30 Jahre Tag der deutschen Einheit. 30 Jahre, in denen hätte zusammenwachsen sollen, was zusammen gehört. Doch während für viele der 3. Oktober tatsächlich ein Feiertag ist, der sie in glücklichen Erinnerungen schwelgen lässt, ist er für andere zumindest zwiespältig, wenn nicht sogar negativ behaftet. Unsere Leser haben uns ihre Geschichten erzählt. Hier sind die eindrücklichsten Schilderungen.

Mehr Panoramathemen finden Sie hier

Es war nicht alles schlecht in der DDR

"Für mich, Geburtsjahr 1954 in Mecklenburg, aber ab 1955 mit meinen Eltern in Bremen 'gelandet', habe ich nur unter den bekannten Grenz-Problemen meine Verwandten ab 1966 kennenlernen dürfen.

Der Mauerfall war das tollste Erlebnis für mich, weil wir endlich ganz Deutschland bereisen und kennenlernen durften und unsere Verwandten ebenfalls die Reisefreiheit anfingen, zu genießen.

Als Helmut Kohl allerdings seinen Spruch aufsagte - 'Es wird niemandem schlechter gehen als zuvor, dafür vielen besser.' - war ich entrüstet! Laut Herrn Kohl war alles schlecht in der DDR.

Das hat allerdings so nicht gestimmt. Herr Kohl hatte die DDR nie gesehen. Er redete darüber, ohne sich eine Meinung und ein Bild zu verschaffen und mit den Menschen zu reden. Es wurde einfach alles platt gemacht und billigst verscheuert und die Bewohner wurden belogen und nach Strich und Faden über den Tisch gezogen von dubiosen Geschäftemachern und Versicherungen und wurden arbeitslos.

Es gab zum Beispiel eine sehr gute Infrastruktur der Kindergärten und Schulen. Kritische Meinungen zur Politik bezüglich der DDR-Geschichte waren allerdings nicht erwünscht." (Anonym)

Ein Aufbruch in ein Abenteuer

"Ich verbinde mit dem Tag den Aufbruch in ein Abenteuer. 1992 sind mein Mann, unsere damals vier und fünf Jahre alten Töchter und ich von Cottbus nach Baden-Württemberg gezogen.

Ich war arbeitslos und mein Mann kurz vor der Kündigung in einem ehemaligen Hochbau-Betrieb. Von Freunden wurden wir zu diesem Schritt ermutigt. Denn diese wollten mit uns gemeinsam eine Gaststätte betreiben.

Jung und dumm machten wir uns auf in eine ungewisse Zukunft, ohne Angst, mit vielen Träumen und Flausen im Kopf. Doch einige Zeit später fanden wir uns in der Wirklichkeit wieder. Ich war gelernte Köchin und arbeitete wieder in einem Hotel; mein Mann gelernter Baufacharbeiter, wieder in einem Maurer Geschäft.

Unsere 'Freunde' hatten die Gaststätte ohne uns eröffnet und kannten uns dann nicht mehr. Augen zu und durch hieß es! Wenn wir nicht so viele hilfsbereite 'Wessis' gefunden hätten, wären wir bestimmt wieder zurück nach Cottbus gegangen.

Mein Fazit nach diesen 28 Jahren? Es gibt hüben wie drüben Menschen ohne Charakter!

Die Wende war notwendig und unumgänglich, aber sie hat nicht allen das erhoffte Ergebnis gebracht. Trotz allem, was wir durchgemacht haben, würden wir nicht mehr zurück gehen!

Wir haben einige Ossis kommen und gehen sehen, die es auch im Osten zu nichts gebracht hatten und haben. Traurig bin ich darüber, dass man den Tag der Deutschen Einheit nur noch als freien Tag sieht. Nirgends, außer in Berlin und Leipzig wird daran erinnert!" (Annette Wojatzki)

Zusammenführung von West und Ost

"Unvergessliche Zusammenführung von West und Ost: An Ostern 1990 lernten meine Frau und ich ein junges Mädchen kennen.

