Mit zunehmendem Alter steigt auch das Risiko, an einer Demenz zu erkranken. Eine Heilung gibt es nicht, doch zu etwa einem Drittel geht der Verlust der Denkleistung auf Risikofaktoren zurück, die sich beeinflussen lassen. Ein Neurologe erklärt, wie sich Demenz vorbeugen lässt und was Zahnhygiene damit zu tun hat.

Ein Interview

Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland sind an einer Demenz erkrankt, Tendenz steigend. In Relation zur Bevölkerungszahl vergleichbare Zahlen gelten in Österreich (130.000) und der Schweiz (150.000). Bisher gibt es keine Heilung, doch zu etwa einem Drittel geht der Verlust der Erinnerungsfähigkeit und Denkleistung auf Risikofaktoren zurück, die sich beeinflussen lassen – und das schon in jungen Jahren.

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Ein Neurologe erklärt, wie sich Demenz vorbeugen lässt, was Zahnhygiene damit zu tun hat und ob Gehirnjogging-Apps tatsächlich etwas nutzen.

Ich habe kürzlich das Passwort für meinen Computer vergessen, obwohl ich es jeden Tag mehrfach benutze. Ist das schon ein Zeichen von Demenz?

Prof. Dr. Gerd Kempermann: Nein, das ist die klassische Alltagsschusseligkeit und hat mit Demenz nichts zu tun. Dass das Gedächtnis nachlässt, merken wir alle irgendwann. Bei einer Demenz passieren aber sehr viel ernstere Dinge. Wenn Sie den Computer in die Hand gedrückt bekommen und nicht mehr wissen, was Sie damit anfangen sollen – das wäre eher ein Zeichen für Demenz.

Demenz gilt als klassische Alterserscheinung. Je höher das Alter, desto wahrscheinlicher ist es, an einer Demenz zu erkranken. Kann Demenz auch schon jungen Jahren auftreten?

Es gibt demenzielle Erkrankungen, die früh auftreten können, aber das ist sehr selten. Wenn man mit 35 plötzlich bemerkt, dass man sich nicht mehr so gut erinnern kann, sollte man das dennoch von einem Arzt abklären lassen. In frühen Stadien kann sich eine Depression ähnlich äußern wie eine Demenz.

Depressionen sind sehr gut behandelbar und das hilft in doppelter Hinsicht: Man wird die Depression los und senkt sein Risiko, später an einer Demenz zu erkranken. Depression ist ein Risikofaktor für eine spätere Demenz. Die genauen Mechanismen sind nicht bis ins letzte Detail geklärt, aber dass sich Menschen mit Depression zurückziehen und eine Reizverarmung einsetzt, ist sicherlich ein Faktor.

Demenz in der Familie – höheres Risiko für mich?

Haben Menschen, die einen Demenz-Fall in der nahen Verwandtschaft haben, ein höheres Risiko an Demenz zu erkranken?

Wenn beide Elternteile zum Beispiel an Alzheimer erkrankt sind oder waren, haben die Kinder ein leicht erhöhtes Risiko. Das heißt aber nicht, dass sich bei ihnen eine Alzheimer-Demenz entwickeln muss. Viele verschiedene Faktoren spielen dabei eine Rolle, bei Alzheimer sind ungefähr zwei Drittel genetisch bedingt und ein Drittel nicht genetisch. Dazu zählen Umweltfaktoren und persönlicher Lebensstil und das können wir beeinflussen. Ein Drittel mag wenig erscheinen, aber da lässt sich einiges herausholen.

Was muss ich dafür tun?

Die WHO empfiehlt vor allem Bewegung, ausgewogene Ernährung, Rauchverzicht, Normalgewicht halten, Blutdruck einstellen und geistige Aktivität. Der mit Abstand wichtigste Faktor ist eindeutig Bewegung. In einem gesunden Körper lebt ein gesunder Geist, das trifft hier voll zu. Das ist die einfachste Stellschraube, an der jeder ansetzen kann. Es geht nicht darum, die WHO-Liste Punkt für Punkt abzuarbeiten, aber jeder sollte versuchen, ein aktives Leben zu führen – körperlich, geistig und sozial.

