- In Nizza, Berlin, Münster und nun Trier gab es Anschläge mit vielen Todesopfern.
- Vor allem eines haben diese Verbrechen gemeinsam: Als Tatwaffe diente ein Kraftfahrzeug.
- Was kann helfen gegen die heimtückischen Taten? Ein Kriminologe meint: Die Aufmerksamkeit muss den Opfern gelten.
Nizza, 14. Juli 2016: Ein Lkw biegt auf die Strandpromenade ein und überrollt auf einer Distanz von zwei Kilometern mehrere hundert Menschen. 86 von ihnen sterben. Der Fahrer schießt aus dem Fahrzeug heraus auf Polizisten, bevor er selbst getötet wird. Die Terrororganisation Islamischer Staat übernimmt die Verantwortung.
Berlin, 19. Dezember 2016: Mit einem Sattelzug, dessen Fahrer er vorher getötet hat, fährt ein islamistischer Terrorist in den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Bilanz der Amokfahrt: Elf Besucher des Marktes sterben, 67 sind schwer verletzt.
Münster, 7. April 2018: Der Fahrer eines Kleinbusses lenkt sein Fahrzeug nahe dem Kiepenkerl-Denkmal in eine Menschengruppe. Er tötet dabei vier Menschen, verletzt mehr als 20 schwer und erschießt sich anschließend selbst. Es gibt keinen terroristischen Hintergrund.
Trier, 1. Dezember 2020: Ein Mann fährt seinen schweren SUV mit hoher Geschwindigkeit und in Schlangenlinien durch die Fußgängerzone, tötet fünf Menschen und verletzt 24 weitere. Der Täter ist stark alkoholisiert und raucht eine Zigarette, als Polizisten ihn überwältigen. Über seine Motive ist noch nichts bekannt.
Vier Fälle aus den letzten Jahren, die deutlich machen: Das Kraftfahrzeug ist für manche Menschen vom Transportmittel zur Waffe geworden.
Amokfahrt in Trier: Das Auto als Tatwaffe ist ein "relativ neues Phänomen"
Auch Wissenschaftler wie Thomas Bliesener vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsens (KFN) stehen dieser Tatsache fassungslos gegenüber. Fremdtötung mit dem Auto sei "ein relativ neues Phänomen". Psychologisch gesehen wird das Kraftfahrzeug dabei "für Aggressionen nach außen zweckentfremdet".
An die Möglichkeit, sein Fahrzeug für einen Mord zu benutzen, "denkt man normalerweise beim Autofahren nicht", konstatiert Bliesener, allerdings dringe diese Option durch die Berichterstattung über solche Taten "in die Köpfe einzelner Menschen ein". Fernsehen und Rundfunk, Internet und Printmedien machen die Vorfälle zum "Modell" und rücken es immer mehr "in den Raum der Handlungsmöglichkeiten", befürchtet der Kriminologe.
Bliesener: "Man muss dem Opfer nicht in die Augen sehen"
Das Auto kann ein extrem effektives Mordwerkzeug sein: Es ist schnell verfügbar, die Opferzahlen sind hoch. Das Fahrzeug als Tatinstrument macht es dem Täter auch psychologisch einfacher, weil er das Opfer nur aus der Entfernung wahrnimmt. Er sitzt in einer Art Metallpanzer, der ihn vor Gegenwehr schützt – und vor jedem anderen Kontakt mit dem Opfer.
Die Kriminologie unterscheidet daher zwischen Nah- und Distanzwaffen. Ein Mord mit der "Nahwaffe Messer" erfordert höhere Bereitschaft zu körperlicher Brutalität, größere Entschlossenheit. Die "Distanzwaffe Auto" dagegen sorgt für Skrupellosigkeit, erklärt der Experte: "Man muss dem Opfer nicht in die Augen sehen."
"Gott sei Dank" nur Einzelfälle
Ob es ein bestimmter Menschentyp ist, der dazu neigt, mörderische Aggressionen mittels eines Kraftfahrzeugs abzureagieren, vermag die Kriminologie nicht zu sagen. Es habe zwar Versuche gegeben, mittels wissenschaftlicher Untersuchungen herauszufinden, inwieweit sich der Gebrauch bestimmter Tatwaffen mit persönlichen Eigenschaften der Täter verknüpfen lässt. Vermutungen in dieser Richtung ließen sich aber nicht bestätigen, "weil es zu wenige Fälle gibt, um hier zu evidenten Aussagen zu kommen", sagt Bliesener und schiebt ein "Gott sei Dank" nach.
Weil es keine Daten gibt, an denen sich potenzielle Amokläufer erkennen lassen, ist die Prävention schwer. "Wir können keinen hundertprozentigen Schutz vor solchen Anschlägen erreichen", gibt Bliesener unumwunden zu, "ein Restrisiko bleibt immer." Weder kann man die Täter vorbeugend erkennen, noch lassen sich beispielsweise innerstädtische Fußgängerbereiche von allen Seiten mit Betonpollern gegen Fahrzeuge sichern.
Wie das Umfeld einen potentiellen Täter im Vorhinein erkennen kann
Bleibt nur die soziale Kontrolle. Viele Täter zeigen im Vorfeld Anzeichen, die im persönlichen Umfeld auffallen können: das sogenannte Leaking. Der Täter lässt dabei in seinem Umfeld Tatfantasien oder -pläne bewusst oder unbewusst "durchsickern".
Wer etwa plötzlich und demonstrativ Interesse für Waffen oder Tarnkleidung zeigt, wer als Tatvorbereitungshandlung im Internet bestimmte Themen recherchiert und von diesen vermehrt spricht, der lässt eine möglicherweise gefährliche Persönlichkeitsveränderung erkennen.
Wenn Menschen Wut und Aggressionen äußern, wenn sie ein frustriertes "Ihr werdet euch noch wundern" oder ähnliche Äußerungen hören lassen – dann sollten sich die Menschen in ihrem Umfeld Gedanken machen.
Frühzeitig Profis einschalten
Bliesener empfiehlt in solchen Fällen "sensibles Nachfragen" und den Versuch, professionelle Hilfe zu vermitteln. Gegebenenfalls sollte man sich nicht scheuen, frühzeitig auch die Ordnungskräfte einzuschalten: "Die Polizei stößt da natürlich an Grenzen – aber sie kann psychologisch informieren und kompetente Hilfe vermitteln."
Vor allem aber fordert der Kriminologe auch eine vorsichtige Berichterstattung in den Medien. Trotz eines "großen Informationsbedürfnisses" der Öffentlichkeit sei es wichtig, dass die Opfer mehr Aufmerksamkeit bekommen als die Mörder.
"Potenzielle Täter wünschen sich Aufmerksamkeit", gibt Bliesener zu bedenken, sie fühlten sich durch übertriebene Berichterstattung dazu motiviert, "so etwas nachzumachen." Der Auslöser kann ein besonderes Vorkommnis sein, eine Kränkung oder einfach eine "günstige Gelegenheit". Ob das Verbrechen am Ende mit dem Auto oder mit einer anderen Waffe ausgeführt wird, ist dann nebensächlich.
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