Wie gehen Menschen rund um den Globus mit der Coronakrise um? Welche Gedanken treiben sie um und welche Chancen ergeben sich vielleicht? Wir haben nachgefragt. Hier erzählt Veronika Klingler ihre Geschichte.

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Die Coronakrise trifft viele Menschen nicht nur gesundheitlich, sondern stellt sie auch beruflich vor ganz neue Herausforderungen. Manche stehen vor dem Nichts, andere haben die Möglichkeit, die Krise auch als Chance für etwas Neues zu nutzen. Wir haben die Geschichten unterschiedlicher Menschen gesammelt und präsentieren sie Ihnen an dieser Stelle als Artikelserie - alle Berichte im Überblick finden Sie hier.

Kennen Sie Whanaungatanga? So bezeichnen die Maori, die Ureinwohner von Neuseeland, eines der Grundprinzipien ihrer Gesellschaft. Der Begriff steht für Miteinander, Solidarität und die Verantwortung jedes und jeder Einzelnen, einen Beitrag zu leisten, damit unsere Gesellschaft seelisch und körperlich gesund bleibt.

Mit dem Ausbruch von COVID-19 nimmt dieser Gedanke weltweit an Bedeutung zu. Es kann nicht mehr jeder nur an sich denken, der Zusammenhalt aller steht nun im Vordergrund.

Ich komme aus einem Dorf in den Tiroler Bergen, die Liebe hat mich jedoch nach Neuseeland verschlagen: Mein Mann stammt von hier. Wir haben uns vor 15 Jahren beim Snowboarden kennengelernt und leben seit knapp zehn Jahren in seiner Heimat.

Vor sechs Jahren kam unsere Tochter auf die Welt. Lilys Start ins Leben war hart, sie war schwer herzkrank. Ihr erstes Lebensjahr verbrachte sie praktisch nur im Krankenhaus. In den ersten neun Monaten ihres Lebens hatte sie drei OPs am offenen Herzen, bei der ersten war sie gerade einmal 36 Stunden alt.

Was für euch der Ausnahmezustand ist, ist für uns normal

Als Lily zwei Jahre alt war, bekam sie ein Spenderherz. Wir mussten für insgesamt zehn Monate nach Australien ziehen, weil es in Neuseeland nicht genug Spenderherzen gab. Sieben Monate mussten wir warten, bis ein Organ verfügbar war.

Lily war damals die jüngste Patientin mit einem transplantierten Herzen in ganz Neuseeland. Seit der OP ist sie abhängig von Immunsuppressiva. Um zu verhindern, dass Lilys Körper das Spenderherz abstößt, muss ihr Immunsystem bis zu einem gewissen Grad geschwächt werden.

Deshalb ist das Virus SARS-CoV-2 nicht wirklich eine neue Herausforderung für uns. Die Grippe, Windpocken oder auch ein ganz normaler Schnupfen können für mein Kind einen Krankenhausaufenthalt oder im schlimmsten Fall den Tod bedeuten.

An alle da draußen: Willkommen in unserer Welt! Mit einem Unterschied - ihr könnt, wenn der COVID-19-Wahnsinn ein Ende hat, dieser Realität wieder entfliehen.

Die Ignoranz der Gesunden und das fehlende Einfühlungsvermögen vieler ist oft Thema bei uns daheim. Wir haben gelernt, uns anzupassen und haben stets Desinfektionsgels und antibakterielle Tücher dabei, wenn wir vor die Tür gehen. Auch Isolation ist nichts Neues für uns. Jeden Winter minimieren wir unsere sozialen Kontakte, und wenn jemand kränkelt, werden Treffen abgesagt.

Als sich die Lungenkrankheit COVID-19 in Wuhan breitmachte, nahm das wohl niemand richtig ernst. China ist für die meisten von uns ja weit entfernt. Doch Globalisierung verbindet und mit einem Flieger ist man ruckzuck am anderen Ende der Welt.

Unterstützung der Nachbarn ist essenziell

In Neuseeland leben viele Chinesen, prozentual deutlich mehr als in Europa. Deshalb verfolgten wir die Nachrichten mit großer Aufmerksamkeit. Wir wussten, es war nur eine Frage der Zeit, bis dieses Virus auch bei uns ankommen würde. Mittlerweile ist Neuseeland auch im kompletten Lockdown. Mindestens die nächsten vier Wochen verbringen wir alle in Quarantäne.

Unser Kind gehört zu einer Hochrisikogruppe. Lily ging schon vorher nicht mehr in die Schule. Dieser Zustand könnte Monate dauern. Wir hoffen, dass die schnellen Entschlüsse der neuseeländischen Regierung dazu beitragen, dass die Lage handhabbar bleibt.

Wir haben das Glück, in einem Vorort von Wellington zu wohnen, wo zusammengehalten wird. Wir bekommen Hilfe und Unterstützung. Die Schule hat gemeinsame mit dem Bildungsministerium Pläne zusammengestellt, damit unsere Tochter auch zu Hause weiter lernen kann.

Unser Hausarzt ist jederzeit bereit, uns zu besuchen. Demnächst steht die Grippeimpfung an, denn bei uns wird es nun Winter. COVID-19 und eine Grippe, nein danke. Das wäre zu viel des Guten.

Lily darf keine Lebendimpfstoffe bekommen, deswegen hoffen wir darauf, dass es bald einen Totimpfstoff gegen COVID-19 geben wird. Andernfalls wäre meine Tochter darauf angewiesen, dass sich möglichst viele andere Menschen impfen lassen, sodass für sie Herdenimmunität besteht.

Einkaufen geht noch nur übers Internet

Wir kaufen nur noch über Online-Shopping ein. Wir haben einen Medikamentenvorrat von drei Monaten zu Hause. Aber Hamsterkäufe von Toilettenpapier oder Lebensmitteln sparen wir uns. Jeder hat da so seinen Bewältigungsmechanismus, um mit der Krise umzugehen. Und um noch etwas Kontrolle zu haben, kaufen manche wie wild Klopapier.

Wie auch immer ihr versucht, diese Krise zu meistern: Bitte nicht auf Kosten der am meisten Gefährdeten! Bleibt zu Hause, wenn ihr euch unwohl fühlt, bietet Angehörigen der Risikogruppen eure Hilfe an, hört auf die Anweisungen eurer Regierungen und BITTE nutzt euren Verstand.

COVID-19 wird uns noch länger begleiten. Wir müssen aus der Situation lernen und Wege finden, mit diesem Virus zu leben. Wir hoffen, dass es bald eine Impfung geben wird, aber bis dahin sollten wir ein freundliches Miteinander ins Zentrum unseres täglichen Lebens rücken. Whanaungatanga für die ganze Welt sozusagen.

Veronika Klingler (Protokoll: ank)

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