Während Ärzte und Wissenschaftler mehr Tests auf akute Corona-Infektionen fordern, wird unter Hochdruck an einem massentauglichen Antikörpertest gearbeitet. Ein solcher könnte unentdeckte, bereits durchgestandene Infektionen anzeigen. Lesen Sie hier, welche Rückschlüsse noch möglich würden.

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Auf das Coronavirus SARS-CoV-2 wird aktuell nur getestet, wer spezielle Voraussetzungen erfüllt. Zum Beispiel, wenn man Kontakt mit einem nachweislich Infizierten hatte und spezielle Symptome zeigt. Dann wird ein Rachenabstrich anhand eines sogenannten PCR-Tests auf die Erbinformation des Virus untersucht. Mit dem Ergebnis lassen sich aktive Infektionen erkennen.

Jedoch stecken sich viele Menschen an, ohne es jemals zu erfahren. Solche Fälle verlaufen atypisch, mit wenigen oder gar keinen Symptomen. Es könnten also schon weitaus mehr Menschen infiziert gewesen sein, als offiziell bekannt ist.

Coronavirus-Antikörpertest für alle?

Weltweit wird deshalb an einem für große Menschenmassen herstellbaren Antikörpertest, einem sogenannten Enzyme-Linked-Immuno-Sorbent-Assay (ELISA) gearbeitet. Er könnte helfen, die Corona-Ausbreitung in der Bevölkerung näher zu analysieren. Deutlich würde auch, wer die Infektion unbemerkt durchgestanden hat und dadurch immun, also nicht mehr gefährdet ist.

Wäre es daher nicht sinnvoll, mit einem funktionierenden ELISA ab einem bestimmten Punkt der Pandemie alle Menschen auf Antikörper zu testen? "Man würde natürlich nicht die ganze Bevölkerung mit einem solchen ELISA testen", sagt John Ziebuhr, Leiter des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Gießen unserer Redaktion. Realistisch sei eine große Stichprobe mit etwa 1.000 Menschen. "Man könnte zum Beispiel auch über Betriebsärzte im Rahmen der regelmäßig stattfindenden arbeitsmedizinischen Untersuchung testen, wie groß die Immunität im Personal ist", sagt Ziebuhr.

SARS-Cov-2-Immunität ermöglicht Einsatz von Schlüsselpersonen

Anhand solcher Stichproben wären verschiedene Schlussfolgerungen möglich: "Man wüsste, welcher Anteil der Bevölkerung oder einer bestimmten Personengruppe bereits immun ist. Diese Daten könnte man in Berechnungen und Modelle einbeziehen, die zur Vorhersage der weiteren Ausbreitung der Virusinfektion herangezogen werden", so der Wissenschaftler.

"Interessant wäre zudem, wer in den systemrelevanten Gruppen schon einen Immunschutz hat. Personal mit Immunität könnte dann problemlos wiedereingesetzt werden", sagt Ziebuhr. Für den Betrieb von Krankenhäusern, Schulen und Kitas oder der Polizei würde ELISA also wichtige Informationen liefern. "Der Immunschutz nach durchgemachter Infektion ist auf jeden Fall ausreichend und sehr gut", erklärt der Experte.

Eine Rest-Immunität in der Gesellschaft werde auch nach ein bis zwei Jahren noch bleiben. "Sie wird die Gefährdung von Risikogruppen reduzieren und auch den Verlauf von möglichen erneuten SARS-CoV-2-Infektionen zu einem späteren Zeitpunkt deutlich abmildern."

Den PCR-Test wird ELISA jedoch nicht ersetzen können. "Der Nachweis der Infektion über die Immunität kommt zu spät", sagt Ziebuhr. Die Antikörperreaktion ist meist erst circa zehn Tage nach der Infektion zuverlässig nachweisbar. "Das Risiko einer Übertragung in dieser Zeit ist zu hoch", so der Wissenschaftler.

Hamburger Uniklinik prüft SARS-CoV-2-Antikörpertest

Die Entwicklung hin zu einem massentauglichen Test steht in den USA und Europa offenbar kurz vor dem Durchbruch. So haben US-Forscher von der Icahn School of Medicine in New York kürzlich einen ELISA vorgestellt. Er erkennt Antikörper gegen SARS-Cov-2 und macht sie anhand einer Farbreaktion sichtbar. Der Test wird noch validiert, aber an der Klinik in New York bereits eingesetzt.

Auch in Deutschland ist die Möglichkeit, viele Menschen auf Corona-Antikörper zu testen, greifbar nah. Ein ELISA soll schon seit Freitag (27. März 2020) am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf angewandt und auf seine Wirksamkeit geprüft werden.

Große Antikörperstudie zu COVID-19-Erreger in Deutschland geplant

Auch an der Charité in Berlin wird ein massentauglicher ELISA-Test in zwei bis drei Wochen verfügbar sein, sagte der Virologe Christian Drosten im NDR-Podcast "Das Coronavirus-Update". Er und seine Kollegen könnten einen Antikörpertest schon jetzt im Labor umsetzen, jedoch seien die Testverfahren noch sehr handwerklich und zeitintensiv.

Was in Arbeit und in circa zwei Wochen verfügbar ist, so Drosten, sei ein ELISA, mit dem große Personengruppen getestet werden können. Der Wissenschaftler beschreibt Antikörpertests als dritte Informationsquelle, die Aufschluss über die Immunität in der Bevölkerung gibt. Anhand von ihr könnten Epidemiologen neben den derzeitigen Meldedaten zu Infektionen und der Zahl der Verstorbenen ein neues Bild zeichnen, sagt auch Drosten.

Um möglichst schnell an diese Informationen zu gelangen, ist unter Leitung des Helmholtz Zentrums für Infektionsforschung unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Institut für Virologie der Berliner Charité eine große Antikörper-Studie geplant. Sie soll Aufschlüsse über die unerkannte SARS-Cov-2-Immunität in der Bevölkerung liefern.

Geplant ist dafür schon im April die Blutuntersuchung von mehr als 100.000 Probanden auf SARS-Cov-2-Antikörper. Allerdings ist die Studie nach Angaben des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" bislang nicht endgültig bewilligt.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Prof. Dr. John Ziebuhr, Leiter des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Gießen und Mitarbeiter am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung
  • Ärzteblatt.de: Erster Antikörpertest für SARS-CoV-2 vorgestellt.
  • Spiegel.de: Hamburg startet Studie zu neuem Antikörpertest
  • NDR-Podcast: Das Coronavirus-Update mit Christian Drosten - Folge 21 und 22 (25./26.02.2020). Antikörpertests kommen bald.
  • Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung. HZI koordiniert Projekt zur Verbreitung von Coronavirus-Antikörpern.
  • Spiegel.de: Coronavirus. Große Antikörperstudie soll Immunität der Deutschen feststellen.
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