Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, ist die deutsche Bevölkerung aktuell dazu angehalten, möglichst zu Hause zu bleiben und die Wohnung oder das Haus nur in Ausnahmefällen zu verlassen. In einigen Familien könnte das zum Ausbruch oder der Zunahme häuslicher Gewalt führen. Wir haben mit einem Konfliktforscher darüber gesprochen, warum es jetzt häufiger zu Gewaltbereitschaft kommen könnte und geben Tipps, an wen sich Hilfesuchende wenden können.
Die Bewegungsfreiheit in Deutschland ist zurzeit stark eingeschränkt. Kinder sind nicht im Kindergarten oder der Schule, Erwachsene arbeiten vermehrt zu Hause. Viele Familien leben auf engem Raum zusammen, sie haben Sorgen und Existenzängste und kaum Ausweichmöglichkeiten, wenn es zu Konflikten kommt.
Es besteht die Gefahr, dass die soziale Isolation zu einem Anstieg von häuslicher Gewalt führt, und zwar in allen sozialen Schichten. Gerade Gewaltverbrechen gegen Partner oder Kinder finden oft im Verborgenen statt und gelangen nicht an die Öffentlichkeit.
Länder berichten schon von Zunahme der Gewalt
Einige Länder, in denen Ausgangsbeschränkungen oder Quarantäne-Maßnahmen aufgrund des Coronavirus schon länger bestehen, berichten dennoch bereits von einer Zunahme häuslicher Gewalt. Auch Frauenhäuser klagen über einen erhöhten Bedarf an Unterbringungsplätzen. Genaue Daten dazu wurden aber noch nicht veröffentlicht.
Da häusliche Gewalt an einem Ort auftritt, der eigentlich Schutz und Geborgenheit vermittelt und die Schädigung von einer Vertrauensperson ausgeht, sind sowohl körperliche als auch psychische Formen von Gewalt für Betroffene sehr belastend.
"Eine wichtige Bedingung häuslicher Gewalt ist, dass sie im Privaten stattfindet, in Situationen, die den Täter – häufig sind es männliche Täter – mit viel Macht ausstatten. Diese Situation haben wir nun in vielen Fällen, denn die Fluchtwege sind für Opfer versperrt. Frauen sind so einem höheren Risiko ausgesetzt", erklärt Andreas Zick, Sozialpsychologe und Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld.
Gewaltbereitschaft kann in Krisenzeiten steigen
Vor allem in Beziehungen, in denen es bereits vor den Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus zu extremem Streit kam oder schon Gewalt zwischen Partnern oder gegenüber Kindern ausgeübt wurde, könnten die aktuellen Umstände weitere Aggressionen fördern.
"Enge, ständige Nähe, mangelnde Fluchtmöglichkeiten oder auch Langeweile sind Risikofaktoren. Täter, die bereits ein hohes Aggressionsniveau haben, werden noch gereizter, da sie mit der Situation nicht umgehen können. Sie suchen sich Schwächere, die verantwortlich für alle Probleme gehalten werden", erklärt der Experte.
Extremsituationen fordern jeden in der Gesellschaft. Konflikte können eskalieren, die im normalen Alltag weniger problematisch wären. "Wir haben in Krisenzeiten auch immer Ersttäter. Auf einmal wird die Situation unerträglich, dann wird Gewalt einmal ausgeübt und Menschen erleben, dass sie mit Gewalt die Situation kontrollieren können", sagt der Konfliktforscher.
Dass Gewalt nie eine Lösung ist, sollte selbstverständlich sein, genauso wie ein verständnisvoller und respektvoller Umgang miteinander. Da die aktuellen Einschränkungen für viele Personen in besonderem Maße belastend sein können, gilt es nun umso mehr, Verständnis füreinander zu zeigen und Konflikte zu meiden.
"Wir müssen uns jetzt auch fragen, wo die Gewalt beginnt. Definieren wir Gewalt als psychische und physische Schädigung, dann sind auch Formen des Einsperrens, des Missachtens, des ständigen Beschimpfens relevant", sagt Zick.
Diese Hilfe gibt es bei häuslicher Gewalt
Wer in eine Gewaltsituation gerät oder Missbrauch in seiner Umgebung wahrnimmt, sollte sich nicht scheuen, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
"Wir müssen immer wieder daran appellieren, die Gewalt ernstzunehmen und notfalls anzuzeigen. So perfide es klingt, aber es ist wie mit dem Virus – jede gemeldete Gewalt ist ein wichtiger Hinweis und kann weiterer Gewalt vorbeugen", sagt der Wissenschaftler.
Not-Telefonnummern – kostenfrei und anonym:
- "Nummer gegen Kummer" für Kinder und Jugendliche: 116 111
- Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen": 0800 011 6016
- Hilfetelefon "Sexueller Missbrauch": 0800 22 55 530
- Hilfetelefon "Schwangere in Not": 0800 404 0020
- Elterntelefon: 0800 111 0550
Verwendete Quellen:
- Interview mit Prof. Dr. Andreas Zick, Sozialpsychologe und Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend "Häusliche Gewalt"
- Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben "Häusliche Gewalt"
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