EMA hatte den ersten Impfstoff für diese Altersgruppe Ende Mai freigegeben. Auch Zwölfjährige können sich hierzulande also nach ärztlicher Aufklärung schon seit Längerem impfen lassen, freiwillig und kostenlos. Bund und Länder wollen das Angebot für die 12 - bis 17-Jährigen nun deutlich ausbauen und von Arztpraxen auf regionale Impfzentren erweitern.

Die politisch unabhängige Ständige Impfkommission (Stiko) spricht aber nach wie vor trotz heftigen Drucks keine generelle Empfehlung für diese Altersgruppe aus.

Warum gibt die Stiko keine generelle Empfehlung für Kinder ab zwölf?

Die Einschätzung der Stiko kann sich jederzeit ändern, im Moment reicht aus Sicht der Kommission aber die Datenlage für eine generelle Empfehlung noch nicht aus.

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Hinzu kommen Hinweise auf entzündliche Erkrankungen des Herzmuskels, in der Fachsprache Myokarditiden genannt. Diese mögliche Folge einer Impfung gilt zwar als selten, doch die Untersuchungen dazu laufen. Das genaue Ausmaß sei unbekannt, betont der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens.

Ein weiteres Argument lautet, dass Kinder und Jugendliche meist ohne Symptome oder mit mildem COVID-19-Verlauf erkranken. Bei gesunden Kindern sei eine intensivmedizinische Behandlung eine "absolute Rarität", sagt Mertens. Todesfälle gebe es nur bei schwerst vorerkrankten Kindern und Jugendlichen.

Warum sind die Einschätzungen von EMA und Stiko so unterschiedlich?

Die Stiko verweist auf die unterschiedlichen Aufgaben: Bei der EMA geht es allgemeiner um die Prüfung von Daten zu Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität. Bei der Stiko steht das Regeln des Impfstoffeinsatzes zum besten Nutzen der einzelnen Menschen und der Bevölkerung im Mittelpunkt. In anderen Ländern, etwa mit höherem Kinderanteil, können die Überlegungen anders aussehen.

Für welche Kinder und Jugendlichen empfiehlt die Stiko eine Impfung?

Die Stiko rät ausdrücklich zur Impfung, wenn das Kind vorerkrankt ist und damit ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 hat. Dazu zählen zum Beispiel stark übergewichtige oder Kinder mit Lungenerkrankungen oder einer Schwäche des Immunsystems. Eine vollständige Liste der Vorerkrankungen hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zusammengestellt.

Darüber hinaus empfiehlt die Stiko Impfungen in diesen Fällen:

  • Angehörige oder andere Kontaktpersonen haben ein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf, etwa da sie selbst nicht geimpft werden können oder ein stark eingeschränktes Immunsystem haben.
  • Im Arbeitsumfeld des Jugendlichen besteht ein erhöhtes Ansteckungsrisiko (etwa medizinische Einrichtung oder Kinderbetreuung).

Bei Unsicherheiten sollten Eltern sich mit dem Kinderarzt oder der Kinderärztin absprechen, raten die Expertinnen und Experten. Auch bietet die BZgA eine Checkliste in Form eines Fragebogens, der bei der Entscheidung für oder gegen Impfung helfen soll.

Welche Impfstoffe stehen für Kinder und Jugendliche zur Verfügung?

Inzwischen stehen seit Ende Mai mit Comirnaty von Biontech/Pfizer sowie seit Ende Juli mit Spikevax von Moderna zwei COVID-19-Impfstoffe zur Verfügung. Bei beiden ist eine zweimalige Impfung erforderlich, um den vollständigen Impfschutz zu erreichen.

Welche Impfreaktionen sind bei Kindern und Jugendlichen typisch?

Bei Kindern können Impfreaktionen stärker ausfallen als bei Erwachsenen. Das liege daran, dass das Immunsystem in dieser Phase noch besonders "lernfähig" sei, erklärt die BZgA. Häufige Impfreaktionen sind:

  • Schmerzen an der Impfstelle: mehr als 90 Prozent
  • Müdigkeit und Kopfschmerzen: mehr als 70 Prozent
  • Muskelschmerzen und Schüttelfrost: mehr als 40 Prozent
  • Fieber- und Gelenkschmerzen: mehr als 20 Prozent

Diese Reaktionen zeigten sich in der Zulassungsstudie, schwerwiegende Nebenwirkungen wurden dabei nicht beobachtet. "Wie bei anderen Impfungen können in seltenen Fällen allergische Reaktionen gegen Bestandteile des Impfstoffes auftreten. Wenn Ihr Kind Allergien hat, sprechen Sie mit der impfenden Ärztin oder dem Arzt darüber", empfiehlt die BZgA.

Wie sind die Herzmuskelentzündungen nach Impfungen einzuordnen?

Tatsächlich wurden in den vergangenen Monaten in mehreren Ländern seltene Fälle von Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen beobachtet. Zu den Symptomen zählen etwa Atemnot, starker Herzschlag und Brustschmerzen. Die meisten Patienten waren nach wenigen Tagen genesen, in Israel litt die Hälfte der Betroffenen an einer Vorerkrankung.

