Halle/Magdeburg/Dessau - Inflation und Energiekrise verunsichern viele Menschen. In Sachsen-Anhalt ist etwa die Telefonseelsorge aktuell voll ausgelastet und es gibt mitunter Wartezeiten.
"Die Leute haben massenhaft Sorgen, über Tränen bis hin zur Verzweiflung. Wir haben wirklich weinende Menschen am Telefon, die wir beruhigen müssen. Es gibt ein Drittel mehr Anrufer", sagte die Leiterin der Telefonseelsorge Halle, Gundula Eichert.
"Einsamkeit und Beziehungs- und Partnerschaftsprobleme sind immer ein Thema. Dazu kommen eben die Existenzängste", sagt Eichert. "Viele haben Sorgen die Miete und Lebensmittel nicht mehr bezahlen zu können und obdachlos zu werden. Manche können ihre Medikamente nicht bezahlen. Unsere Telefone stehen nicht still." Dagegen sei das Thema Ukraine-Krieg in den Hintergrund getreten.
Sorge der Anrufer über die steigenden Preise
"Ich mache schon 16 Jahre mit. Es war das Beste, was mir in meinem Leben passieren konnte und ich hoffe auch für die Anrufer", sagte Ulrike Hänel. "Ich kriege ja so viel zurück, dass sich das auf jeden Fall lohnt. Ich bin durch die Arbeit seelisch gesünder geworden." Die 79-Jährige hört in den Gesprächen, neben der Einsamkeit, besonders die Sorge der Anrufer über die steigenden Preise der Lebensmittel.
Es seien Zukunftsängste, die bei den Leuten im Kopf sind. "Die sagen, ich kann mir einen Pullover anziehen, das geht, aber ich kann kein Holz essen, wenn ich nichts zu essen habe", sagt Hänel. "Mittlerweile betrifft es auch Rentner, die nicht die allerschlechteste Rente haben. Bei der Mittelschicht sind es Alleinerziehende. Besonders einsame, ältere Frauen kaufen sich enorm viele Kuscheltiere, das grenzt schon an Kaufsucht. Bei den Jungen ist es mehr die Angst, wie bringe ich meine Familie über den Monat."
Thema Einsamkeit nimmt breiteren Raum ein
"Die Themen konzentrieren sich jetzt wegen der Kostenexplosion und Corona stärker auf die Existenzangst", sagt auch die Leiterin der Telefonseelsorge Magdeburg, Anette Carstens. "Wir sind ein wichtiger Anlaufpunkt für Menschen, die nicht wissen, wo sie mit ihren Ängsten hingehen können." Zudem nehme das Thema Einsamkeit einen immer breiteren Raum ein, von etwa 13 Prozent im Jahr 2014 auf 25 Prozent im Vorjahr.
Neben vielen Älteren rufen auch Studenten an. Das Ganze habe sich durch Corona und Homeoffice noch verschärft. Ebenso gebe es mehr Anrufer mit depressiven Anzeichen. "Bei den Existenzängsten rufen viele an, die bislang gerade so über die Runden kamen. Und überall die Fragen: Wie wird es? Werden wir das schaffen? Was, wenn nicht?", sagte Carstens.
"Es gibt auch eine große Scham, sich bei den Bürgerbüros zu melden. Wir sind ja jetzt erst in der Vorstufe, ich befürchte, dass es eine härtere Realität wird, wenn im großen Umfang die Heizkostenabrechnungen raus sind."
Manchmal ist die Telefonseelsorge schlecht erreichbar
"Mehr Anrufer geht gar nicht, wir telefonieren 24 Stunden durch, im Jahr sind es rund 12.000 Gespräche. Mehr Bedarf existiert, aber wir können nicht mehr Gespräche annehmen", sagte der Leiter der Telefonseelsorge Dessau, Andreas Krov-Raak. "Es gibt Zeiten, da ist die Telefonseelsorge schlecht erreichbar, nicht weil niemand da ist, sondern weil es zu viele Anrufer sind."
Energiekrise und Inflation nehme dabei einen breiteren Raum ein. "Nummer eins ist das Thema Einsamkeit, die Leute rufen uns nicht nur einmal, sondern immer wieder an", sagt Krov-Raak. Nummer zwei seien psychische Krankheiten. Die Telefonseelsorge ist oft auch ein Wartezimmer, um die Zeit bis zu einer Behandlung zu überbrücken. Partnerschafts- und Beziehungsprobleme seien das Thema Nummer drei. © dpa
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