• Die Corona-Lage in der gesamten Bundesrepublik ist angespannt. Mehr als 100.000 Tote und täglich Zehntausende Neuinfektionen zählt das Robert-Koch-Institut (RKI) inzwischen.
  • Besonders dramatisch ist die Lage in Sachsen – hier hat in den meisten Landkreisen die 7-Tage-Inzidenz bereits die 1.000er-Schallmauer durchbrochen.
  • Kliniken bereiten ihr Personal auf die Triage vor. Droht eine solche Lage auch in Gesamtdeutschland?

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Die Warnung von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) war eindrücklich. Man wolle "Bergamo in Sachsen nicht zulassen", sagte er in einer Online-Diskussion. Solche Bilder würde niemand in Deutschland ertragen, "auch nicht diejenigen, die jetzt noch der Meinung sind, das ist alles gar nicht so schlimm", sagte Kretschmer.

In der italienischen Stadt waren im Frühjahr 2020 Militärlastwagen mit Särgen durch die Stadt gefahren, Patienten aus Bergamo waren auch in Sachsen behandelt worden. Nun könnte dem Freistaat eine ähnliche Situation drohen: Als erstes Bundesland hatte Sachsen die 1.000er-Marke bei der 7-Tage-Inzidenz überschritten – während das RKI zuletzt eine bundesweite Inzidenz von 452,2 meldete, liegt Sachsen bei 1.284,8 (Stand: 29. November). Fast 11.000 Menschen sind in dem östlichen Bundesland bislang im Zusammenhang mit dem Coronavirus verstorben.

Krankenhäuser in Sachsen wegen Corona überlastet

Sind nur noch weniger als zehn Prozent der Intensivbetten frei, färbt das Intensivbettenregister das Bundesland dunkelrot – Sachsen gehörte zuletzt immer wieder dazu. Aktuell (Stand: 30. November, 12 Uhr) liegt es mit 140 freien Betten bei 9,9 Prozent. Fast 40 Prozent der Betten sind mit COVID-Patienten belegt – das ist deutschlandweiter Höchstwert.

Hilfe aus anderen Bundesländern hat Sachsen außerdem bereits angefordert, mehrere COVID-Patienten wurden auf Häuser in anderen Regionen Deutschlands verteilt. Von den 13 sächsischen Landkreisen beziehungsweise kreisfreien Städten liegt nur noch in Leipzig, Dresden und im Landkreis Mittelsachsen die Inzidenz unter 1.000. Im Erzgebirgskreis liegt die 7-Tage-Inzidenz bereits bei über 2.000, im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge nur knapp darunter.

Land mit niedrigster Impfquote

Nicht nur die schwindelerregenden Inzidenzen in Sachsen bereiten Sorge – gleichzeitig hat das Land bundesweit die niedrigste Impfquote. Nur 58 Prozent sind hier vollständig geimpft – zehn Prozent weniger als im deutschlandweiten Trend. Knapp 40 Prozent haben noch keine Erstimpfung erhalten. Entsprechend auch das Bild auf den Intensivstationen: Der Großteil der Patienten ist ungeimpft.

Die Ergebnisse einer Studie von Forschern der Universitäten Wien und Edinburgh, die "ZDFheute" exklusiv vorlag, beruhigen nicht. Zwar ist der Anteil der Deutschen, die an Corona-Verschwörungen glauben, verglichen mit 2020 insgesamt rückläufig, für Sachsen gilt das aber nicht: Während in Gesamtdeutschland die Zahl der Corona-Leugner von 14 Prozent im Jahr 2020 auf nun neun Prozent gesunken ist, ist ihr Anteil in Sachsen im gleichen Zeitraum gestiegen. Mit 28 Prozent hält hier jeder Vierte Corona für eine Lüge.

Welle der Ungeimpften

Die "Paracelsus" Kliniken betreiben in den sächsischen Regionen Westsachsen und Oberes Vogtland Akutkrankenhäuser der Grund- und Regelversorgung in den Städten Adorf, Schöneck, Zwickau und Reichenbach. Für die Kliniken teilt Pressesprecherin Dirten von Schmeling auf Anfrage unserer Redaktion mit: "Unsere Häuser sind in hohem Maße von der vierten Welle betroffen, am Standort Adorf ist die Belastungsgrenze bereits überschritten."

Angesichts des hohen Anteils von ungeimpften Coronapatienten könne man nur eindrücklich an die Bevölkerung appellieren, sich impfen zu lassen, die Boosterimpfung wahrzunehmen und sich an sämtliche Abstands- und Hygieneregeln zu halten. "Die Lage unterscheidet sich insofern von vorangegangenen Wellen, als dass der Altersdurchschnitt der Corona-Patienten sinkt. Wir behandeln viele Menschen – normal und intensiv – im Alter von 40 bis 60 Jahren, in Einzelfällen auch schwer Erkrankte unter 40 Jahren", sagt von Schmeling.

Lage so ernst wie nie zuvor

Auch die Tatsache, dass Pflegekräfte und Ärzte in den ersten Wellen immer wieder über viele Wochen unter Volllast die Versorgung von Corona-Patienten gewährleistet hätten, lasse die Kliniken die Lage als dramatischer einschätzen als in vorangegangenen Wellen.

