• Weil Infizierte Virusfragmente über den Stuhl ausscheiden, liefert das Abwasser wertvolle Informationen über die pandemische Lage.
  • Trends und Anteile von Varianten lassen sich deutlich schneller erkennen als über individuelle Testungen in der Bevölkerung.
  • Wie wertvoll die Daten aus der Kanalisation sind und wie sie in Zukunft genutzt werden könnten.

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Die Omikron-Variante (B1.1.529) breitet sich auch in Deutschland immer weiter aus. Wie Münchner Forscher nun nachweisen konnten, enthielten bereits Abwasserproben, die ab 7. Dezember genommen wurden, Spuren der Virusvariante.

Das Forschungsteam um das Tropeninstitut des LMU Klinikums München fand in fünf von sechs Proben Genmaterial von Omikron – ein Hinweis, dass die Verbreitung der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als besorgniserregend eingestuften Variante Anfang Dezember schon größer war als angenommen.

Virusfragmente im Stuhl

Nicht nur in München dient das Abwasser-Monitoring als wertvolles Instrument zur Einschätzung der Infektionslage. Deutschlandweit werden in mehreren Verbundvorhaben seit April 2020 mehrmals wöchentlich Proben aus Kanalisationen und Kläranlagen entnommen.

"Der Großteil der Infizierten scheidet Genmaterial über den Stuhl aus, entsprechend kann man Spuren des Virus im Abwasser nachweisen", erklärt Frank-Andreas Weber vom Forschungsinstitut für Wasser- und Abfallwirtschaft an der RWTH Aachen im Gespräch mit unserer Redaktion.

"Anonymisierter Massentest"

Das Abwasser-Monitoring sei eine Art "anonymisierter Massentest": "Besser als mit Tausenden Individualtestungen lässt sich schneller und effizienter ein Gesamtbild der Lage erfassen", sagt der Wissenschaftler. Dabei seien die Forscherinnen und Forscher auch nicht auf die individuelle Testbereitschaft in der Bevölkerung angewiesen – getreu dem Motto "ins Testzentrum geht nicht jeder, auf die Toilette aber schon".

Weil über das Abwasser die Gesamtpopulation erfasst werde, schließe dies auch asymptomatische und schwach symptomatische Fälle mit ein. Die Forscher beziehen vor allem zwei Informationen aus dem Abwasser: "Zum einen lassen sich Trends in der Gesamt-Pandemie erkennen und es lassen sich Anteile spezifischer Varianten bestimmen", erklärt Weber.

Einzugsgebiete mit Hunderttausenden

Bei ihren Berechnungen müssen die Wissenschaftler allerdings bestimmte Einflussfaktoren berücksichtigen: Da manchen Kläranlagen Abwasser aus Industrie, Haushalt und von Regen-Ereignissen zugeführt wird, können die Proben unterschiedlich stark verdünnt sein. "Wenn es beispielsweise starke Regen-Ereignisse gab oder die Industrie in der Ferienzeit weniger produziert hat, korrigieren wir das", erläutert Weber.

Dennoch hätten die Daten eine wichtige Aussagekraft: "Die Informationen beziehen sich jeweils auf das Einzugsgebiet der Kläranlagen, das unterschiedlich groß sein kann", sagt Weber. Damit seien unterschiedlich detaillierte Trends erkennbar. Von einzelnen Stadtteilen bis hin zu Großraumgebieten mit 900.000 Einwohnern. "Es lässt sich allerdings nicht hochrechnen, wie viele absolute Corona-Fälle es in einem Einzugsgebiet gab", betont der Experte.

Anteil von Corona-Varianten bestimmen

Mittlerweile entnehmen die Forscher die Proben zweimal wöchentlich. Während zwischen dem Anstieg von Neuinfektionen und den offiziellen Meldedaten oft mehrere Tage vergehen, liefert das Abwasser deutlich schneller Ergebnisse. Schätzungen zufolge haben die Abwasser-Daten eine Vorlaufzeit von sieben bis zehn Tagen im Vergleich zu offiziellen Fallzahlen.

Ein besonderer Fokus liegt aktuell auf der Bestimmung der unterschiedlichen Varianten. "Über den Weg der individuellen PCR-Testungen werden nur etwa fünf Prozent der Positivbefunde aus dem Labor sequenziert", sagt Weber. Über das Abwasser erfolge die Bestimmung der Varianten integral über alle Einwohner und alle Positivfälle.

Noch kein flächendeckendes Monitoring

Während das Robert-Koch-Institut (RKI) in seinem Lagebericht (PDF) bis zum 13. Dezember einen Anteil der Omikron-Variante von 0,6 Prozent an den Gesamtinfektionen registrierte, deuteten die Abwasser-Befunde bereits auf lokale Anteile bis zu 3 Prozent der Omikron-Variante hin.

Bislang überwachen nur einzelne Regionen in Deutschland im Rahmen der Pandemie-Bekämpfung ihr Abwasser. In Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen werden bereits regelmäßig Abwasserproben aus den Zuläufen von sieben Kläranlagen, an die mehr als vier Millionen Menschen angeschlossen sind, entnommen. 20 Pilotstandorte sind im Aufbau.

Wichtige Informationen für Gesundheitsämter

"Die Abwasserdaten bieten wichtige zusätzliche Informationen für Gesundheitsämter bei ihrer Entscheidungsfindung", betont Weber. Der Datenaustausch mit den lokalen Gesundheitsbehörden müsse sich deshalb noch etablieren.

"Aktuell läuft die Kommunikation meist auf Anfrage-Rückfrage-Basis", sagt Weber. Dabei liefere das Abwasser verlässliche, aktuelle und lokale Daten, die auch in der Bevölkerung mehr Akzeptanz hätten als deutschlandweite Durchschnittsdaten.

Forderung der EU-Kommission

"Vergleichbar mit einer lokalen Sieben-Tage-Inzidenz können dann auch die Trends im Abwasser in die Entscheidung über kurzfristige Maßnahmen mit einbezogen werden", schlägt Weber vor.

Die Niederlande, Österreich, die Schweiz und Frankreich nutzen das Abwasser schon viel flächendeckender und systematischer als hilfreiches Instrument. Das entspricht auch der Forderung der EU-Kommission: Die verlangt von den Mitgliedsstaaten, "schnellstmöglich effektive Abwasser-Überwachungssysteme einzurichten" – allerdings bis zum 1. Oktober.

Über den Experten: Dr. Frank-Andreas Weber ist Geschäftsführer des Forschungsinstituts für Wasser- und Abfallwirtschaft an der RWTH Aachen (FiW) e.V. Weber studierte Umweltschutztechnik an der Universität Stuttgart.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Dr. Frank-Andreas Weber
  • Pressemitteilung Verbundprojekt: Omikron-Befunde im Abwasser in Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen.
  • Robert-Koch-Institut (RKI): Lagebericht Stand 13.12.2021

WHO stuft Risiko durch Omikron als "sehr hoch" ein

Experten glauben, dass Omikron bald die vorherrschende Virus-Variante in Deutschland sein wird. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt derweil vor den Folgen, die die Ausbreitung der Mutation nach sich ziehen könnte. Das Risiko, das von Omikron ausgeht, stuft die WHO weiterhin als "sehr hoch ein".
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