Sobald die Temperaturen steigen und die Sonne sich blicken lässt, ebben saisonale Grippewellen in der Regel ab. Aber gilt das auch für das Coronavirus SARS-CoV-2? Experten haben wenig Hoffnung - und sehen vor allem ein Problem.

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Am Anfang der Corona-Pandemie stand immer wieder die These im Raum, dass das Virus im Sommer möglicherweise fast wie von allein verschwinden könnte. Denn höhere Temperaturen sind ein natürlicher Feind vieler Viren. Das gilt laut Robert-Koch-Institut (RKI) auch für Influenza, also für die echte Grippe.

Da sich auch einige Viren aus der Corona-Familie, die saisonale Erkältungen verursachen, so verhalten, gab es die Hoffnung, dass mit steigenden Temperaturen das Ausbruchsgeschehen nachlassen würde.

Nun scheint das Coronavirus langsam auf dem Rückzug zu sein – jedenfalls bei uns. Liegt es etwa am schönen Wetter? "Das wüssten wir auch gerne", sagt Susanne Glasmacher, Sprecherin des Robert-Koch-Instituts, der dpa. Einen "gewissen Effekt" werde es diesbezüglich wohl geben.

Coronavirus: Sonnenlicht und frische Luft als Nachteile für Viren

Studien zufolge kann das Virus nämlich grundsätzlich auf Oberflächen mit direkter Sonneneinstrahlung zerstört werden. Das bestätigt Melanie Brinkmann, Professorin am Institut für Genetik an der Technischen Universität Braunschweig, der dpa. Der UV-Anteil des Sonnenlichts könne die Erbsubstanz des Virus schädigen.

Brinkmann erklärte außerdem, die mit SARS-CoV-2 verwandten Coronaviren des Menschen seien im Winter am aktivsten: "Wir hoffen daher, dass dies auch auf SARS-CoV-2 zutrifft."

Atemwegserkrankungen können sich vor allem dann gut ausbreiten, wenn sich mehrere Menschen in Räumen mit trockener Heizungsluft aufhalten, wie es im Winter der Fall ist. Die Schleimhäute in Augen und Nase sind dann angreifbarer und durchlässiger. In schlecht belüfteten Räumen können sich grundsätzlich Aerosole ansammeln und über die Atemwege tief in die Lunge geraten. Eine volle, beheizte U-Bahn mit trockener Luft wirkt auf Viren daher beispielsweise geradezu wie ein Paradies zur Verbreitung.

Im Sommer sind wir aber öfter an der frischen Luft – der Luftaustausch ist dadurch grundsätzlich größer. "In den meisten Fällen ist es besser, wenn man draußen ist. Denn dort findet sehr viel Verdünnung des Virus statt", erklärte Linsey Marr, Spezialistin für Aerosole der US-Universität Virginia Tech, kürzlich der "New York Times".

Das sieht auch der deutsche Virologe Christian Drosten so. Er schätzt, dass fast die Hälfte der Virusübertragungen auf Aerosole in geschlossenen Räumen zurückzuführen ist. Diese virenbelasteten Schwebeteilchen können sich in der Luft verteilen, dort ansammeln und über einige Stunden infektiös bleiben, erklärte der Leiter der Virologie der Berliner Charité in seinem NDR-Podcast. Wenn wir uns also im Sommer weniger drinnen aufhalten, ist auch die Gefahr einer Infektion niedriger.

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Ohne Immunität bringt auch der Sommer wenig

Im Prinzip gebe es den Effekt des Sommers zwar, das zeige auch der übliche Verlauf der Influenza, der Grippe, bestätigt der Leiter der Virologie der Medizinischen Hochschule Hannover, Thomas Schulz. Das Problem ist jedoch: Die Chance für das neue Coronavirus, sich in einer Bevölkerung, die größtenteils nicht immun sei, zu vermehren, sei weitaus besser. Die Dosis an UV-Licht, die draußen vorkomme, habe dabei zu wenig Einfluss.

