Viele Paare entfremden sich im Laufe ihrer Beziehung voneinander – und das meist, ohne es so wirklich zu merken. Feste Rituale können genau das verhindern, ist Psychotherapeut Wolfgang Krüger überzeugt.

Ein Interview

Seit Jahren geht man gemeinsam durch dick und dünn, fährt zusammen in den Urlaub und lebt auch zusammen. Doch obwohl man sich ständig sieht, ist da diese gewisse Entfremdung. Tiefgründige, erfüllende Gespräche gibt es immer seltener und auch Berührungen und Küsse sind eher Mangelware. So ergeht es nicht wenigen Paaren in Langzeitbeziehungen.

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Was also tun? Psychotherapeut Wolfgang Krüger sagt im Interview, wie Paare durch Rituale ihre Beziehung stärken können.

Herr Krüger, ein kurzer Kuss zum Abschied oder jeden Morgen ein Kaffee im Bett: Was halten Sie von Ritualen in Partnerschaften?

Psychotherapeut Wolfgang Krüger
Psychotherapeut Wolfgang Krüger © Gerald Wesolowski

Wolfgang Krüger: Ich bin ein ausgesprochener Fan von Ritualen. Rituale sind Selbstverständlichkeiten, die ich praktiziere, ohne zu überlegen, ob ich sie tun soll. Insofern helfen Rituale manchmal auch dabei, die etwas schwierigen Zeiten in einer Partnerschaft zu überbrücken. Deshalb sind Rituale für die Dauerhaftigkeit einer Partnerschaft ausgesprochen sinnvoll.

Wie sehen solche Rituale aus?

Das sind kleine Dinge im Alltag. Zum Beispiel, dass man vereinbart, sich abends immer wieder gegenseitig den Rücken zu massieren. Oder dass man sich abends im Bett noch etwas vorliest. Oder dass man gemeinsam singt. Oder dass man Hand in Hand spazieren geht. Es gibt eine ganze Reihe von Ritualen, die dazu beitragen, dass wir eine innige Beziehung haben. Das hilft gerade in den Zeiten, in denen es eine leichte Entfremdung gibt oder beide viel zu tun haben und die Gefahr besteht, sich aus den Augen zu verlieren. Deshalb sind Rituale grundsätzlich für eine gute Langzeitbeziehung ausgesprochen gut.

Zeit zum Küssen einplanen

Inwiefern helfen Rituale, wenn ein Paar sich seltener küsst?

Sie helfen dann, wenn es sich um ein Zeitproblem handelt. Wenn man den anderen nur noch flüchtig küsst, wenn man aus dem Haus geht und irgendwie nicht mehr so richtig dazu kommt. In den meisten Beziehungen geht die Intensität der Küsse zurück. Man küsst nicht mehr leidenschaftlich, sondern im Laufe der Zeit schon fast geschwisterlich. Das könnte man möglicherweise ändern, indem man sich Zeit nimmt, denn sinnliche Küsse sollten mindestens zehn Sekunden dauern, sodass man sich auf diesen Kuss einlässt. Es entsteht ein sinnliches Gespräch.

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Also ist es sinnvoll, sich vorzunehmen, sich intensiv zu küssen?

Genau. Wenn wir uns an das Küssen in der Verliebtheitsphase erinnern, sind es oft mehrere Minuten gewesen. Man küsst sich so lange, bis einem fast der Verstand wegfliegt. Das sollte man gelegentlich immer wieder mal anstreben. Das bedeutet, dass man sich dafür Zeit nimmt, sich umarmt und langsam beginnt zu küssen. Das kann tatsächlich ein Ritual sein. Voraussetzung ist natürlich, dass man zuvor eine gute Stimmung schafft.

Rituale schaffen Verbundenheit

Was gibt es noch für Rituale, die die Beziehung stärken?

Den anderen fragen: "Was kann ich tun, damit es dir gut geht? Worauf kann ich eingehen?" Das kann auch ein gegenseitiges Ritual sein, dass man sich zum Beispiel einmal im Monat gegenseitig sagt, welche großen Wünsche man hat. Und wenn man das macht und darauf eingeht, hat man die Möglichkeit, immer wieder eine bestimmte Stimmung in der Partnerschaft herzustellen.

