Laute Motoren, Baustellen und musizierende Nachbarn – Lärm hat viele Gesichter. Wahrgenommen wird Lärm absolut subjektiv. Ein besonders hohes Risiko für die Gesundheit stellt Verkehrslärm dar. Wie schützt man sich davor und was können Lärmgeplagte unternehmen? Ein Experte gibt Rat.
Das Risiko lauert überall: an viel befahrenen Straßen, neben Baustellen, in Flugzeugschneisen oder in Autobahnnähe, am Spielplatz oder sogar auf dem Land. Lärmquellen gibt es unendlich viele. Ebenso individuell wie die Art des Lärms wird dieser auch wahrgenommen.
Während den einen imposant röhrende Motorradkolonnen im Sommer an die Decke gehen lassen, empfinden andere laut spielende Nachbarskinder oder Musikinstrumente in der Mietwohnung als belastend. Auch der morgendlich krähende Hahn im vermeintlich ruhigen Dorf kann für Stressgefühle und Nachbarschaftsstreit sorgen.
Lärm gefährdet die Gesundheit
Doch Lärm nervt nicht nur. Hält Lärm dauerhaft an und überschreitet er bestimmte Grenzwerte, kann er auch ein Risiko für die Gesundheit darstellen. Die Folgen können Hörschäden, chronischer Stress, Schlafstörungen und sogar Kreislauferkrankungen sein.
Experten sind sich einig: Viele Straßen sind zu laut. Um die aktuell festgelegten Grenzwerte für Deutschland zu überprüfen, tagte auf Initiative von Baden-Württembergs Lärmschutzbeauftragtem Thomas Marwein von den Grünen eine Expertenrunde zur Lärmwirkungsforschung. 76 Prozent der deutschen Bevölkerung soll sich laut Marwein durch Straßenlärm belästigt fühlen.
WHO empfiehlt niedrigere Grenzwerte
In ihrer im Februar in Stuttgart vorgelegten Erklärung fordern die Experten strengere Grenzwerte für verkehrsbedingten Lärm und befürworten ein Absenken der aktuell als gesundheitsgefährdend eingestuften Schwellenwerte: Tagsüber ab 70 Dezibel, nachts bei Werten ab 60 Dezibel. Die im Oktober 2018 veröffentlichte Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt deutlich geringere Grenzwerte: Tagsüber sollte diese laut WHO bei einer Grenze von 53 Dezibel liegen, nachts bei 45.
Interview mit Michael Jäcker-Cüppers
Michael Jäcker-Cüppers ist Vorsitzender des Arbeitsrings Lärm der DEGA (ALD) von der Deutschen Gesellschaft für Akustik e.V. (DEGA). Die unabhängige Fachgruppe setzt sich seit 2009 für einen verbesserten Schutz gegen Lärm in Deutschland und der EU ein. Wir haben mit ihm über Lärm gesprochen.
Herr Jäcker-Cüppers, stellt Lärm erst ab einer gewissen Dezibel-Höhe ein gesundheitliches Risiko dar? Oder kann auch der ständig lärmende Nachbarn krank machen?
Michael Jäcker-Cüppers: Im deutschen Lärmschutzrecht wird traditionell zwischen Geräuschbelastungen unterschieden, die gesundheitliche Risiken mit sich bringen und solchen, die "nur" zu Belästigungen und Störungen führen. Für zahlreiche Geräuschquellen – zum Beispiel für Nachbarschaftslärm – liegen abgesicherte Studien zu den Lärmwirkungen nicht vor. Aus Umfragen wissen wir aber, dass der Nachbarschaftslärm nach dem Straßenverkehrslärm die bedeutendste Lärmquelle ist.
Kann man sich an Lärm gewöhnen? Oder hinterlassen chronische Lärmquellen unbemerkt Spuren?
Geräusche haben unter anderem die Funktion, uns vor Gefahren zu warnen. Daher die sprachliche Nähe von Alarm und Lärm. Deshalb sollte das Ohr immer in Funktion sein. Das bedeutet dann aber auch, dass wir auf Geräusche stets auch mit physiologischen Folgen reagieren, z. B. in Form von Ausschüttung von Stresshormonen, die den Körper entweder für das Flüchten oder das Standhalten mobilisieren.
In diesem Sinne gibt es keine Gewöhnung an den Lärm. Das trifft vor allem auf die nicht bewusst wahrgenommenen Auswirkungen von Geräuschen zu, wie die Verschlechterung der Schlafqualität. Man muss dazu nicht bewusst aufwachen. Aber auch im wachen Zustand pflegen Menschen mit hoher Lärmempfindlichkeit auf Alltagsgeräusche dauerhaft "schreckhaft" zu reagieren.