Aufgrund der weitgehend fehlenden Immunität gegen SARS-CoV-2 reichten alle Nachteile des Sommers für das Virus nicht aus, um es zurückzudrängen, sagte auch RKI-Sprecherin Glasmacher. Sie verwies auf den Schweinegrippeerreger H1N1, der im April 2009 ausgebrochen war und viele Grippefälle auch im Sommer - und bis weit ins folgende Jahr - ausgelöst hatte.

Auch SARS-CoV-2 ist ein vollkommen neues Virus. Unser Immunsystem kennt es noch nicht – anders als bisherige Winterviren. Daher kann es sich mit einer exponentiell steigenden Geschwindigkeit verbreiten. Je mehr Menschen aber immun sind, desto häufiger werden mögliche Infektionsketten unterbrochen, sodass größere Ausbrüche gar nicht erst entstehen können. Doch bis dahin können auch Wärme und frische Luft wohl nur bedingt etwas ausrichten, wenn der Erreger noch genug Wirte findet, die er befallen kann.

Infografik Corona-App

Hoffnung auf Sommer-Senke unter Experten eher gering

Clemens Wendtner, Chefarzt der Klinik für Infektiologie der München Klinik Schwabing, rechnet ebenfalls weiter mit einem leichten Abflauen im Sommer, mahnt aber: "Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass wir durch die höheren Temperaturen ein Verschwinden des Virus erreichen werden."

Auch Schulz kann sich vorstellen, dass Wärme und Sonnenlicht die sogenannte Reproduktionszahl des Virus drücken können - "aber nur leicht". Diese gibt an, wie viele Menschen im Schnitt von einem Infizierten angesteckt werden. "Wer sagt, es sei alles nicht so schlimm, alle Erkältungsviren gingen im Sommer zurück, dem kann ich nur sagen: Träum weiter!", betonte der Experte.

Das bestätigt auch ein Forschungsergebnis der Universität Harvard. "Wetteränderungen allein werden sehr wahrscheinlich nicht ausreichen, um die Übertragung von SARS-CoV-2 vollständig einzudämmen". Allerdings sollen Temperaturen über 25 Grad die Ausbreitungsgeschwindigkeit zumindest ein wenig reduzieren, so die Wissenschaftler in ihrer Studie nach Vergleich weltweiter Wetterdaten während der Corona-Pandemie.

Des Weiteren heben die Forscher die Bedeutung des Immunsystems hervor, welches im Allgemeinen in den Sommermonaten meist stärker als im Winter ist - möglicherweise durch den Einfluss von Vitamin D im Sonnenlicht.

Unsichere Aussichten für Herbst

Dass der Sommer das Virus schlagartig ausrottet – daran glaubt mittlerweile kaum jemand mehr. Ob es in der kühleren Jahreszeit allerdings zu einem erneuten deutlichen Anstieg kommen wird, hängt laut Brinkmann von der Zahl der Infizierten im Spätsommer und Herbst ab, aber auch von Test- und Therapiemöglichkeiten, der Unterbrechung der Infektionsketten und - "unser aller Verhalten".

Wendtner geht davon aus, man müsse, solange es keine Impfung gebe, mit einem Aufflackern der Infektionen etwa ab Oktober rechnen. Möglicherweise werde es dann nicht mehr wie derzeit Hotspots geben, sondern das Virus werde sich flächendeckend ausbreiten. "Wir werden COVID-19 weiter in das Jahr 2021 tragen."

Ob dann verschobene Events wie Olympia und die Fußball-EM der Männer nachgeholt werden können, ist unklar. Schulz forderte jedenfalls weiter: "Abstand, Abstand, Abstand."

Mit Material der dpa

Verwendete Quellen:

  • Robert-Koch-Institut: Häufig gestellte Fragen und Antworten zur Grippe
  • Bundesministerium für Forschung und Bildung: Faktencheck zum Coronavirus
  • Ärzteblatt: Wo bleibt die Grippe im Sommer?
  • NDR: Das Coronavirus-Update mit Christian Drosten
  • New York Times: What We Know About Your Chances of Catching the Virus Outdoors
  • Center for Communicable Disease Dynamics - Harvard T.H. Chan School of Public Health: Seasonality of SARS-CoV-2: Will COVID-19 go away on its own in warmer weather?
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