Wochenlange Beschränkungen der Kontakte haben bei vielen Menschen weitreichende gesundheitliche Folgen. Neue Studien zeigen nun die psychischen Kollateralschäden der Corona-Krise.

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Die seit Wochen geltenden Ausgangsbeschränkungen haben die Ausbreitung des Coronavirus verlangsamt. Doch die seelische Gesundheit der Menschen leidet zunehmend.

"Jüngste Studien zeigen eine Besorgnis erregende Zunahme von Angstzuständen und Depressionen" in der Allgemeinbevölkerung, sagt Linda Bauld, Professorin für Öffentliches Gesundheitswesen an der schottischen Universität Edinburgh. Diese Beobachtung gilt für alle Länder im Lockdown.

In Deutschland untersucht das Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz gerade mit einer Befragung die psychologischen Reaktionen auf die Pandemie. In Frankreich haben sich mehrere Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen, um die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Psyche zu untersuchen.

Über ein Drittel zeigt Anzeichen psychischer Nöte

Das Meinungsforschungsinstitut Ifop befragt dazu im Abstand von mehreren Wochen eine Gruppe von tausend Menschen. "37 Prozent der Befragten zeigten Anzeichen psychischer Nöte", erklärte das Forscherteam nach der zweiten Befragungsphase Anfang April.

Der Vergleich mit einer Untersuchung 2017 lasse "auf eine Verschlechterung der mentalen Gesundheit während der Ausgangsbeschränkungen schließen", heißt es weiter. Sollte der Lockdown noch mehrere Wochen anhalten, sei mit "schweren psychischen Erkrankungen" zu rechnen, warnen die Forscher und empfehlen, sich auf den wachsenden Bedarf an Therapien vorzubereiten.

Auch in den Vereinigten Staaten sind Psychiater alarmiert. "Mehr als ein Drittel der Amerikaner geben an, dass das Coronavirus ernsthaft ihre psychische Gesundheit beeinträchtigt", heißt es in einem Brief des Psychiatrischen Verbandes an den US-Kongress. Es bestehe das Risiko, dass "noch mehr Amerikaner psychiatrische Behandlung benötigen".

Die psychischen Folgen der Pandemie

In der Fachzeitschrift "Lancet Psychiatry" veröffentlichten Ende vergangener Woche britische Psychiater einen Appell, sich stärker um die psychischen Folgen der Pandemie zu kümmern. "Zunehmende soziale Isolation, Einsamkeit, gesundheitliche Sorgen, Stress und wirtschaftliche Probleme – das sind die Bedingungen, die die psychische Gesundheit beeinträchtigen", sagt Rory O'Connor von der Universität Glasgow, einer der Verfasser. "Das Problem ist zu wichtig, um es zu ignorieren."

Der Zugang zu psychologischer und psychiatrischer Behandlung muss also erleichtert werden. Die Deutsche Psychotherapeuten-Vereinigung und die Bundes-Psychotherapeuten-Kammer setzen sich dafür ein, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, sich telefonisch psychotherapeutisch beraten und behandeln zu lassen – nicht nur jene, die bereits vor der Corona-Krise in Therapie waren.

Gang zum Psychiater sollte selbstverständlicher werden

Die Gewerkschaft der Psychiater in Frankreich sieht in der Krise auch die Chance, die Behandlung psychisch Kranker besser zu organisieren. Es müsse dafür gesorgt werden, "dass man nicht mehr Monate auf einen Termin warten muss", sagt Gewerkschaftschef Maurice Bensoussan.

Nimmt die Zahl der psychisch Kranken zu, sei es umso wichtiger, die Betroffenen nicht zu stigmatisieren, sagt Anne Giersch, Leiterin der Abteilung für kognitive Neuropsychologie des Forschungszentrums Inserm in Straßburg. "Wenn man einen Infarkt hat, ist es normal, zum Arzt zu gehen", sagt Giersch. Genauso selbstverständlich solle der Gang zum Psychiater bei psychischen Beschwerden werden.

"Wir müssen die Botschaft vermitteln, dass dies jeden betreffen kann und dass das normal ist", sagt auch der Leiter der Psychiatrie des Universitätskrankenhauses Henri Mondor in Paris, Antoine Pelissolo. "Aber auch, dass man auch etwas dagegen tun kann." Konkrete Tipps für die seelische Gesundheit in der Corona-Zeit gibt die Deutsche Depressionshilfe: Den Tag strukturieren, Sport treiben, Kontakte per Telefon pflegen und nicht zu viel schlafen. (afp/Stéphane Orjollet)  © AFP

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