Nützt es noch etwas, wenn ich erst im Alter anfange, ein aktiveres Leben zu führen?

Grundsätzlich beginnt Demenz-Prophylaxe schon im Kindergarten, denn ein aktives Leben zu führen kommt nicht von ungefähr. Wer früh damit anfängt und das zum Standard macht, wird es wahrscheinlich auch bis ins höhere Alter fortführen. Aber es ist wie mit dem Rauchen aufzuhören: Es nützt immer und ist nie zu spät.

Bewegung gegen Demenz

Wie viel Bewegung muss es denn sein? Reicht da schon ein gelegentlicher Spaziergang?

Mehr Bewegung ist grundsätzlich immer besser. Aber es ist eine Abwägungssache: Tennis macht Spaß, ist gut fürs Herz-Kreislauf-System und schult die Koordination, jedoch können sich die schnellen Bewegungswechsel negativ auf die Gelenke auswirken. Das Wichtigste ist, Bewegung wieder in den Alltag zu integrieren. Machen Sie Erledigungen zu Fuß, nehmen Sie die Treppe anstelle des Aufzugs, auch Gartenarbeit zählt dazu. Verlassen Sie das Sofa!

Warum tut Bewegung unserem Gehirn so gut, welcher Mechanismus steckt dahinter?

Genau dieser Frage widmen wir uns in der Wissenschaft und sie ist gar nicht so leicht zu beantworten. Eine naheliegende Annahme ist, dass Bewegung die Durchblutung steigert und dadurch mehr Sauerstoff im Gehirn ankommt. Aber das ist nur begrenzt wahr, denn bei körperlicher Anstrengung werden in erster Linie die aktiven Muskeln besser durchblutet.

Bewegung ist gut fürs Gehirn, weil das Gehirn für Bewegung gemacht ist - das ist aus unserer Sicht der Hauptfaktor. Gehirne sind in der Evolution entstanden, um Bewegung zu ermöglichen. Das bringt einen Vorteil bei der Nahrungs- und Partnersuche und je größer die Welt ist, in der ich mich bewege, desto stärker sind wir geistig gefordert. Das hängt alles miteinander zusammen. Wir Menschen trennen die geistige von der körperlichen Aktivität, die Welt kommt heute zu uns nach Hause. Computer und Smartphones haben das auf die Spitze getrieben. Das ist aus unserer Sicht ein Problem.

Helfen Gehirnjogging-Apps gegen Demenz?

Auf Smartphones gibt es immerhin Gehirnjogging-Apps. Sind solche Apps in der Demenz-Vorsorge sinnvoll?

In großen Studien wurde gezeigt, dass sich der generelle Nutzen von Gehirnjogging-Apps kaum nachweisen lässt. Wenn Sie Sudoku-Meister werden wollen und Ihnen das eine tiefe Befriedigung gibt, ist das gut - aber dann sind Sie nur in Sudoku gut und lernen nicht automatisch leichter Französisch.

Die sozialen Komponenten, Interaktion und Konversation, hängen stark mit der Kognition zusammen. Jeder kennt solche Geschichten von Über-90-Jährigen, die geistig noch frisch und hellwach sind. Diese Menschen setzen sich aktiv mit der Welt auseinander, nehmen Anteil an ihrer Umwelt. Die Auseinandersetzung mit anderen Menschen und Themen ist ganz wichtig, um geistig fit und flexibel zu bleiben. Häufig führt Hörverlust dazu, dass sich Menschen im Alter zurückziehen und nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Das geschieht oft schleichend und man ist sich dessen gar nicht bewusst, deshalb sollte man sein Gehör frühzeitig prüfen lassen.

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Gibt es bestimmte Nährstoffe oder Diäten, die bei der Vorbeugung von Demenz hilfreich sind?

