• Wer in Deutschland einen Psychotherapieplatz braucht – und das sind immer mehr Menschen –, der sieht sich oft mit monatelangen Wartezeiten konfrontiert.
  • Welche Möglichkeiten gibt es, um dennoch schnell die dringend benötigte Hilfe zu erhalten?

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Es ist ein großer und mutiger Schritt sich einzugestehen, dass man psychotherapeutische Hilfe benötigt. Doch wer sich auf die Suche nach einem Therapieplatz macht, der kann schnell entmutigt werden.

Psychotherapie: Der erste Schritt

Wer sich Hilfe suchen möchte, der sucht zunächst eine sogenannte psychotherapeutische Sprechstunde auf. Dafür wendet man sich an einen zugelassenen Therapeuten oder eine Therapeutin. Pandemiebedingt ging das in den vergangenen Monaten auch häufig digital.

Bei der Sprechstunde wird festgestellt, ob man psychisch krank ist und einen Therapieplatz benötigt. Was man hier in der Regel außerdem schnell erfährt ist, dass der Bedarf an psychotherapeutischen Behandlungsplätzen größer ist als das Angebot.

Der Therapeut hat oftmals selbst keine Kapazitäten, um weitere Patienten aufzunehmen und muss an Kolleginnen und Kollegen verweisen. Doch auch bei diesen ist die Auslastung oft groß.

Gibt es zu wenige Psychotherapeuten?

Laut Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), gibt es in Deutschland zwar nicht zu wenige Psychotherapeuten, jedoch zu wenige, die gesetzlich krankenversicherte Patienten und Patientinnen behandeln dürfen.

Grund dafür seien die Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Dort wird bestimmt, wie viele Psychotherapeuten zugelassen werden. Der G-BA ermögliche viel weniger Praxissitze als benötigt würden.

Lange Wartezeiten sind die Norm

Nach einer Auswertung der Bundespsychotherapeutenkammer von über 300.000 Versichertendaten für das Jahr 2019 warten rund 40 Prozent der Patienten und Patientinnen mindestens drei bis neun Monate auf den Beginn einer Behandlung, wenn zuvor in einer psychotherapeutischen Sprechstunde festgestellt wurde, dass sie psychisch krank sind und deshalb behandelt werden müssten.

Die Corona-Pandemie habe die psychischen Belastungen in der Bevölkerung massiv erhöht, heißt es in der Auswertung. Insbesondere während der zweiten Corona-Welle hätten die Anfragen bei psychotherapeutischen Praxen massiv zugenommen. Auch der Krieg in der Ukraine ist prädestiniert dafür, weiter Ängste in der Bevölkerung zu schüren.

Akutbehandlung

Um dennoch schnell Hilfe erhalten zu können, verweist Munz auf die sogenannte "Akutbehandlung".

Auf diese habe man beispielsweise Anspruch, wenn man ohne Therapie schwerer oder chronisch erkranken würde, nicht mehr arbeiten könne oder andernfalls ins Krankenhaus eingewiesen werden müsste.

Die Akutbehandlung muss, laut Munz, nicht bei der Krankenkasse beantragt werden. Eine Psychotherapeutin, die in der Sprechstunde festgestellt habe, dass man eine Akutbehandlung benötige, stelle dafür eine schriftliche Empfehlung, die sogenannte "Individuelle Patienteninformation" aus. Mit dieser kann man sich selbst auch nach einer anderen Praxis umsehen.

Wie findet man Hilfe?

Um einen Therapieplatz zu finden, könne man sich an die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen wenden, so Munz. "Diese Stellen müssen versuchen, Ihnen innerhalb von zwei Wochen einen Termin für die Akutbehandlung zu vermitteln. Gelingt dies der Terminservicestelle nicht, muss sie versuchen, Ihnen einen Termin in einer Krankenhausambulanz zu besorgen."

Vor einer Akutbehandlung müsse man noch eine allgemeinmedizinische Praxis aufsuchen. Dort müsse insbesondere untersucht werden, ob nicht organische Ursachen für die psychischen Beschwerden bestehen.

Kann man auch zu einem privaten Psychotherapeuten gehen und kann man dafür finanzielle Hilfen beantragen?

"Wenn kein Behandlungsplatz bei einem zugelassenen Psychotherapeuten zu finden ist, dann können sich psychisch kranke Menschen auch bei privaten Praxen behandeln lassen", so Munz. Sie müssten dafür aber einen Antrag bei ihrer Krankenkasse nach dem sogenannten Kostenerstattungsverfahren stellen, der aufwendig sei und immer häufiger abgelehnt werde.

Was tue ich im Notfall?

"Wenn Sie sich in einer Situation befinden, die Sie nicht mehr ertragen können, Sie zum Beispiel Ihren Lebensmut völlig verloren haben oder von übermächtigen Ängsten geplagt werden, wenn Sie das Gefühl haben, die Kontrolle über sich völlig zu verlieren, oder wenn Sie nicht mehr wissen, was wirklich ist und was nicht, dann sollten Sie sich auf jeden Fall Hilfe suchen", so Munz. "Wenden Sie sich an jemanden, den Sie gut kennen. Wenn ein vertrauter Mensch nicht sofort erreichbar ist, können Sie sich auch an jemanden wenden, der sich gut mit seelischen Krisen auskennt und versteht, was mit Ihnen los ist. Auch Partner/-innen, Verwandte, Freund/innen oder Kolleg/innen können sich Rat holen, wenn sie die akute Krise eines Menschen erleben und nicht wissen, was sie tun können. Am besten suchen Sie in solchen Fällen Hilfe bei einem Arzt oder einer Ärztin bewiehungsweise einem Psychotherapeuten oder Psychotherapeutin.

Sollten diese kurzfristig nicht erreichbar sein, solle man sich an den ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen (bundesweite Telefonnummer: 116 117) oder direkt an das nächste psychiatrische Krankenhaus oder an ein Allgemeinkrankenhaus mit einer entsprechenden Abteilung wenden.

"In akuten psychischen Notfällen, insbesondere wenn eine unmittelbare Gefahr für Sie selbst oder andere besteht, sollten Sie nicht zögern, sofort den Rettungsdienst (112) oder die Polizei (110) zu verständigen", so Munz. Darüber hinaus haben viele Städte und Regionen einen "Krisendienst" eingerichtet, der Menschen in seelischen Notsituationen unterstützt, rund um die Uhr erreichbar ist und auch zu Ihnen nach Hause kommt, wenn dies notwendig ist. Sie finden diese Krisendienste auch im Internet, wenn Sie bei einer Suche "Krisendienst" und den Namen Ihrer Stadt eingeben."

Weitere Hilfs- beziehungsweise Beratungsangebote für akute Krisensituationen bietet die Telefonseelsorge, die für eine anonyme, kostenlose Beratung zu jeder Tages- und Nachtzeit unter den bundesweiten Telefonnummern 0800 1110111 oder 0800 1110222 erreichbar ist.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer
  • BPTK.de: BPtK-Auswertung: Monatelange Wartezeiten bei Psychotherapeut*innen
  • Gesundheitsministerium: Psychotherapeutische Sprechstunde
  • Wege zur Psychotherapie.org: Patienteninformation
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