- Spaziergängerinnen, Rodlerinnen, Wanderer: Woche für Woche strömen die Menschen im Lockdown nach draußen
- Das ist verständlich und nötig, um Stress abzubauen.
- Die Gefahr einer Ansteckung ist im Freien zudem extrem gering, wenn auch nicht ausgeschlossen. Wichtig ist offenbar vor allem, dass man in Bewegung bleibt.
Von der Reihe an Maßnahmen, mit man die Coronavirus-Pandemie einzudämmen versucht, hat besonders eine für viel Aufregung gesorgt, weil sie die Beschränkungen sehr anschaulich macht: die 15-Kilometer-Regel. In Gebieten mit einer 7-Tage-Inzidenz von mindestens 200 pro 100.000 Einwohner dürfen die Bewohner sich nicht weiter als 15 Kilometer von ihrer Landkreis- oder Stadtgrenze wegbewegen.
In Bayern wurde die Regel zwar gerichtlich gekippt und durch eine "200er-Inzidenzkreise dürfen Ortsfremden den Zugang verwehren"-Regel ersetzt, in den meisten anderen Regionen gilt sie aber weiter. Derzeit liegen 19 Regionen über einer Inzidenz von 200.
"Infektionsgefahr beim Spazierengehen ist nahezu null"
Das Bedürfnis vieler Menschen, sich in Zeiten eines Lockdowns draußen aufzuhalten, ist offensichtlich: Regelmäßig dienen Bilder voller Parks und Rodelhänge als Indiz dafür, dass die Gefahr durch das Virus unterschätzt wird.
"Viele Menschen gehen davon aus, dass sie sich an der frischen Luft nicht anstecken können, das stimmt aber nicht", sagt die Psychologin und Public-Health-Expertin Julia Scharnhorst.
Deutlich wurde das beispielsweise im vergangenen Jahr in den USA nach einem Treffen im Rosengarten des Weißen Hauses, als von den 200 Personen dort später mindestens ein Dutzend Gäste positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden - inklusive des damaligen US-Präsidenten
Auch beim Fall der Wandergruppe aus Mühlheim an der Donau, der aktuell für Aufsehen sorgt, war wohl nicht das Wandern an der frischen Luft für die Ansteckung mit dem Coronavirus verantwortlich, sondern vielmehr die Missachtung sämtlicher Abstandsregeln und das Zusammensitzen in einem geschlossenen Raum.
"Beim Spazierengehen, aber auch beim Rodeln, Fahrradfahren, Wandern und Joggen liegt die Gefahr einer Ansteckung hingegen nahezu bei null", sagt der Physiker Gerhard Scheuch, der sich seit vielen Jahren eingehend mit Aerosolen beschäftigt.
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Viren sind erst ab einer bestimmten Dosis ansteckend
Aerosolteilchen sind jene winzigen Luftteilchen, an die sich Viren anheften und die durch Einatmen in unseren Körper gelangen können. Sie gelten als der wichtigste Überträger des Corona-Virus.
Nun kann es zwar sein, dass man bei einem Spaziergang hinter jemandem geht, der eine virenbeladene Aerosolwolke hinter sich herzieht. "Aber allein durch die Bewegung wird die Aerosolwolke schnell verdünnt", so Scheuch im Gespräch mit unserer Redaktion. Derzeit gehe man davon aus, dass es für eine Ansteckung mindestens 400 Viren braucht. "Da reicht es nicht, bloß aneinander vorbeizugehen und auch nicht, in ein paar Metern Entfernung hinter jemandem herzugehen."
Vielmehr müsste man mindestens fünf bis zehn Minuten mit jemandem in dessen Aerosolwolke zusammenstehen, also näher als zwei Meter, um sich zu infizieren.
Das bedeutet auch: Es ist nicht ausgeschlossen, sich im Freien anzustecken. "Man sollte einander eben nicht lange gegenüberstehen. Schon wenn man nebeneinander steht, sinkt die Gefahr", sagt Scheuch.
Rauch in Räumen hält sich eine Stunde, draußen nur Minuten
In Räumen ist das anders, vor allem wenn nicht gut gelüftet wird. Hier können sich Aerosolwolken nur langsam verdünnen und die Viren bleiben somit länger in der Luft. Aerosolexperte Scheuch erklärt den Unterschied zwischen den Wolken drinnen und draußen so: "Wenn jemand in einem Büroraum raucht, kann man das noch Stunden später riechen. Wenn draußen jemand raucht, hat sich der Geruch nach spätestens einer Minute verflüchtigt."
Der Epidemiologe Dietrich Rothenbacher verweist auf eine Studie, die die Unterschiede des Ansteckungsrisikos drinnen und draußen bestätigt. Demnach fällt das Infektionsrisiko in Innenräumen bis zu 19-mal höher aus als draußen.
Insofern ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass jemand sich ansteckt, wenn er oder sie 15 Minuten nach einer Besprechung in einen Meetingraum kommt, in dem nicht gelüftet wurde. Oder bei einer Fahrt mit dem Fahrstuhl. "Das Infektionsrisiko an der frischen Luft ist sicher sehr niedrig, wenn Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden - wozu auch die Maske gehört, wenn sich die Abstände nicht einhalten lassen", so Rothenbacher zu unserer Redaktion.
Alternativen zu beliebten Freizeitgebieten ausloten
Beim Thema Ausflüge kreativ zu werden und nicht permanent jene Orte aufzusuchen, zu denen auch alle anderen fahren, ist dennoch zu empfehlen. Die Psychologin Julia Scharnhorst schlägt etwa vor, sich ruhige Plätze in der nahen Umgebung zu suchen. "Man kann auch in einer Großstadt, in ruhigen Nebenstraßen Naturerlebnisse haben - oder zu anderen Zeiten spazieren gehen, zum Beispiel, wenn es schon dunkel ist." Sowohl das Naturerlebnis als auch die Bewegung selbst dient dem Stressabbau im Alltag.
"Zum Stressabbau ist aber ein kurzer, schneller Spaziergang ebenso geeignet wie ein langsamer ausgedehnter", sagt Scharnhorst. Und das Bedürfnis nach Natur werde auch durch den Blick auf einen Teich im Park oder einen Baum in der Straße zumindest ein wenig befriedigt.
Was bedeuten die Mutationen für unser Verhalten draußen?
Was das Auftauchen der britischen, brasilianischen und südafrikanischen Mutationen für unser Draußen-Verhalten bedeutet, ist derzeit schwer abzuschätzen. Für den Physiker Scheuch lautet die entscheidende Frage hier: Sind diese mutierten Viren schon in einer geringeren Dosis schädlicher - oder vermehren sie sich schneller und setzen sich auf diese Art besser in ihrem Wirt fest? Hierauf gibt es derzeit noch keine Antwort.
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