Einzelempfehlungen zu geben, wie "Nehmen Sie dieses Vitamin" oder "Essen Sie Blaubeeren" sind schwierig und sehr selten begründbar. Die allgemeine Empfehlung lautet, sich ausgewogen zu ernähren. Häufig wird in diesem Zusammenhang die mediterrane Diät genannt, die aus viel Gemüse, hochwertigen Fetten, wenig rotem Fleisch und keinen stark verarbeiteten Lebensmitteln besteht. Dafür gibt es auch belastbare Studien. Der Effekt ist gering, aber es leistet einen Beitrag.

Blutdruck und Zahnhygiene wichtig

Sie haben vorhin erwähnt, es sei für die Demenz-Vorsorge wichtig, den Blutdruck einzustellen. Inwiefern spielt das für das Gehirn eine Rolle?

Unser Gehirn ist auf eine gute Durchblutung angewiesen. Ein Teil der Alzheimer-Erkrankungen und der vaskulären Demenzen hängen eng mit der Durchblutung zusammen. Wenn ich also Risikofaktoren für Herz und Gefäße im Blick halte, tue ich auch meinem Gehirn etwas Gutes. Dazu gehören neben dem Blutdruck auch Cholesterin und Diabetes.

Stimmt es, dass auch eine gute Zahnhygiene eine präventive Wirkung hat?

Der Gedanke, der dahinter steckt, ist richtig. Ein Risikofaktor für Demenz sind chronische Entzündungen. Der Körper wird dabei mit Stresshormonen überflutet, das führt zu Dauerstress und ist ein Faktor für die Entstehung von Demenz. Häufig ist das Zahnfleisch betroffen. Insofern stimmt es, dass eine gute Zahnhygiene der Demenz-Prophylaxe dient. Aber Zähneputzen allein schützt Sie noch nicht vor Demenz, wenn Sie ansonsten kein aktives Leben führen.

Hilfe, wenn Demenz schon diagnostiziert wurde?

Helfen all diese Verhaltensweisen auch noch, wenn bereits eine Demenz diagnostiziert wurde?

Wenn die Erkrankung schon vorliegt, ist der Nutzen der einzelnen Maßnahmen sehr unterschiedlich. Eine Demenz wird durch eine Änderung des Lebensstils meist nicht besser, aber der Verlauf kann positiv beeinflusst werden. Auch wenn die Krankheit weit fortgeschritten ist, kann zum Beispiel Bewegung einen positiven Einfluss auf die Lebensqualität haben. Es gibt also keinen Grund, an irgendeiner Stelle damit aufzuhören.

Es gibt heute keine Heilung für Demenz, lediglich der Verlauf kann verlangsamt werden. Wird Demenz irgendwann heilbar sein?

Demenz-Erkrankungen sind unfassbar komplex. Einfache Therapien funktionieren hier nicht. Aber ich denke, wir werden in den nächsten Jahren noch große Fortschritte machen.

Die neuen Antikörper-Therapien, von denen gerade häufig zu lesen ist, sind ein zarter Hoffnungsschimmer. Es ist die erste Behandlung überhaupt, die bei Demenz eine Wirkung zeigt. Noch ist der Effekt minimal, aber es ist wichtig, daran weiterzuforschen. So hat es in der Krebstherapie auch angefangen. Krebs ist auch heute noch ein Thema, aber wir können viele Krebsarten inzwischen heilen. Eine ähnliche Entwicklung ist auch im Bereich Demenz zu erwarten. In den nächsten Jahren ist und bleibt Prävention aber die wichtigste Stellschraube.

Zur Person:
Prof. Dr. Gerd Kempermann ist Neurologe und Sprecher des Dresdner Standorts des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Zudem ist er Professor am CRTD, dem Forschungszentrum für Regenerative Therapien an der Technischen Universität Dresden. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die Bildung neuer Nervenzellen im erwachsenen Gehirn (adulte Neurogenese).

Verwendete Quellen:

  • Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.: "Deutlich mehr Erkrankte unter 65 Jahren als bisher angenommen"
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

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