Ein Chirurg lässt sich von seiner Frau an seinen Arbeitsplatz fahren, weil er stark betrunken ist. Dann operiert er. Das ist eine Straftat. Das stellt das Landgericht Osnabrück unmissverständlich klar.

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Im stark betrunkenen Zustand und mit unkoordinierten Handbewegungen operierte er eine Notfallpatientin am Blinddarm, wurde aber von seinem Team gestoppt. Nun hat das Landgericht Osnabrück einen Chirurgen zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.

Es sei unstreitig, dass es sich bei dem Verhalten des heute 56 Jahre alten Mediziners um gefährliche Körperverletzung handelte, sagte die Vorsitzende Richterin Nicole Hellmich am Freitag. Dem Mann sei klar gewesen, dass er zum Zeitpunkt der Operation unter Alkoholeinfluss gestanden habe - schließlich habe er sich deswegen zuvor von seiner Frau zur Klinik fahren lassen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Der Anwalt des Mediziners hatte Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts Osnabrück eingelegt, dass seinen Mandanten zuvor zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten verurteilt hatte. Er argumentierte, dass es sich lediglich um eine fahrlässige Körperverletzung handeln könne. Er verwies auf die Einwilligung der Patientin zur Operation und auf den Grundsatz, dass sich Patienten ihren Operateur in der Regel nicht aussuchen könnten. Das Gericht folgte dem nicht. Als Patient müsse man darauf vertrauen können, dass der operierende Arzt nicht alkoholisiert sei, sagte die Vorsitzende Richterin: "Niemand würde sich von einem betrunkenen Arzt operieren lassen."

Auffallende Verhaltensänderungen

Was war geschehen? Im August 2022 kam die heute 60 Jahre alte Patientin mit starken Schmerzen im Bauch am späten Abend in die Notaufnahme des Krankenhauses im Landkreis Osnabrück. Die Diagnose: akute Blinddarmentzündung. Der Chirurg, die Anästhesistin sowie die OP-Schwestern wurden verständigt, die Patientin zur minimalinvasiven OP vorbereitet.

Während der Operation fiel dann sowohl beiden OP-Schwestern und - darauf aufmerksam gemacht - auch der Anästhesistin auf, dass diese nicht wie geplant verlief. Der sonst sehr ruhige Chirurg wirkte ungewöhnlich aufgekratzt und heiter. Der normalerweise sehr versiert und souverän operierende Mediziner habe offensichtlich Probleme gehabt, seine Handbewegungen beim Führen der Instrumente und beim Nähen zu koordinieren.

Panik im OP

Er habe gekichert - auch als sowohl eine OP-Schwester als auch die Narkoseärztin ihn darauf aufmerksam machten, dass er soeben nicht den Blinddarm mit einem elektrisch beheizten OP-Instrument verletzt habe, sondern den Dünndarm. "Ja, ich weiß", habe der Chirurg auf den Hinweis damals geantwortet, sagten die Zeuginnen übereinstimmend aus.

Als der Arzt dann völlig überraschend für alle Beteiligten anfing, die Operation nicht mehr minimalinvasiv vorzunehmen, sondern seiner Patientin mit einem elektrischen Instrument den Bauch aufzuschneiden, sei Panik ausgebrochen, erzählte eine OP-Schwester. "Ich habe dann das Kabel vom Instrument etwas herausgezogen, damit er nicht mehr schneiden kann", berichtete die Zeugin. Sie habe die Patientin schützen wollen. Ihre Kollegin habe den Chefarzt der Chirurgie zu Hause angerufen.

Kollegen eilen ins Krankenhaus

Der Chefarzt habe den Arzt dann sofort vom OP-Tisch wegbeordert, berichteten die Zeuginnen. Auch der Oberarzt wurde verständigt. Die Anästhesistin wurde vom Chef aufgefordert, bei ihrem Kollegen eine Blut- und Urinprobe zu nehmen. Das Ergebnis: 2,29 Promille waren im Blut des Mediziners.

Seine Kollegen - neben der Anästhesistin war auch der Oberarzt als Zeuge geladen - schilderten ihn vor Gericht als generell sehr kompetenten, freundlichen und souveränen Arzt, der mit minimalinvasiven OP-Methoden bestens vertraut war. Es habe immer Spaß gemacht, mit ihm zu arbeiten.

Die Patientin, die auch als Nebenklägerin auftrat, berichtete, der Chefarzt habe ihr nach dem Aufwachen nur von einem medizinischen Notfall berichtet, später aber eingeräumt, dass sein Kollege betrunken gewesen sei. Die missglückte OP sei halbwegs glimpflich ausgegangen. Sie habe etwa zehn Tage im Krankenhaus gelegen. Es sei gut verheilt, aber ab und zu habe sie noch Schmerzen, sagte die 60-Jährige. "Wenn ich gewusst hätte, dass der Arzt betrunken war, wäre ich wieder von der Liege gesprungen und wäre notfalls in ein anderes Krankenhaus gefahren", sagte sie.

Entschuldigung im Gerichtssaal

Unter anderem auch, weil der Arzt im Berufungstermin doch noch bei seiner Patientin um Entschuldigung bat, reduzierte das Gericht die Haftstrafe um einen Monat. Der Anwalt versprach auch die Zahlung eines Schmerzensgeldes von 3000 Euro. Der Grad der Alkoholisierung sei erheblich gewesen, sagte Richterin Hellmich: "2,2 Promille, das ist kein Kleinkram."

Die Klinik habe sich nach dem Vorfall von dem Arzt getrennt und Anzeige erstattet, sagte eine Unternehmenssprecherin. Er habe mehr als 20 Jahre in dem Haus gearbeitet. Inzwischen hat der Mediziner seinen eigenen Angaben zufolge eine Beschäftigung in einem Krankenhaus im nördlichen Nordrhein-Westfalen.   © dpa

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