Sieht man sich die Verpackung unserer Lebensmittel an, so muss Deutschland eine wahre Idylle sein: glückliche Kühe auf der Alm, leckere Marmelade von nebenan und der Schinken natürlich nur aus der Region. Fernsehkoch Tim Mälzer machte am Montagabend den "Lebensmittel-Check" und guckte nach, was wirklich hinter "regionalem Essen" steckt. Das Ergebnis macht nicht wirklich Appetit.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Vock dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Wie oft sagt man nach einem Essen, dass es gut war? Wahrscheinlich täglich. In den meisten Fällen meint man mit "gut" aber nicht die Qualität, sondern einfach, dass es lecker war.

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Denn was ist das überhaupt, gutes Essen? Fernsehkoch Tim Mälzer nähert sich dieser Frage in kleinen Schritten und untersucht in den kommenden Wochen immer montags, wie gut es denn nun ist, unser Essen.

In der gestrigen Auftaktfolge stellt Mälzer das erste Kriterium für gutes Essen auf: die Regionalität. Gutes Essen, so die Meinung des Kochs, muss aus der Umgebung kommen.

Die Wege, über die unser Essen mitunter transportiert wird, erscheinen tatsächlich absurd, wie die Doku gleich an einem Exempel festmacht. Da haben die wenigen Lebensmittel, die da im Beispieleinkaufswagen liegen, stolze 45.000 Transportkilometer hinter sich.

Was bedeutet "regional"?

Dass solche Wege genau das Gegenteil von gut sind, leuchtet auf den ersten Blick ein, auch wenn Mälzer sich mit Dingen wie Ökobilanzen und Co. gar nicht erst abgibt.

Für ihn gilt die Formel: regional = gut. Aber funktioniert regionale Ernährung in einer globalisierten Welt überhaupt noch?

Genau das möchte Mälzer wissen und startet dafür zwei Experimente. Zum einen soll sich eine Familie fünf Wochen lang nur mit regionalen Nahrungsmitteln ernähren und zum anderen versucht Mälzer in einem seiner Restaurants eine Woche lang nur mit den Produkten zu kochen, deren Herkunft sie nachvollziehen können und bei denen die Erzeuger faire Preise bekommen.

Mälzer interessieren dabei drei Fragen:

1. Welche Möglichkeiten der Informationsbeschaffung hat man?

2. Welche Kontrollinstanzen gibt es?

3. Bleibt dem Kunden nichts anderes übrig, als bei der Herkunft blind zu vertrauen?

Mälzers Suche führt ihn zu Großhändlern, auf den Wochenmarkt, zur Verbraucherzentrale, zu einem Milchbauern, einem Ernährungswissenschaftler und sogar zu Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt.

Das Ergebnis seiner Recherche: Nur, weil irgendwo regional draufsteht, heißt das nicht, dass das Lebensmittel auch aus der Region kommt. Und das hat viele Gründe.

Von wegen regionales Essen

Da ist zum einen die Definition von "regional" und die "ist für jeden anders", wie Daniela Krehl von der Verbraucherzentrale Bayern erklärt. Geht es um die Zutaten, das Rezept, den Produktionsort, den Anbauort?

Bestes Beispiel ist hierfür die Alpenmilch. Anders als bei Biomilch oder Bergbauernmilch, ist diese Bezeichnung gesetzlich nicht geregelt, sie kann laut Krehl also auch aus dem Flachland stammen, denn wichtig bei der Kennzeichnung sei lediglich der letzte Produktionsschritt, also das Abfüllen.

Und so setzt Mälzer bei seiner Suche Stück für Stück ein Bild zusammen, das ein System zeigt, das nicht dem Wohl des Verbrauchers, nicht dem des Erzeugers und erst recht nicht denen des Tieres dient.

Am Ende hat der Kunde kaum einen Überblick darüber, woher seine Lebensmittel stammen, was wirklich drin ist und wie es den Tieren hinter "dem Produkt" geht.

Wenn beispielsweise Ernährungswissenschaftler Gerhard Jahreis von der Universität Jena über die Milchwirtschaft erzählt: "Wir haben inzwischen Tiere, die 10.000 Liter Milch geben. Die dürfen sich aber nicht bewegen, damit das klappt", dann sieht man, wie ausbeuterisch dieses System für Mensch und Tier ist. Wenn es dabei Gewinner gibt, dann sind es die Lebensmittelkonzerne.

Aber ein wenig Hoffnung gibt es: Die Testfamilie jedenfalls entdeckt den regionalen Einkauf für sich, auch wenn der etwas mühsamer und eintöniger ist. Mälzers Versuch, für sein Restaurant fair und regional bis zur Herkunft einzukaufen, entpuppt sich hingegen als nicht umsetzbar.

Gesetzgeber in der Pflicht

So undurchschaubar das Ernährungssystem ist, das Mälzer da gestern Abend zeigt, so ambitioniert ist daher auch Mälzers Versuch, all die Absurditäten des Systems in einer Dreiviertelstunde anzusprechen.

Für den Zuschauer war die Informationsdichte dementsprechend hoch, ein wenig mehr Zeit, noch genauer hinzusehen, wäre daher vielleicht nicht schlecht gewesen.

Denn was nützt es, wenn das Tier von der Wiese nebenan kommt, das Futter aber aus den Soja-Monokultur-Feldern, auf denen früher einmal Regenwald war? Wem hilft es, wenn man die Winter-Erdbeere meidet, dafür aber den regionalen Apfel mit dem SUV abholt?

Trotz der manchmal grobgerasterten Aufmachung war die gestrige Folge von Mälzers "Lebensmittelcheck" gut, und zwar in mehrerer Hinsicht: Weil die Richtung mit mehr Regionalität natürlich stimmt. Weil sie zeigt, wie falsch unser Ernährungssystem in so vieler Hinsicht ist. Weil sie offenlegt, dass wir unsere Ernährung in die Hände von Großkonzernen gelegt haben. Weil mit Reihen wie dieser mehr Bewusstsein für solche Themen geschaffen wird.

Und nicht zuletzt, weil Mälzers Fazit zwar denkbar resignierend ausfällt, aber eben nicht hoffnungslos. Weil Mälzer den Gesetzgeber in die Pflicht nimmt, endlich etwas am System zu ändern, aber dem Kunden gleichzeitig Alternativen zeigt, selbst etwas zu tun – auch wenn das etwas Mühe erfordert.

Dass die Handlungstipps für regionalen Einkauf dann am Ende ein wenig dürftig daherkommen, ist weniger Mälzers Schuld, sondern eher dem scheinbar unüberwindbaren System geschuldet - und deshalb noch ein Grund mehr, selbst etwas zu ändern.

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