Schon lange versuchen Forscher die Frage zu beantworten, warum eine Infektion mit dem Coronavirus bei manchen Menschen einen schwereren Verlauf nimmt als bei anderen. Eine Blutprobenuntersuchung von COVID-19-Patienten hat gezeigt, dass einige schwere Krankheitsverläufe von einer Autoimmunreaktion gegen das eigene Immunsystem ausgelöst werden.

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Warum infizieren sich manche Menschen mit COVID-19 und zeigen keine oder nur milde Symptome, während andere intensivmedizinisch behandelt oder sogar beatmet werden müssen? Die Ergebnisse zweier Studien weisen nun darauf hin, dass die Antwort im Immunsystem und dem körpereigenen Stoff Interferon zu finden sein könnte.

Forscherteam untersucht Blutproben von 987 Menschen

Dass durch eine überschießende Autoimmunreaktion Antikörper gebildet werden und diese Komplikationen bei COVID-19-Patienten auslösen, vermuten führende Ärzte und Wissenschaftler schon länger.

Die Arbeit eines internationalen Forscherteams des Howard Hughes Medical Institute an der New Yorker Rockefeller University bestärkt diese Annahme nun und nennt konkrete Stoffe und Zusammenhänge. Für die Studie einer Gruppe um den Infektionsgenetiker Jean-Laurent Casanova wurden Blutproben von 987 Menschen mit einer schweren COVID-19-Erkrankung untersucht.

Bei zehn Prozent der Betroffenen wurden sogenannte Autoantikörper identifiziert, die den körpereigenen Stoff Interferon angreifen und behindern. Bei Interferonen handelt es sich um Proteine, die antiviral wirken und das Immunsystem stimulieren.

"Das bedeutet, dass mindestens zehn Prozent der kritischen COVID-19-Verläufe von einer Autoimmunreaktion gegen das eigene Immunsystem ausgelöst werden", so Casanova gegenüber dem Fachmagazin "Science", in dem die Studie veröffentlicht wurde.

Autoantikörper kommen häufiger bei Männern und Älteren vor

Diese Autoantikörper wurden ausschließlich bei schwer erkrankten Patienten nachgewiesen. Im Blut der aus 663 Personen bestehenden Kontrollgruppe mit milden oder asymptomatischen Verläufen wurden sie nicht gefunden.

Zudem fiel auf, dass die Autoantikörper in 95 von 101 Fällen bei Männern festgestellt wurden. Auch das Alter scheint dabei ein Faktor zu sein: So war jeder zweite Infizierte mit Autoantikörpern über 65 Jahre alt. Beide Aspekte könnten Hinweise darauf geben, warum ältere Menschen und Männer häufiger schwerer durch das Virus Sars-CoV-2 erkranken.

Empfehlung: Infizierte auf Interferon-Antikörper testen

Aus dem Ergebnis der Studie leitet Casanova einige direkte Handlungsempfehlungen ab. So sollten auf das Virus positiv getestete Personen auch gleich auf die Antikörper untersucht werden. Dann wüsste man, dass bei diesen Patienten eine erhöhte Gefahr für einen schweren Krankheitsverlauf besteht.

Zudem könnte das Entfernen der Antikörper aus dem Blut dabei helfen, COVID-19-Symptome zu lindern, so Casanova. Auch sei bei der Therapie mit Plasma-Spenden Vorsicht geboten. Wenn diese Interferon-hemmende Antikörper enthalten, könnte das der behandelten Person mehr schaden als nutzen.

Die Forscher vermuten zudem, dass auch weitere Faktoren wie Diabetes oder Arthritis die Bildung von Autoantikörper begünstigen und so den Verlauf von COVID-19 negativ beeinflussen könnten.

Genetische Mutationen stören Immun-Antwort

Auch genetische Mutationen, die die Funktion des Interferons stören, könnten zu einer schädlichen Autoimmunreaktion führen. Das zeigt eine weitere Studie eines internationalen Forscherteams, ebenfalls erschienen im Fachmagazin "Science". Die Wissenschaftler untersuchten den Zusammenhang von genetischen Veränderungen und der Auto-Immunantwort. Für Ihre Untersuchung betrachteten sie 13 Genabschnitte.

Diese waren bereits dafür bekannt, das Betroffene mit einer Mutation ein Risiko für komplizierte Krankheitsverläufe, etwa bei der Influenza, tragen. Auch bei 23 der 659 untersuchten Patienten mit schwerer COVID-19-Erkrankung wurden die Forscher an dieser Stelle fündig: Die Untersuchten hatten an acht Genabschnitten seltene Mutationen. Zudem waren ihre Interferon-Spiegel sehr niedrig. Daraus ergibt sich, dass möglicherweise in 3,5 Prozent der untersuchten Fälle ein genetisch bedingter Interferon-Mangel die Krankheit erschwert hat. "Das ist die erste Arbeit, in der sicher krankheitsverursachende Mutationen festgestellt wurden, die mit einer schweren COVID-19-Erkrankung in Zusammenhang stehen", so Mitautor Qiang Pan-Hammerström gegenüber Science.

Weitere Registerstudien zu COVID-19 nötig

Insgesamt erklären die im Frühjahr gestarteten beiden Studien fast 14 Prozent der untersuchten, schweren COVID-19-Fälle. Das Ergebnis bietet wichtige Hinweise auch darauf, an welchen Stellen es sich lohnt, unbedingt weiterzuforschen. Um sichere Aussagen treffen zu können, sind allerdings weitere Studien notwendig. Dazu wird wie am Howard Hughes Medical Institut international zusammengearbeitet. Für valide Aussagen braucht es großangelegte Registerstudien. Solche gibt es mittlerweile europaweit, auch in Deutschland. In ihnen werden COVID-19-Patienten schon in dem Moment, in dem sie diagnostiziert werden, entsprechend untersucht und im Verlauf der Erkrankung begleitet. Nur so kann auch ermittelt werden, wie es zu den restlichen 86 Prozent der schweren Corona-Fälle kommt.


Verwendete Quellen:


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