Zu viele Menschen stecken sich derzeit in Deutschland mit Corona an. Manche von ihnen werden dann zu Superspreadern. Aber wer ist gefährdet? Und welchen Stellenwert nehmen sie bei der Pandemie ein? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Was ist ein Superspreader?
Experten nennen eine Person einen "Superspreader", wenn er oder sie bei einem Anlass mehr Menschen ansteckt, als die Wissenschaftler erwarten. Deswegen könnte man diese Person auf Deutsch auch einen "Superverbreiter" nennen.
Experten errechnen mit dem Reproduktionswert, kurz R‑Wert, wie viele Menschen ein mit Sars-CoV-2 Erkrankter durchschnittlich ansteckt. Aktuell liegt der R‑Wert in Deutschland laut dem Robert-Koch-Institut bei 1,17 (Stand: 28.10.2020). Das bedeutet, dass jeder Infizierte mehr als eine weitere Person ansteckt. Ein Superspreader dagegen erreicht gleich mehrere Menschen mit seinen Viren. Eine Grenze, ab wie vielen Mehr-Ansteckungen man als Superspreader gilt, gibt es nicht.
Welchen Stellenwert nehmen Superspreader bei der Pandemie ein?
In einer der weltweit umfangreichsten Kontaktverfolgungsstudien haben Wissenschaftler um Ramanan Laxminarayan von der Universität Princeton in zwei indischen Bundesstaaten 575.000 Personen untersucht, die als Kontaktpersonen von 84.000 Infizierten getestet worden waren. Dabei überprüften sie auch die Übertragungswege: Acht Prozent der mit Corona infizierten Ausgangsfälle waren demnach für 60 Prozent der sekundären Infektionen verantwortlich. Demgegenüber steckten 71 Prozent keine Person an. "Superspreading-Ereignisse sind bei Covid-19 eher die Regel als die Ausnahme", zitiert die Universität Princeton Laxminarayan.
Tröpfchen und Areosole beeinflussen den Weg
Wie wird man zum Superspreader?
Das können Wissenschaftler nicht genau erklären. Sie nehmen aber an, dass dies abhängig ist vom Verhalten dieser Person und der Situation, in der sie sich befindet. Jedenfalls muss sich bei ihr das Virus stark im Rachen nahe der Stimmbänder vermehrt haben, erklärte der Infektiologe Bernd Salzberger vom Universitätsklinikum Regensburg der DPA. Der Infizierte muss zudem über eine laute Stimme und über genügend Schleim zur Tröpfchen- und Aerosolbildung verfügen, die dann auf den Nicht-Infizierten übergehen können. Aerosole sind feine Tröpfchen, die lange im Raum schweben können. Deswegen ist auch eine Ansteckung in geschlossenen Räumen wahrscheinlicher ist als im Freien.
Was ist ein Superspreader-Ereignis?
Jüngst haben sich 60 von insgesamt 92 Passagieren auf einer Main-Donau-Kreuzfahrt mit dem Corona-Virus infiziert. Auch der Veranstalter wurde laut dem Schweizer Portal "blick.ch" positiv getestet. Er beteuert jedoch, alle Anwesenden hätten sich an die Hygieneregeln gehalten. Wie können sich dann so viele Menschen infizieren? Superspreading-Ereignisse seien "zeitlich und räumlich begrenzt. Bei ihnen gehen viele Infektionen auf eine oder sehr wenige Personen zurück", sagt der Infektionsepidemiologe Jürgen May vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg dem Online-Portal "Quarks". Die Kreuzfahrt kann also als ein klassisches Beispiel für ein Superspreader-Event angesehen werden. Weitere waren die After-Ski-Partys Anfang dieses Jahres im Tiroler Ort Ischgl. Dort hatten sich Tausende Urlauber aus 45 Ländern mit dem Virus angesteckt. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft.
Der Virologe
In Deutschland sind Kinder keine Superspreader
Welche Rolle spielen Kinder?
Dazu gibt es auf der ganzen Welt widersprüchliche Studien und Zahlen. In Deutschland geht man mittlerweile davon aus, dass Kinder keine Infektionstreiber sind. Bei einer Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI) mit dem Deutschen Jugendinstitut wurden bis Mitte Oktober 79 Ausbrüche in Kitas in ganz Deutschland an das RKI übermittelt. Knapp ein Drittel der Betroffenen waren die bis 5-Jährigen, zwei Drittel waren über 15 Jahre alt. Das waren vermutlich die Erzieher. Der Anteil der positiv auf Covid-19 getesteten in der Gruppe der 5-Jährigen lag laut der Studie seit August bei unter zwei Prozent.
Anders sieht es in Indien aus: In der Studie der Universität Princeton fand man heraus, dass Kinder sehr wohl das Virus verbreiten. Bei 575.000 Personen waren rund ein Drittel der positiv Getesteten Kinder. Damit können auch sie zu Superspreadern werden. Aber: In Deutschland haben "wir wesentlich kleinere Familien, wir leben anders zusammen als Indien", zitiert RTL Dr. Georg-Christian Zinn, Direktor Hygienezentrum Bioscientia. "Da würde ich diese spezielle Rolle der Kinder als Infektionsspreader eher infrage stellen, zumal wir jetzt eine Menge deutsche Studien haben, die diesen Ergebnissen widersprechen."
Welche Verantwortung tragen andere Gruppen?
Da Singen und lautes Sprechen sehr gute Wege sind, um Corona über die Aerosole in der Luft zu verbreiten, wird angenommen, dass ein guter Teil der Ansteckungen darauf zurückgeht. Hierbei denken Forscher vor allem an Situationen wie Chorproben und Gottesdienste. Außerdem kann eine Ansteckung über Tröpfchen geschehen. Da diese aber schneller zu Boden fallen als die Aerosole, muss der Gesunde dem Infizierten sehr nahekommen. Ein Barkeeper könnte also seine Gäste anstecken und so zum Superspreader werden. Auch empfindliche und damit ansteckungsgefährdete Menschen können ein Superspreader-Event entfachen: "Dann braucht es eine geringe infektiöse Dosis, um viele anzustecken", zitierte die DPA den RKI-Experten Udo Buchholz.
Verwendete Quellen:
- Die Princeton Universität: Largest COVID-19 contact tracing study to date finds children key to spread, evidence of superspreaders
- Die Bundesregierung: Die aktuellen Fallzahlen in Deutschland und weltweit
- NDR: (44) Coronavirus-Update: Die rote Murmel kontrollieren
- Robert-Koch-Institut: SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)
- Quarks: Wie Superspreader die Pandemie beeinflussen
- Apotheken Umschau: Superspreader – Gefahr und Chance?
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