Die Diagnose Krebs wirft Menschen völlig aus der Bahn. Ganz plötzlich wird man damit konfrontiert, dass das Leben endlich ist. Auch wenn Krebs nicht automatisch ein Todesurteil ist, gehört die Krankheit nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland. Wissenschaftler und Ärzte arbeiten mit Hochdruck daran, das zu ändern. Wir haben mit Dr. Regine Hagmann, der Leiterin des Krebsinformationsdienstes des Deutschen Krebsforschungszentrums, gesprochen. Sie glaubt nicht, dass wir Krebs jemals ausrotten werden. Umso wichtiger ist es, der Krankheit vorzubeugen. Wie das am besten geht, erklärt die Expertin im Interview.
Die meisten von uns kennen Menschen, die an Krebs erkrankt sind. Fast jeder hat also auf irgendeine Weise mit der Krankheit zu tun. Wird Krebs immer häufiger oder sind nur die Diagnosemöglichkeiten heute besser?
Krebs wird wirklich häufiger diagnostiziert. Das liegt aber unter anderem daran, dass die Menschen immer älter werden. Ein höheres Alter ist für viele Krebskrankheiten ein Risikofaktor, zum Beispiel für Prostatakrebs. Es ist jedoch nicht so, dass die Erkrankungsraten bei jungen Menschen zunehmen. Da sind sie eher rückläufig. Was sicherlich auch dazu führt, dass häufiger die Diagnose gestellt wird, sind die Maßnahmen der Krebsfrüherkennung. Auch hierfür ist Prostatakrebs ein Beispiel.
Sie haben Alter als Risikofaktor genannt. Daneben gilt das Rauchen als maßgeblicher Auslöser für bestimmte Krebsarten. Welche Risikofaktoren gibt es noch?
Eine wichtige Rolle spielt übermäßiger Alkoholkonsum, der bei zahlreichen Krebserkrankungen als Risikofaktor erkannt ist. Vor allem bei Tumoren im Kopf-/Halsbereich, also Mundhöhlen- oder Rachenkrebs, aber auch bei Brustkrebs. Ein weiterer Risikofaktor, den man leicht beeinflussen kann, ist die UV-Strahlung, die zu Hautkrebsen führen kann. Vor Virusinfektionen, die Krebs auslösen, kann man sich schützen, zum Beispiel durch die HPV-Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs. Übergewicht und Bewegungsmangel sind ebenfalls Risikofaktoren, belegt ist dies für Brust- und Dickdarmkrebs.
Man kann also sehr viel tun, um das Krebsrisiko zu minimieren. Trotzdem erkranken auch Menschen an Krebs, die sehr gesund leben. Zum Beispiel der Apple-Gründer Steve Jobs, bei dem 2003 Bauchspeicheldrüsenkrebs festgestellt wurde und der 2011 daran verstorben ist. Man kann sich also nicht in jedem Fall vor einem bösartigen Tumor schützen.
Wenn man an Krebs erkrankt, kommen in der Regel viele verschiedene Faktoren zusammen. Einige können wir nicht beeinflussen. Häufig hat man Schicksale vor sich, bei denen man sagen muss: "Das passt nicht. Da wurde alles getan, um sich gesund zu erhalten." Woran das im Einzelnen liegt, kann man ganz selten feststellen. Es gibt ja auch Menschen, die sich ihr ganzes Leben lang Risikofaktoren aussetzen und nicht erkranken, zum Beispiel mancher starke Raucher. Bei ihnen spielt sicherlich die genetische Ausstattung eine Rolle. Das zu erforschen ist ja auch ein ganz wichtiges Thema.
Der Krebsinformationsdienst, den Sie leiten, hat sich vor allem die Aufklärung über Krebs zur Aufgabe gemacht. Wie wichtig ist diese, um Krebs vorzubeugen?
Information und Aufklärung ist sehr wichtig, um das persönliche Krebsrisiko zu minimieren. Um sich zu diesem Thema zu informieren, greifen die Menschen allerdings seltener zum Hörer, sondern suchen lieber im Netz. Der Krebsinformationsdienst hält zu Vorbeugung und Krebsfrüherkennung unter www.krebsinformationsdienst.de umfassende Informationen bereit. Per Telefon oder E-Mail wenden sich im Augenblick hauptsächlich Patienten oder Menschen an den KID, die indirekt betroffen sind, also Angehörige oder Freunde. Sie wollen dringend erfahren, wohin sie sich mit ihrem Problem wenden können oder mehr über ihre Erkrankung wissen. Wir unterstützen die Menschen dabei, den richtigen Ansprechpartner für ihre Fragestellung zu finden. Darüber hinaus liefern wir wissenschaftlich fundierte Informationen zu den einzelnen Erkrankungen. Man kann uns praktisch alles fragen.