"Aufgrund der zunehmend knappen Ressourcen an Betten und Personal auf den Intensivstationen werden aktuell geplante Operationen abgesagt, wenn absehbar ist, dass der Patient nach der Operation auf der Intensivstation überwacht und behandelt werden müsste", informiert die Pressesprecherin. In der Folge sei der Regelbetrieb in den Krankenhäusern schon jetzt beeinträchtigt.

Vorbereitung auf Triage

"Stand heute ist die Triage in unseren Häusern noch nicht zur Anwendung gekommen, wir bereiten jedoch unser intensivmedizinisches Personal darauf vor", schlägt von Schmeling Alarm. Vor einer solchen Situation, in der Mediziner entscheiden müssen, wem sie zuerst helfen, hatte kürzlich bereits der Präsident der Landesärztekamer, Erik Bodendieck, gewarnt. Mediziner bräuchten bereits bis zu zwei Stunden, um einen Platz auch für Schlaganfall- oder Herzinfarkt-Patienten zu finden.

"Wenn zwei beatmungspflichtige Patienten um einen Beatmungsplatz konkurrieren, dann muss danach entschieden werden, welcher Patient die bessere Behandlungschance hat", hatte Bodendieck im Interview mit der "Deutschen Presse-Agentur" gesagt. Ungeimpfte hätten dann womöglich schlechtere Chancen.

Sächsisches Gesundheitsamt: Kapazitäten "kritisch"

Auch die sächsische Gesundheitsbehörde schlägt Alarm: "Die Lage ist sehr angespannt, die Infektionszahlen steigen täglich und erreichen Rekordwerte seit Beginn der Pandemie", heißt es auf Anfrage unserer Redaktion aus dem Sozialministerium. Die Kapazitäten an verfügbaren Betten für COVID-Patienten seien "kritisch", seit Freitag würden Patienten über das Kleeblatt-System in andere Bundesländer verlegt.

"Das Sozialministerium ist in ständigem Austausch mit den Krankenhaus-Koordinatoren und lässt sich kontinuierlich über den aktuellen Stand berichten", heißt es weiter. Wenn Aufnahmekapazitäten erschöpft seien, würden betroffene Patienten auf andere aufnahmebereite Einrichtungen innerhalb Sachsens verteilt.

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Köpping: Impfpflicht "überdenken"

"Die entsprechende Abstimmung mit den Krankenhäusern und Rettungsdiensten sowie eine etwaige Verteilung koordinieren im Freistaat Sachsen die eigens eingerichteten Leitstellen an den drei Krankenhäusern der Maximalversorgung, dem Klinikum Chemnitz und den Universitätsklinika in Leipzig und Dresden", erläutert das Ministerium. Die Notfallpläne seien aktiviert, etwa durch die Einbindung von Reha-Kliniken.

Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) hatte wiederholt appelliert, Kontakte zu reduzieren. Eine Impfpflicht müsse überdacht werden. Die Empfehlungen bis dahin: Abstand halten, Maske tragen, Lüften, Online-Meetings statt Präsenz-Treffen, Arbeiten im Homeoffice und häufiges Testen.

Bald kein regionales Problem mehr

Was bedeutet die dramatische Lage in Sachsen für Gesamtdeutschland? In den Nachbarländern des Freistaates spitzt sich die Situation ebenfalls immer weiter zu: Bayern, Brandenburg, Thüringen und Sachsen-Anhalt liegen in Sachen Neuinfektionen direkt hinter Sachsen. Bereits 100 Corona-Patienten seien innerhalb Deutschlands verlegt worden, hatte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei einer Pressekonferenz gesagt. Unbegrenzt funktioniere eine solche Verlegung jedoch nicht.

Der Forscher Markus Scholz von der Universität Leipzig hatte gegenüber der "Tagesschau" bereits gewarnt, dass die dramatische Entwicklung in Sachsen bald kein regionales Problem mehr ist.

"Flächenbrand" in Deutschland?

"Ich rechne damit, dass das also auch die anderen Bundesländer betrifft, weil wir zum Beispiel auch diese Impf-Effekte, die wir jetzt gesehen haben, - also auch Kreise, die besser durchimpft sind als andere - die gleiche Entwicklung zeigen", hatte Scholz gesagt. Er rechne damit, dass Sachsen hier nur einen gewissen Zeitvorsprung vor den anderen Bundesländern hat.

Fest steht: Zwar halten Regionen mit niedrigeren Fallzahlen vermutlich länger durch, dennoch sind die Behandlungskapazitäten begrenzt. "Es ist wie so ein Flächenbrand. Wenn den nicht irgendwo jemand stoppt, dann breitet der sich langsam, aber kontinuierlich in jeden Winkel des Landes aus", hatte auch Infektiologe Christoph Lübbert vom Klinikum St. Georg in Leipzig in der "Tagesschau" gesagt.

Verwendete Quellen:

  • Intensivbettenregister: Stand 30.11. 2021
  • Anfrage beim sächsischen Sozialministerium
  • Anfrage bei den "Paracelsus" Kliniken
  • Sachsen.de: Corona-Schutzimpfungen in Sachsen. Stand 30.11.2021
  • Sachsen.de: Infektionsfälle in Sachsen. Stand 29.11.2021
  • "Tagesschau": Corona-Lage in Sachsen: "Wie ein Flächenbrand". 19.11.2021
  • ZDF.de: Studie zu Verschwörungsmythen- Anzahl von Corona-Leugnern kleiner geworden. 29.11.2021
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