In dem kleinen Fürstentum Liechtenstein beginnt eine wohl weltweit einmalige Untersuchung zur Corona-Pandemie: In den kommenden Monaten werden dort die Gesundheitsdaten von Tausenden Bürgern erfasst – mit einem biometrischen Armband. Der Studienleiter erklärt, wie das Programm funktioniert.

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79 bestätigte Infizierte am Freitag. Die Zahl der Corona-Fälle scheint für Liechtenstein überschaubar. Doch mit Blick auf die nur knapp 40.000 Einwohner, weist das Fürstentum eine vergleichsweise hohe Fallzahl auf. Ein Grund ist wohl auch die geografische Nähe Liechtensteins zu Hochrisikogebieten wie Norditalien oder Tirol.

Der Kleinstaat beschreitet nun einen radikalen und neuen Versuch im "Wettlauf gegen das Coronavirus", wie die Liechtensteiner Regierung verkündete: mit sensorischen Armbändern, die biometrische Daten Tausender Liechtensteiner messen.

Ein wissenschaftliches Konsortium unter der Leitung der Brüder Lorenz und Martin Risch startete die sogenannte COVI-GAPP-Studie, die durch das Fürstenhaus und die liechtensteinische Regierung sowie die Schweizer Hanela Stiftung finanziert wird. Es gebe keine Garantie, dass das Vorhaben funktioniere, "aber es ist wahrscheinlich, dass es sehr gut funktionieren könnte", sagte Liechtensteins Gesundheitsminister Mauro Pedrazzini der britischen Wirtschaftszeitung "Financial Times". Er betonte: "Was wir und andere Regierungen brauchen, sind Frühwarnsysteme, um mit dieser Krise fertig zu werden."

Ziel ist laut Studienleiter Lorenz Risch, dass die Forschungsergebnisse vor Beginn einer möglichen zweiten Infektionswelle im zweiten Halbjahr 2020 vorliegen. So könnte man wirksam gegen die weitere Ausbreitung der durch das Virus verursachten Lungenkrankheit COVID-19 vorgehen.

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Wie die Liechtensteiner Studie funktioniert

Die Armbänder messen Gesundheitsdaten der Träger, darunter Hauttemperatur, Puls, Atem- und Herzfrequenz, wie der Wissenschaftler und Medizinunternehmer Risch auf Anfrage unserer Redaktion per E-Mail erklärt. Risch ist Geschäftsführer eines gleichnamigen Labors mit 17 Standorten in der Schweiz und Liechtenstein.

In der Studie werden die Armbänder des Schweizer Medizintechnik-Unternehmens Ava verwendet, die Frauen normalerweise zur Überwachung ihrer Fruchtbarkeitszyklen nutzen. Risch hofft mithilfe der Geräte und der Messdaten einen Algorithmus trainieren zu können, "mit denen Personen früher mit einer möglichen COVID-19-Infektion erkannt und isoliert werden können, als dies mit dem Auftreten von klinischen Symptomen (Fieber, Krankheitsgefühl, Husten, Geschmacksverlust) der Fall ist".

Darüber hinaus gehe er davon aus, dass die Armbänder geeignet wären, Patienten mit einer COVID-19-Infektion, die zu Hause isoliert sind, "telemedizinisch zu monitorisieren".

Datenschutz habe "sehr hohe Bedeutung"

Dem Datenschutz und der Vertraulichkeit der Daten werde eine "sehr hohe Bedeutung" beigemessen, betont Risch. Die Messungen bei den Probanden werden ihm zufolge verschlüsselt erhoben und "im Rahmen der Routineumgebung" vom Armband-Hersteller Ava verarbeitet.

Wie ORF-Journalist Armin Wolf mit Verweis auf Liechtensteins Gesundheitsminister berichtete, gebe es keine zentrale Vernetzung, auch erhalte die Regierung keinerlei Messdaten. "Das Armband würde nur seine*n Träger*in informieren, wenn die gemessenen Daten auf eine Covid-Infektion hinweisen", twitterte Wolf.

Laut Liechtensteiner Regierung hat der Ethikrat die Studie geprüft und freigegeben. "Die Armbänder sind bereits vorhanden, so dass sofort mit der Arbeit begonnen werden kann", heißt es in einer Pressemitteilung.

Große Motivation zur Teilnahme

In der nun beginnenden ersten Phase werden nur Personen zur Teilnahme eingeladen, die bereits an einer seit elf Jahren laufenden Langzeitstudie (GAPP-Studie) zu Herz-Kreislauferkrankungen in Liechtenstein mitwirken, erläutert Risch.

"Erfahrungsgemäß ist die Motivation zur Teilnahme bei den Teilnehmenden groß." Risch geht in der aktuellen Phase von rund 2.000 Studienteilnehmern aus. Die Teilnehmenden seien repräsentativ für die untersuchte Altersgruppe (33 bis 51 Jahre). Risch zufolge seien deshalb die Studienergebnisse "auf andere Länder extrapolierbar".

"In einer zweiten Phase haben wir zum Ziel, die Studie der ganzen Bevölkerung zu öffnen", sagt der Mediziner. Die Gesamtzahl der Teilnehmenden soll dann auf 5.000 ausgeweitet werden – das wären etwa 13 Prozent der Einwohner des Fürstentums.

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