Nach kurzer Unterhaltung zur Grenzöffnung, dem beruflichen Werdegang, wie es weitergeht, war es offensichtlich: Das junge Mädchen stand vor dem Nichts, ihre Firma war bereits geschlossen, es gab keine Zukunft.

In unserer Familie war kurz vorher unser Sohn ausgezogen, es war ein Kinderzimmer frei. Ich fragte das 20-jährige Fräulein, ob sie bei uns wohnen wolle und sie sagte spontan zu. Ungefähr eine Woche später zog Sabine bei uns ein und stellte sich bei zwei Firmen vor. In der DDR hatte sie Chemielaborantin gelernt.

Sabine bekam in unmittelbarer Nachbarschaft eine Anstellung zum 1.April 1990. Für sie und für uns war diese Begegnung eine Bereicherung und führte zu vielen Gesprächen über das aktuelle Geschehen.

Heute lebt sie wieder in ihrer alten Heimat Dessau. Es ist alles bestens gelaufen: Wir sind innigst befreundet, mit dem Ehemann, dem Sohn, der mich Onkel nennt, und unserer Sabine. Noch heute sind wir alle über diese Zeit der Zusammenführung glücklich und möchten sie nicht vergessen.

Trotz 350 km Entfernung sind wir eine Familie." (Anonym)

Der Deutschen Einheit unwürdig

"Ich war 1989 36 Jahre alt und Hauptmann in einer Instandsetzungseinheit der Nationalen Volksarmee ganz in der Nähe vom Point Alpha.

Als Hauptmann Ost erhielt ich dann den Sold eines Gefreiten West. Mein Dienstposten wurde als 'nichtbesetzt' ausgeschrieben und da ich nicht bereit war, mich zum Oberfeldwebel degradieren zu lassen, wurde ich entlassen. Ich schlug mich als Schlosser/Schweißer, Fenster-Verkäufer, Selbstständiger und Angestellter im Vertriebs-Außendienst durch. In 22 verschiedenen Jobs war ich tätig .

In zwei Monaten werde ich Rentner.

Mein Fazit: Ja, die Wende musste sein und ich bin dankbar, dass sie friedlich gekommen ist.

Aber was unsere Bundesregierung den Ostdeutschen vorgegaukelt hat und wie wir immer als Menschen 2. Klasse behandelt wurden, ist der Deutschen Einheit unwürdig.

Nach 30 Jahren noch immer niedrigere Löhne, höhere Steuern und Abgaben, schlechtere Lebensbedingungen. Aus den großspurigen Sprüchen ist vielerorts nur Murks geworden. Aufschwung auf Pump. Dabei sind Reiche immer reicher geworden.

Die Regierung ist seit Jahren unglaubwürdig, hilflos ohne Plan und hat die Nähe zum Bürger verloren. Wenn es so weiter geht, dann schließe ich nicht aus, dass auch diese Regierung vom Volk 'abgelöst' wird." (Anonym)

Alles geriet ins Wanken

"Dieser Tag wurde ein Wendepunkt in meinem Leben. Nichts hatte nach diesem Tag noch Bestand, alles, auf dem ich bisher sicher stand, geriet in Bewegung, stürzte ein.

War ich bis dahin Lehrer, so verlor ich diese Stelle, weil die Ing.-Schule abgewickelt wurde. Ein Wort, das ich bis dahin nicht kannte, zeigte mir seine brutale Wirkung.

Aufgrund meines pädagogischen Abschlusses konnte ich eine Arbeit als Erzieher in einer kirchlichen Einrichtung aufnehmen. Während dieser fast 20-jährigen Tätigkeit konnte ich erkennen, was ein Mitarbeiter in dieser Einrichtung wert ist.

Gefragt ist der nicht widersprechende, zu allem ja-sagende Mitarbeiter. Es entwickelte sich die schlimmste Zeit meines Arbeitslebens. Und das unter dem Banner der Diakonie und der Losung 'Liebe deinen Nächsten'. Heute bin ich Rentner, aber meine Seele blutet immer noch." (Anonym)

Jammern auf hohem Niveau

"Freiheit. Die Demonstranten, die diese in letzter Zeit immer wieder fordern, genießen sie entweder, weil sie sie abschaffen wollen, oder weil sie nicht wissen, wovon sie sprechen.

