- Während der Corona-Pandemie setzen auch Hilfsgruppen für Suchtkranke verstärkt auf Online-Treffen.
- Ein Beispiel ist die Blaukreuz-Selbsthilfegruppe Remscheid.
Kein Stuhlkreis, dafür eine Kachel-Ansicht. Der Meeting-Raum ist ein virtueller, die Begegnung dennoch echt. Nach dem "Herzlich willkommen!" und einer Vorstellungsrunde gibt es einen Impuls: "Umkehr". Der Begriff soll den Austausch anstoßen.
"Löst das Wort etwas bei euch aus?", fragt der Gruppenleiter. "Und wenn ja - was?" Und schon hat Michael Buchner die acht Menschen ins Gespräch gebracht.
Sechs Männer und zwei Frauen, die alle mit einem Problem zu kämpfen haben: ihrer Alkoholabhängigkeit. In diesem Meeting des Blauen Kreuzes hören sie einander zu, reflektieren das eigene Verhalten, denken gemeinsam nach. Am Ende verabreden sie sich für die kommende Woche; dann soll es um "Motivation" gehen. Auch dann wieder im geschützten Rahmen der Verschwiegenheit.
Virtuelle Angebote für Suchtkranke
Die Gruppe hat Michael Buchner, selbst "trockener Alkoholiker", wie er sagt, am Beginn der Corona-Pandemie im März in Remscheid eröffnet. Sie ist eines der neuen virtuellen Angebote des Sucht-Selbsthilfe-Verbands Blaues Kreuz in Deutschland e.V. mit Sitz in Wuppertal. "BlueMeeting" heißt das Format, das beispielhaft zeigt, wie die Selbsthilfe auf die Kontaktbeschränkungen des Jahres 2020 reagiert hat. Zu beobachten ist, dass die Teilnehmenden im Schnitt durchweg erheblich jünger sind als jene, die mit den Präsenzgruppen erreicht werden. Ein positiver Pandemie-Effekt.
Das "In-Kontakt-Sein" ist gerade für chronisch erkrankte Menschen, und damit auch für Suchtkranke, lebensnotwendig. Fänden Gruppentreffen nicht statt, nähmen psychische Beschwerden zu, resümiert die NAKOS, die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (Berlin). "Suchterkrankten drohen Rückfälle, Gruppenmitglieder sind von Einsamkeit und sozialer Isolation betroffen." Um hier gegenzusteuern, nutzten und nutzen die Gruppen der Sucht-Selbsthilfe vielerorts auch andere kommunikative Wege - vom Telefon über den Spaziergang zu zweit bis hin zu Whats-App-Gruppen, Chats oder Video-Konferenzen.
Die Sucht-Selbsthilfe habe "in der Digitalisierung eine wichtige Herausforderung erkannt", sagt Peter Raiser, Referent für Grundsatzfragen und stellvertretender Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) in Hamm. Es gelte, "Face-to-Face-Angebote, persönliche Kontakte und Gruppentreffen nicht ersetzen zu wollen, sondern die richtige Mischung aller Angebote herzustellen".
Präsenztreffen nur mit Hygienevorschriften
Um die Bedeutung der unmittelbaren Begegnung bei Präsenztreffen hervorzuheben, hat sich die DHS bereits im Frühjahr mit einer Stellungnahme an Bund und Länder gewandt. Raiser: "Dies hatte den Effekt, dass die Systemrelevanz der Sucht-Selbsthilfe mittlerweile in den Bundesländern und Kommunen ganz überwiegend anerkannt wurde." Eine Einstufung, die es ermögliche, "unter Wahrung der Hygienevorschriften wieder Gruppentreffen durchzuführen".
Allerdings ist die Situation stets eine dynamische und häufig abhängig vom jeweiligen Bundesland. In Nordrhein-Westfalen waren Gruppentreffen nahezu durchgängig möglich, da laut §7 der Coronaschutzverordnung Angebote der Selbsthilfe zu den "weiteren außerschulischen Bildungsangeboten" zählen.
Weil die Präsenzveranstaltung inzwischen das Besondere sei, werde sie nun wesentlich stärker wertgeschätzt, so Jürgen Naundorff. Er ist Leiter des Hauptbereichs Ideelles beim Blauen Kreuz in Deutschland e.V. und beobachtet auch, dass sich die beschleunigte Digitalisierung in der Sucht-Selbsthilfe auch auf die Organisation der Verbände auswirkt - jeweils im eigenen Bereich und auch im Miteinander. Jürgen Naundorff: "Häufigere und zeitlich kompakte Konferenzen führen zu engeren und oft auch schnelleren Absprachen, durch ein enger getaktetes Abstimmen intensivieren sich Kontakte, es wächst Vertrauen." (spot/dpa)
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