Die genaue Häufigkeit kann laut der Deutschen Herzstiftung bisher schwer ermittelt werden. Nach Daten, die das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) Mitte Juli veröffentlich hatte, wurden hochgerechnet zwischen drei und fünf Fälle auf eine Million Impfdosen gemeldet. Stiko-Vorsitzender Mertens sprach zuletzt von einem Fall pro 18.000 Geimpften in den USA.

Vom PEI hieß es: "Nach den bislang vorliegenden Daten sind offenbar vor allem junge Männer nach Gabe der zweiten Dosis betroffen, typischerweise innerhalb von 14 Tagen." Das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Impfstoffe sei "weiterhin positiv".

Auch von anderen Impfungen sei in seltenen Fällen eine Herzmuskelentzündung bekannt, ausgelöst durch eine überschießende Immunreaktion, erklärte kürzlich der Kardiologe und Pharmakologe Thomas Meinertz auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Die Erkrankung trete bei Jüngeren generell öfter auf als bei Erwachsenen.

Wie verläuft COVID-19 bei Kindern?

Die Mehrzahl der Kinder weist gar keine oder milde Symptome nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 auf. Todesfälle waren selten und traten laut Stiko bei Kindern mit schwersten Vorerkrankungen auf.

Auch bei Kindern kann allerdings das Long-COVID-Syndrom auftreten, das Betroffene über Monate einschränken kann. Wie häufig, ist schwer zu beurteilen. Britische Forscher des Office of National Statistics geben an, 10 bis 13 Prozent der erkrankten Kinder litten anschließend an Long COVID, in einer italienischen Studie wurde dies gar bei einem Drittel beobachtet.

Mit steigenden Corona-Erkrankungen im Laufe der Pandemie stieg zudem auch die Zahl der - sehr seltenen - Fälle mit sogenanntem PIMS-Syndrom. Dabei wiesen auch nicht vorerkrankte Kinder Entzündungsreaktionen im Körper und hohes Fieber auf.

Was raten Kinderärzte?

Eltern sollten im Zweifel immer das Gespräch mit ihrem Kinderarzt oder ihrer Kinderärztin suchen, denn die Antwort wird sich je nach Einzelfall unterscheiden.

Der Deutsche Hausärzteverband kritisiert das Vorgehen der Politik als "Wahlkampfgetöse": "Warum eine Empfehlung der Stiko dazu zunächst nicht abgewartet werden kann, die sich auf Basis von fundierten Studien zeitnah äußern will, ist mir schleierhaft", erklärte der Bundesvorsitzende Ulrich Weigeldt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Das Risiko liege mehr bei den nicht impfwilligen Erwachsenen als bei den Kindern und Jugendlichen.

Der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, rief die Stiko hingegen zu einer Neubewertung ihrer Position auf. "Ich persönlich bin ein Befürworter dieser Impfungen", sagte er der "Rheinischen Post" (Dienstag). Das Risiko von Nebenwirkungen durch die Impfung ist extrem gering, das zeigen alle Daten aus anderen Ländern." Daher wünsche er sich "eine zeitnahe Neubewertung durch die Stiko".

Wann könnte die Stiko ihre Einschätzung ändern?

Der Vorsitzende Mertens hatte zuletzt angekündigt, die Stiko brauche nur noch rund zehn Tage für die Aktualisierung ihrer Empfehlung. Deshalb ärgere ihn auch die "unglückliche Hektik" der Politik. Ob diese Aktualisierung aber auf eine Empfehlung hinauslaufen wird, ist keineswegs klar: "Der Ausgang ist offen, wir sind im Prozess der Abwägung", betont der Virologe.

Sein Stiko-Kollege Christian Bogdan sprach am Dienstag von derzeit nicht erfüllten Voraussetzungen dafür. Stiko-Mitglied Ulrich Heininger sagte unterdessen im "Deutschlandfunk": "Entweder es bleibt, wie es ist, oder - und das ist meine persönliche Hoffnung - wir kommen zu einer etwas weiter gefassten Empfehlung." (af)

Verwendete Quellen:

  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Was Sie zur Corona-Schutzimpfung für Ihr Kind wissen sollten Stand; 28. Juli 2021
  • infektionsschutz.de: Impfung gegen COVID-19 - Impfreihenfolge und Ablauf; 29.7.21
  • dpa: Zankapfel Kinder-Impfung - Wie die Impfkommission arbeitet, Gisela Gross; Stiko-Chef: Mehr 18- bis 59-Jährige sollten sich impfen lassen; Kinderärzte drängen Stiko zu Neubewertung von Kinder-Impfempfehlung; Ausweitung des Impfangebots für Kinder - Auffrischung für Ältere, 3.8.21 ; Warnhinweise für seltene Nervenkrankheit und Herzprobleme, 15.7.21; US-Experten: Seltene Fälle von Herzentzündungen nach Corona-Impfung, 24.6.21; Corona-Impfung und Myokarditis? Deutscher Experte nicht beunruhigt , 6.6.21
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