Das beste Beispiel dafür: Sie behaupten vor laufender Kamera ins Mikro, dass sie ihre Meinung nicht sagen dürfen.

Ich habe 1989 vor dem Zusammenbruch der DDR eine Demonstration mitveranstaltet, die sich auf die KSZE (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) der UNO bezog. Wir standen nicht mal eine Minute, da wurden wir schon auf einen Transporter der Sicherheitskräfte gebracht.

Es ist schäbig, wie die rechten Kräfte heute Slogans wie 'Wir sind das Volk', 'Montagsdemo', 'Spaziergang' und so weiter missbrauchen und behaupten, die ehemaligen Ostdeutschen wurden von Westdeutschland betrogen.

Das ist Jammern auf hohem Niveau. Die gesamte Führungselite der AfD ist aus Westdeutschland." (Gerd H.)

"Die Tränen meines Vaters waren Freudentränen"

"Puchheim bei München, 3.10.1990: Mein Vater kam abends von der Arbeit nach Hause und hatte eine Flasche Champagner dabei.

Er füllte die Gläser und sagte nur: 'Heute ist ein historischer Tag' – dabei hatte er Tränen in den Augen. Das hatte ich bei ihm noch nie gesehen. Mein Vater war ein ernster Mensch, aber er hatte bisher noch nie vor mir geweint.

Inzwischen weiß ich, dass es meinem Vater – wie auch meiner Mutter – ein großer Trost gewesen sein muss, dass durch die Öffnung des eisernen Vorhangs Familien wieder vereint wurden und Schicksale verarbeitet werden konnten.

Meine Eltern hatten als Kinder viele Verluste und Trennungen erlebt: mein Vater als Halbwaise auf der Flucht aus Ostpreußen, meine Mutter als Berlinerin durch die Bombardierungen im 2.Weltkrieg.

Sie lebten seit 1961 getrennt von Geschwistern oder Cousins in Westdeutschland. Besuche im Osten oder bei meinen Großeltern in Westberlin waren mit ungewöhnlichen Vorsichtsmaßnahmen verbunden. Wenn letzteres allerhöchstens ärgerlich war, so konnte man jedes Mal nur Entsetzen empfinden, wenn Menschen bei ihrer Flucht aus der DDR erschossen oder aufgrund dubioser KGB-Machenschaften in den Gefängnissen gefoltert wurden.

Die Wiedervereinigung brachte nicht nur eine lang verwehrte Freiheit für die Menschen in der DDR, sondern auch eine große Erleichterung für alle Deutschen, dass es tatsächlich revolutionäre Ereignisse ohne Blutvergießen geben kann.

Dieser Tag war in vielerlei Hinsicht historisch. Die Tränen meines Vaters waren Freudentränen." (Anonym)

Opa freute sich über Knackwurst

"Mein Großvater floh 1951 in den Westen. Er gründete im Schwarzwald eine Familie. Seine Eltern und Verwandten im Osten durfte er nicht mehr besuchen. Meine Großmutter fuhr regelmäßig hin, doch mein Opa traf seine Eltern nie wieder. Sie starben noch vor dem Mauerfall.

Meine Schwester und ich schmuggelten als Kinder seine geliebten Thüringer Spezialitäten wie Knackwurst zu ihm. Als die Mauer fiel, brauchte mein Opa noch etwas Überwindung, um endlich wieder nach Hause zu fahren.

Das Gut der Familie war gepfändet worden, er, als einziger Sohn, hatte nie eingreifen können. Das hat er nie ganz überwunden.

Für uns Kinder war es ein großer Spaß, die eigentliche 'Grausamkeit' der Situation war uns damals nicht klar. Wir wussten nur, Opa mag Knackwurst und freut sich, wenn er sie bekommt, also haben wir uns immer neue Verstecke überlegt, um seine stets etwas traurigen Augen zumindest kurz zum Leuchten zu bringen." (Anonym)

Beiträge wurden teilweise zugunsten einer besseren Leserlichlichkeit redaktionell gekürzt und bearbeitet.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.