Allerdings kann man mit regelmäßig auftretenden Geräuschen – wie die pünktliche und relativ seltene Vorbeifahrt eines Personenzuges – in der Regel besser umgehen."
Lässt sich die Einstellung zu nervigen Geräuschen ändern? Und wenn ja: wie?
Grundsätzlich ist das Nerven eines Geräusches ein wichtiges Signal zum Handeln. Gerade beim Umgebungslärm sollte es aber vorrangig eine Aufforderung sein, sich um die Verminderung zu kümmern. Es gibt allerdings auch Geräuscharten, die in der Regel sozial akzeptiert und gewissermaßen "geschützt" sind wie der Kinderlärm. Hier empfiehlt sich eine Veränderung der Einstellung. Erfolg ist aber nicht garantiert.
Ist es hilfreich, Lärm mit Musik überdecken? Oder macht "Lärm-Layering" die störenden Geräusche noch schlimmer?
Die Wirksamkeit einer Überdeckung von störenden Geräuschen durch solche angenehmerer Natur ist in der lärmpolitischen Diskussion umstritten. Es mag erfolgreiche Anwendungsfälle wie die Maskierung von Verkehrslärm an Stadtplätzen durch Geräusche durch sprudelndes Wasser geben, generell aber sollte das vorrangige Ziel immer die Verminderung der störenden Geräusche selbst sein.
Gibt es akute Warnzeichen für "Lärmschäden"?
Gesundheitliche Wirkungen infolge von Umgebungslärm ergeben sich in der Regel erst nach lang andauernder Einwirkung. Sie treten schleichend und ohne Warnzeichen ein. Ausnahmen sind sehr laute Einzelgeräuschereignisse durch Knall oder Explosionen sowie der Besuch von lauten Rockkonzerten oder Diskotheken, die Hörschäden wie Vertäubung oder Tinnitus zur Folge haben können, die bis zu einem dauerhaften Verlust der Hörfähigkeit gehen können.
Und chronische Anzeichen?
Chronische Anzeichen können beispielsweise Bluthochdruck, Herzinsuffizienz oder Schlafstörungen sein. Es ist aber immer abzuklären, inwieweit andere Risikofaktoren bestehen.
An wen wendet man sich als Lärmgeplagter? An den Hausarzt? Einen Psychologen?
Vorrangig an den Verursacher, z.B. den Nachbarn, der seine Stereoanlage noch um Mitternacht mit voller Lautstärke betreibt. Oder an die jeweilige Stadtverwaltung, die für die Minderung des Umgebungslärms zuständig ist. Besonders lärmbedingte Nachbarschaftskonflikte sind mitunter auf Mediationsverfahren angewiesen. Sollten sich Symptome einstellen, deren Ursache eine anhaltende Geräuschbelastung sein könnte, wie etwa Schlafstörungen, ist eine Abklärung beim Hausarzt anzuraten.
Gibt es spezielle Übungen, die dabei helfen, besser mit Lärm umzugehen? Jacobsen, Yoga …
Da Lärm als Stressor zur gesamten Stressbelastung beiträgt, ist es sinnvoll, durch eine achtsame allgemeine Lebensführung diese Gesamtlast zu reduzieren. Dazu gehört es, in der eigenen Wohnung für die geräuschsensibelsten Phasen der Tagesgestaltung wie das Schlafen die ruhigsten Räume zu wählen, das Aufsuchen ruhiger Orte und ein bewusster Umgang mit selbsterzeugten Geräuschen (Anschaffung leiser Geräte, etwa für die Gartenarbeiten, Limitierung der Geräuschpegel bei der Mediennutzung). Entspannungsübungen wie Yoga sind ein wichtiges Element dieser Achtsamkeit.
Sollen sehr empfindliche Menschen sich durch Kopfhörer oder Ohrstöpsel von der Umwelt abkapseln? Oder können sie lernen, Geräusche weniger wahrzunehmen?
Der Gebrauch von Ohrstöpseln sollte nur das letzte Mittel sein, wenn alle anderen Maßnahmen zur Minderung der belastenden Geräusche ausgeschöpft sind. Und Lärm durch Musik aus Kopfhörern zu überdecken ist keine gute Idee, weil die Ohren dann noch mehr an Lautstärke aushalten müssen.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Michael Jäcker-Cüppers – Vorsitzender des Arbeitsrings Lärm der DEGA (ALD) von der Deutschen Gesellschaft für Akustik e.V. (DEGA)
- Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg: Lärm macht krank: Experten empfehlen niedrigere Lärmgrenzwerte
- Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg: Lärm und seine Auswirkungen auf die Gesundheit
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