Weltweit steigen die Infektionszahlen rasant an - in Afrika dagegen liegen sie derzeit noch auf niedrigem Niveau. Doch das Coronavirus ist auch dort angekommen. Die Furcht auf dem armen Kontinent ist groß - denn die volle Wucht der Krise kann Afrika hart treffen. Äthiopiens Regierungschef ruft die Welt zu Hilfe auf.
Während am Freitag weltweit bei mehr als einer halbe Million Menschen eine Corona-Infektion nachgewiesen wurde und rund 22.000 Todesopfer zu beklagen sind, hören sich die Zahlen für Afrika immer noch vergleichsweise niedrig an: Gut 3.000 Infizierte und deutlich weniger als 100 Todesfälle - bei einer Bevölkerung von knapp 1,3 Milliarden Menschen. Doch der Anschein täuscht: Für Afrika könnte das Schlimmste erst noch kommen.
An "echte Humanität" und die Solidarität der Weltgemeinschaft appellierte der äthiopische Regierungschef und Träger des Friedensnobelpreises Abiy Ahmed am Mittwoch in einem Beitrag für die "Financial Times": "Wenn Afrika jemals solche Hilfe gebraucht hat, dann jetzt mehr als je zuvor", so Ahmed.
Abiys Appell sei mehr als berechtigt, meint Gerrit Kurtz von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Die Corona-Epidemie entfalte in Afrika momentan auch deshalb eine geringere Wirkung, "weil viele Regierungen in Afrika in vielerlei Hinsicht schneller reagiert haben als Europa."
So hätten viele Länder auf dem Kontinent schon Schulen, Universitäten und auch die Grenzen geschlossen, als die Zahl der Infizierten noch minimal gewesen sei - der Sudan etwa habe schon nach drei erkannten Infektionsfällen massive Vorkehrungen getroffen.
Doch die schnelle Vorsorge Afrikas habe einen triftigen Grund: "Die Regierungen wissen, dass ihre Gesundheitssysteme der Belastung einer Pandemie nicht gewachsen sind", so der Afrika-Experte.
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Gesundheitssystem und Wirtschaft sind gleichermaßen bedroht
Nicht nur die Gesundheitssysteme Afrikas sind bedroht. Auch die Ökonomien der 55 afrikanischen Staaten stehen auf äußerst schwachen Beinen. Zum Beispiel die äthiopische Landwirtschaft: Sie werde vom festen Rahmen der Jahreszeiten diktiert, betont Abiy Ahmed in dem Zeitungsbeitrag - Säen und Pflanzen, Jäten und Ernten können nicht verschoben werden. Die "leichteste Störung dieser Kette auch nur für einen kurzen Zeitraum" könne die ohnehin prekäre Ernährungssituation der Bevölkerung gefährden und zur Katastrophe führen.
Neben der Landwirtschaft, fügt Abiy hinzu, treffe die Pandemie die äthiopische Wirtschaft hart: Die Fluggesellschaft Ethiopian - mit 122 Maschinen, mehr als 16.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von gut drei Milliarden US-Dollar Afrikas größte Airline - ist der wichtigste Devisenbringer des Landes. Doch auch die Luftflotte wird als Wirtschaftsmotor für längere Zeit ausfallen. Wie Europa schließt auch ganz Afrika seine Flughäfen.
Die Lage Äthiopiens kann als Beispiel für die Situation eines großen Teils des Kontinents in der Coronakrise gelten. Der Unterschied zu europäischen Ländern wie Deutschland: Wenn hierzulande die Spargelernte wegen fehlender Erntearbeiter ausfallen sollte und gleichzeitig die Lufthansa Milliardenverluste einfährt, muss trotzdem niemand hungern, werden trotzdem die Mitarbeiter im Gesundheitswesen zuverlässig weiter bezahlt.
Das kann in Afrika anders kommen - neben der Nahrungsmittelversorgung kann auch das Gesundheitssystem schnell an Grenzen stoßen: "Wenn es an harter Währung mangelt, wird es praktisch unmöglich, die notwendige medizinische Ausstattung zu beschaffen", schreibt der äthiopische Premier.
Afrika hat von Ebola gelernt
Dass Afrika so schnell und ohne großes Zögern auf die Bedrohung durch das neue Virus reagiert hat, ist zum Teil auch eine Folge früherer Seuchen-Erfahrungen. Ebola-Epidemien suchten in den vergangenen Jahren Westafrika, den Kongo und Uganda heim.
"Ebola hat dazu beigetragen, dass es in Teilen Afrikas ein größeres Bewusstsein für Potenz und Auswirkungen von Seuchen gibt", meint Afrika-Experte Kurtz. Mithilfe der Weltgesundheitsorganisation WHO wurden inzwischen Labore in ganz Afrika nachgerüstet, sodass nun fast alle Länder Corona-Infektionen nachweisen können.
Dass Afrikas Bevölkerung sehr jung ist, halten viele Beobachter für einen Vorteil, weil junge Menschen die Symptome der Corona-Erkrankung besser überstehen. Experte Kurtz ist da skeptisch: Wegen der schlechten Ernährungs- und Gesundheitssituation in vielen Teilen Afrikas gebe es auch sehr viel immungeschwächte junge Menschen, die schnell Opfer des Virus werden könnten.
Und Kurtz erinnert an die Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen in Afrika, die unter teilweise schlechten Ernährungs- und Hygienebedingungen in Lagern leben: "Sie sind besonders verwundbar, auch wenn sie nicht alt sind."
Ohne Hilfe für Afrika ist kein Land sicher
Die hohe soziale Ungleichheit in Afrika hat auch noch weitere Konsequenzen. Experte Gerrit Kurtz beobachtet vor allem in den Sozialen Medien Afrikas eine Tendenz, die reiche Elite für die Verbreitung des Coronavirus verantwortlich zu machen: "Häufig wurden erste Infektionen von Menschen berichtet, die von internationalen Reisen mit dem Flugzeug zurückkehrten - ein Privileg der Elite."
Doch die globale Vernetzung erlaube auch den Austausch von Erfahrungen im Umgang mit der Krise, meint Kurtz. Konkrete Hilfe kommt derzeit aus China - das Land liefert unter anderem Schutzausrüstungen und Test-Kits.
Das allein wird jedoch nicht ausreichen. In seinem Artikel für die "Financial Times" prangert Abiy Ahmed die derzeitigen Hilfen als "unspezifisch und unkoordiniert" an. Die reichen Länder der G20 müssten nun Führungsstärke für eine globale Antwort auf die Krise zeigen, es gehe um Millionen von Leben.
Der Friedensnobelpreisträger fordert einen globalen Fonds, "um den Kollaps der Gesundheitssysteme in Afrika zu verhindern" und appelliert auch an das Eigeninteresse des globalen Nordens. Wenn das Virus in Afrika nicht besiegt werde, so Abiy, werde es nirgendwo besiegt: "Ohne wirksame Maßnahmen in Afrika ist kein Land der Welt sicher."
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Gerrit Kurtz, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
- Financial Times: "If Covid-19 is not beaten in Africa it will return to haunt us all"
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