Sie empfehlen auch Rituale wie Händchen halten oder einen Abschiedskuss. Ist es die Kombination aus simplen und tiefgründigen Ritualen, die eine Beziehung am Leben hält?

Die meisten Rituale sind Dinge, die zu einer Vertrautheit führen. Wenn man zum Beispiel jeden Abend dem anderen den Rücken massiert, führt das zu einer unendlichen körperlichen Verbundenheit, wo natürlich irgendwann auch mehr Erotik in der Luft liegt. Oder auch Rituale wie zum Beispiel sich gegenseitig vorlesen, auch das führt zu einer gegenseitigen Vertrautheit. Habe ich in einer guten Beziehung Kussrituale, dass man sich intensiver küsst, schafft man Raum für eine intime Begegnung. Man muss sich die Zeit dafür nehmen. Und es kann sein, dass das die Beziehung unendlich verbessert.

Wer sich längere Zeit nicht küsst, entfremdet sich. Es entsteht eine gewisse Scheu, geradezu eine Hemmung, das wieder aufzunehmen. Auch deshalb sind Rituale sinnvoll, denn dann denkt man nicht mehr darüber nach, ob man das machen möchte oder nicht, sondern es ist wie eine Vereinbarung, die man trifft. Und das kann tatsächlich helfen, wieder mehr Intimität in die Beziehung zu bringen.

Schöne Erlebnisse festhalten und zum Ritual machen

Hängt Körperkontakt immer mit der Qualität der Beziehung zusammen?

Der Körperkontakt hängt immer mit der Intensität oder mit der Qualität der Beziehung zusammen, Rituale können unterstützend wirken. Das lohnt sich vor allem für Paare mit Kindern, denn sie laufen Gefahr, die Sexualität zu vergessen, weil so vieles andere eine große Rolle spielt. Wenn es zum Beispiel das Ritual gibt, jeder Sonntagabend ab 20 Uhr nur zu zweit den Abend zu verbringen, kann die Beziehung wieder intimer werden.

Kann es denn nicht passieren, dass man sich mal denkt "Puh, jetzt muss ich schon wieder unser Ritual durchführen"?

Ja, klar, das kann passieren. Vor allem, wenn einer mehr Lust auf Sex hat, besteht die Gefahr, dass der andere – meistens ist es die Frau - das Gefühl hat, etwas machen zu müssen. Eine Art "Gnadensex", wo man zwar mitmacht, aber mit den Gedanken gar nicht bei der Sache ist. Das kann nicht der Sinn der Sache sein. Insofern müssen wir Rituale haben, die flexibel sind und bei denen das, was ich tue, der Qualität der Beziehung entspricht.

Wie lässt man solche Rituale überhaupt entstehen?

Da muss man kreativ sein und immer wieder neue Rituale schaffen. Mein Tipp wäre, auf die Dinge zu achten, die schön sind, und diese dann zu einem Ritual zu gestalten. Dass man sich was vorliest, dass man zusammen isst, dass man möglichst zusammen schlafen geht, dass man zusammen aufwacht. Es gibt unendlich viele Rituale und wir machen uns da in den meisten Fällen viel zu wenig Gedanken. Gute Partnerschaften bestehen aus einer ganzen Fülle von guten Ritualen, bei denen man nicht mehr darüber nachdenkt, sondern sie einfach zusammen macht. Wir unterschätzen häufig die Bedeutung solcher Rituale, die so ein tiefes Gefühl von Verbundenheit mit sich bringen.

Über den Gesprächspartner

  • Dr. Wolfgang Krüger ist tiefenpsychologischer Psychotherapeut und Buchautor. Eines seiner erklärten Ziele ist es, lebenspraktische und tragfähige Lösungen zur Bewältigung von Schwierigkeiten zu finden. In "So gelingt die Liebe - auch wenn der Partner nicht perfekt ist" gibt er Tipps, wie Paare ihre Beziehung verbessern können.
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