Für VW mussten zehn Affen Diesel-Abgase einatmen – vier Stunden lang. Die Diskussion um Tierversuche nimmt nach diesem Experiment neue Fahrt auf. Was dabei manchmal übersehen wird: Tierversuche sind in Deutschland vorgeschrieben. Und das seit Jahren.
Jedes Jahr werden in Deutschland laut dem Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft knapp drei Millionen Tiere für Versuche genutzt.
"Das ist die Spitze eines riesigen Eisbergs. Es fehlen unzählige Tiere in dieser Statistik, Wirbellose, Würmer, Schnecken. Es werden beispielsweise auch Tiere im Labor auf Vorrat gehalten, und wenn man die nicht mehr braucht, werden sie getötet. Diese Tiere kommen in der Statistik gar nicht vor", sagt Claus Kronaus, Geschäftsführer des Vereins "Ärzte gegen Tierversuche".
Durchgeführt werden die Tierversuche von Pharmakonzernen, Unis und privaten Laboren.
Generell dürfen Wissenschaftler in Deutschland mit jedem Tier experimentieren. Auch mit Affen.
Die beliebtesten Forschungstiere sind Mäuse. Sie machen 70 Prozent aller Tiere aus. Dagegen wirkt der Prozentsatz der verwendeten Affen mickrig: Von allen Versuchstieren machten sie 0,06 Prozent aus - das sind aber immer noch 1.687 Affen.
Biologische Grundlagenforschung verbraucht die meisten Tiere
Etwa 50 Prozent der Tiere werden für die biologische Grundlagenforschung genutzt.
Laut dem Max Plank Institut dient sie dem Erkenntnisgewinn. Doch so einen Test durchzuführen, ist nicht so einfach.
Die Richtlinien für einen Tierversuch sind im Tierschutzgesetz verankert. Ob privates Labor oder öffentliche Forschungszentrum: Jeder, der in Deutschland einen Tierversuch vornehmen will, muss einen Tierschutzbeauftragten haben.
Der überwacht den Versuch im Hinblick auf den Tierschutz und stellt zusammen mit den Wissenschaftlern einen Antrag bei der zuständigen Behörde.
"So ein Formular hat zwölf Seiten, dazu kommen dann noch Anlagen. Bis so ein Antrag fertig ist, dauert es üblicherweise Wochen bis Monate", erklärt Dr. Gerd Möbius, Tierschutzbeauftragter der Veterinärmedizinischen Fakultät der Uni Leipzig.
Das Gesundheitsamt oder das Regierungspräsidium muss dann zusammen mit einer Tierschutzkommission den Versuch genehmigen.
"Es werden eher mehr Versuche zugelassen als abgelehnt, aber bei den meisten werden noch Änderungen vorgenommen. Kritische Nachfragen und Änderungen von Seiten der Behörde und der Tierkommission sind die Regel," sagt Dr. Möbius im Gespräch mit unserer Redaktion.
Schweineherz in Bauch von Pavian eingesetzt
Hinter dem Namen "Biologische Grundlagenforschung" versteckt sich eigentlich alles, was man sich so an Forschung ausmalen kann.
"Zum Beispiel wird einer Kuh während einer Klauenoperation ein Brustgurt zur Messung der Herzfrequenz angelegt. Das ist der gleiche Gurt, den auch Sportler benutzen", erklärt Dr. Möbius.
So soll herausgefunden werden, wie man den Stress der Kuh bei künftigen Operationen reduzieren kann. Dieser Test ist recht harmlos, zählt aber als Tierversuch.
Es gibt aber auch die andere Art von Tierversuchen. Für eine Doktorarbeit an der LMU München setzte eine Doktorandin elf Schweineherzen in die Bauchhöhle von elf Pavianen ein.
Das Ziel: Die Erforschung von Organverpflanzungen zwischen zwei Spezies. Das war für die Affen natürlich schmerzhaft.
Auf der einen Seite erscheint das unnötig. Auf der anderen Seite stehen 800 Menschen, die in Deutschland auf ein Spenderherz warten. Weniger als die Hälfte bekommt eines.
Vielleicht sind die Paviane umsonst gestorben. Vielleicht können dank dieses Experimentes aber irgendwann Schweineherzen Leben retten.
Solch eine Hoffnung ist oft stärker als die Ethik. Die Regierung Oberbayerns muss gehofft haben. Sie hat den Tierversuch genehmigt.
Allerdings ist die Chance, dass dieses Experiment dem Menschen tatsächlich etwas bringt laut Claus Kronaus sehr gering: "Weniger als ein Prozent der Ergebnisse kann man tatsächlich vom Mensch auf das Tier übertragen. Das steht in krassem Gegensatz zu der Aussage, die man immer hört, dass man mit Tieren forschen muss, um Krankheiten des Menschen zu heilen."
Tierversuch ohne Genehmigung möglich
Neben der biologischen Grundlagenforschung gibt es noch Tierversuche, die in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben sind. Die sogenannten regulatorischen Tierversuche. Ein Beispiel ist die "Verordnung über Medizinprodukte".
Hier steht in Pragraph 2: "Zur Bewertung der biologischen Verträglichkeit von Medizinprodukten sind biologische Sicherheitsprüfungen mit Tierversuchen durchzuführen."
Solche vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Versuche machen etwa 20 Prozent aller Tierversuche aus.
Im Gegensatz zu Versuchen zur biologischen Grundlagenforschung müssen diese Tierversuche lediglich bei den Behörden angemeldet werden. Extra genehmigt werden müssen sie nicht.
Tierversuche sollen so schonend wie möglich sein – geht das überhaupt?
Hoch gehalten wird bei Tierversuchen das sogenannte 3R Prinzip, eine Art ethischer Bauplan für Tierversuche. Die 3R sind Replace (Vermeiden), Reduce (Verringern) und Refine (Verbessern).
Soll heißen: Wenn man einen Tierversuch vermeiden kann, soll man ihn nicht durchführen, man soll ihn mit so wenigen Versuchstieren wie möglich durchführen und immer daran arbeiten, den Versuch zu verbessern.
Alles schöne Worte, aber für Claus Kronaus nichts weiter als Augenwischerei: "Wir sind ganz klar gegen das 3R Prinzip, weil es suggeriert, dass der Tierversuch an sich schon gut ist, man muss ihn nur verfeinern. Das stimmt nicht", sagte er im Gespräch mit unserer Redaktion.
Alternativen zu wenig gefördert
In Deutschland wird bereits seit 1980 nach Alternativen geforscht. Das Problem: Es vergehen Jahre, bis eine Alternativmethode anerkannt und genehmigt wird.
Zudem gibt es in Deutschland ein Ungleichgewicht zwischen der Förderung von Tierversuchen und der Förderung von Alternativen:
"Da ist noch massiv Luft nach oben. Wir wissen, dass jedes Jahr Milliarden Euro in Tierversuche investiert werden. Tierversuchsfreie Methoden werden mit knapp elf Millionen pro Jahr gefördert. Das sind weniger als ein Prozent der Fördergelder. Und das ist ein Skandal," sagt Claus Kronaus.
Dennoch können mittlerweile einige Tierversuche gemieden werden. So werden heute Haut- und Hornhautzellen im Labor gezüchtet.
Auf dieser künstlichen Haut kann die Wirkung von Arzneimitteln oder Chemikalien sogar besser getestet werden als auf der Haut von Kaninchen.
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