Wie sinnvoll bewerten Sie alternative Heilmethoden, um Krebs zu behandeln? Gibt es nachweislich Patienten, die dadurch geheilt werden konnten?
Mir ist kein Fall bekannt, in dem ein Patient allein mit alternativen Therapien geheilt wurde. Sie können unter Umständen nützlich sein, wenn man sie zusätzlich verwendet. Zum Beispiel kann Akupunktur Krebspatienten bei der Bewältigung von Übelkeit helfen. Das muss man individuell betrachten.
In manchen Fällen gibt es keine Heilungschancen mehr. Woran erkennt ein Arzt das? Sind Metastasen an sich schon ein Todesurteil?
Sicherlich nicht bei jeder Krebserkrankung. Manche Patienten kann man auch bei Vorliegen von Metastasen heilen. Aber wenn Metastasen bestehen, ist die Krankheit fortgeschritten und die Heilungschancen sind nicht so groß wie in einem früheren Krankheitsstadium. Oft kann die Krankheit auch bei Metastasen lange in Schach gehalten werden. Dafür spielt auch der allgemeine Gesundheitszustand eine Rolle. Vieles ist im Moment der Diagnose zunächst schwer zu beurteilen. Man kann häufig erst durch das Ansprechen auf die Behandlung absehen, wie der weitere Verlauf sein könnte.
Im Idealfall wird ein Tumor früh erkannt, um optimal behandelt zu werden. Das Mammografie-Screening gilt zum Beispiel als eine wichtige Methode der Früherkennung von Brustkrebs. Viele Frauen verzichten aber bewusst darauf, weil sie sich dem Risiko der Röntgenstrahlung nicht aussetzen wollen. Wie sehen Sie das?
Man muss den möglichen Nutzen immer gegen den möglichen Schaden abwägen. Jede Frau muss das für sich selbst entscheiden. Am besten auf der Basis von wissenschaftlich fundierter Information und unter Einbeziehung der eigenen Präferenzen, also dessen, was einem wichtig ist. Es gibt ja Berechnungen zum Krebsrisiko durch das Mammografie-Screening. Das wurde vor der Einführung des Screenings genau durchgerechnet. Man ist damals zu der Auffassung gekommen, dass der Nutzen den Schaden überwiegt. Mittlerweile werden neuere Geräte verwendet, so dass das Risiko jetzt als noch geringer angesehen wird als noch vor einigen Jahren.
Welche Vorsorgeangebote empfehlen Sie Frauen und Männern?
Ich sehe mich nicht in der Position, Empfehlungen auszusprechen. Ich finde es wichtig, die Fakten über möglichen Nutzen und Schaden zu kennen. Auf dieser Basis muss jeder für sich persönlich entscheiden. Dabei spielt es beispielsweise auch eine Rolle, ob ein individuell höheres Risiko besteht aufgrund von Vorerkrankungen oder Familiengeschichte. Hier ist eine Beratung mit dem Arzt sehr wichtig.
Glauben Sie, dass sich Krebs irgendwann ausrotten lässt?
Nein, das glaube ich nicht. Es handelt sich dabei um eine Erkrankung, bei der in unserem Genmaterial ein Unfall passiert. Wir können vielleicht verschiedene Risikofaktoren, die das begünstigen, minimieren. Je mehr die Krebsforschung zutage bringt, was in einer Zelle schief gelaufen ist, wenn sie zur Tumorzelle geworden ist, umso gezielter können wir vorbeugen und behandeln. Dadurch wird man dem Ziel näher kommen, Krebs zu verhindern bzw. immer mehr Patienten zu heilen. Oder man bekommt die Krankheit wenigstens so gut in den Griff, dass sie zur chronischen Krankheit wird, mit der man gut weiterleben kann, vergleichbar mit der Zuckerkrankheit oder einer schweren Autoimmunkrankheit wie Rheuma. Aber dass wir Krebs ausrotten können, glaube ich persönlich nicht.
Achten Sie als Leiterin des Krebsinformationsdienstes verstärkt auf Ihren Lebenswandel?
Man verliert eine gewisse Unbefangenheit, wenn man weiß, wie schicksalhaft diese Krankheit sein kann. Das Leben kann sich von heute auf morgen ändern, wenn man die Diagnose bekommt. Man überlegt sich natürlich, wie man sein persönliches Risiko möglichst klein halten kann. Ich rauche nicht. Ich denke bei einem Gläschen Wein daran, dass es vielleicht nicht mehr werden sollte als ein Glas am Tag. Ich fahre Rad und benutze die Treppen statt des Aufzugs, bleibe also körperlich in Bewegung. Ich versuche, mich ausgewogen zu ernähren. Fertiggerichte sind tabu. Und ich achte auf Sonnenschutz. Das alles ist einfach zu bewerkstelligen und bringt viel, nicht nur in Bezug auf das Krebsrisiko.
Frau Dr. Hagmann, vielen Dank für das Gespräch.
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