Stephanie Wittschier (39) aus Stadtilm in Thüringen hing jahrelang Verschwörungstheorien an. Im Interview erzählt sie, wie der Kontaktabbruch einer Freundin sie zum Umdenken gebracht hat, wie entsetzlich sie sich für ihren Irrglauben schämte und wie sie heute Betroffenen und deren Angehörigen hilft.

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Frau Wittschier, in der Corona-Pandemie haben Verschwörungsmythen Hochkonjunktur. Wie erklären Sie sich das?

Stephanie Wittschier: Vermutlich stößt vielen der Umgang der Politik mit der Pandemie sauer auf. Dann sagen Sie, das sei alles ein Plan der Regierung. Ich habe das sogar in meinem familiären Umfeld gehört – leider.

Sie selbst hatten nie Zweifel an der Existenz des Virus, waren nie versucht zu glauben, Bill Gates habe es in die Welt gesetzt?

Nein, mir war immer klar, dass die Pandemie Fakt und die Geschichte mit Gates absoluter Blödsinn ist. Vielleicht bin ich da inzwischen gewissermaßen immun.

Das war nicht immer so. Sie hingen jahrelang Verschwörungstheorien an. Wie kam das?

Ich hatte schon früh einen Hang zu Verschwörungstheorien. Ich war ungefähr elf Jahre alt, als ich ein Buch über UFOs in die Hände bekommen habe. Das hat mich nicht mehr losgelassen. Fortan habe ich fest daran geglaubt, dass Außerirdische existieren, dass in der Area 51 abgestürzte Raumschiffe lagern und dass die Regierung uns das verheimlicht. Über die Jahre kamen dann Themen wie Bigfoot, Nessie und Stonehenge dazu. Ich habe einige Bücher dazu gelesen, mehr aber auch nicht.

Das klingt harmlos.

Ja, so richtig intensiv wurde es erst ab 2010. Eines Tages habe ich mir mit meinem heutigen Mann eine Doku über 9/11 (Angriffe auf das World Trade Center und das Pentagon am 11.9.2001; Anm. d. Red.) im Fernsehen angesehen, die vermeintliche Ungereimtheiten aufgezeigt hat. Das hat mich neugierig gemacht. Danach habe ich mich an unseren Computer gesetzt und bei Google '9/11 Verschwörung' eingegeben. Im Nachhinein gesehen, war das das Dümmste, was ich machen konnte. Denn das hat mich weiter und weiter in die Welt der Verschwörungsideologien hineingebracht. Dadurch, dass alle Verschwörungsideologien irgendwie miteinander verbunden sind, stürzt man automatisch von einer in die andere.

Gab es deswegen Konflikte mit Freunden oder der Familie?

Ich habe einige Freunde verloren, die mit dem ganzen Verschwörungsblödsinn nichts zu tun haben wollten. Es hat mich sehr mitgenommen, dass sie den Kontakt abgebrochen haben. Damals habe ich das nicht verstanden, ich wollte sie ja nur aufklären. Heute würde ich mit der, die ich damals war, auch nichts zu tun haben wollen.

Welchen Rat haben Sie an Angehörige und Freunde von Verschwörungstheoretikern - wie sollen sie mit Betroffenen umgehen?

Schwierig. Man muss den Ausstieg weitgehend selbst schaffen, da man kaum auf äußere Eindrücke reagiert. Grundsätzlich aber rate ich, sich ruhig mit der Person auseinanderzusetzen und nicht zu sehr gegen alles anzureden. Dabei könnte es zum Streit oder gar zu einem Bruch kommen. Auch Selbsthilfegruppen wie die, die ich zusammen mit anderen auf Facebook gegründet habe, können helfen.

Wie haben Sie den Ausstieg geschafft?

Ich hatte eine beste Freundin in der Verschwörungsszene, die eines Tages – aus meiner Sicht ganz plötzlich – eine 180-Grad-Wendung hingelegt hat. Sie verhielt sich wie ein Skeptiker, stellte in dem Forum, in dem wir unterwegs waren, kritische Fragen und postete Links zu Seiten, die ich für Desinformation hielt. Ich war megaenttäuscht von ihr und wir haben uns total zerstritten, auch, weil meine Enttäuschung irgendwann in Wut übergegangen ist und ich sie sehr hart angegangen bin. Ich hielt sie für eine Verräterin, die unsere Szene kaputt macht. Sie hat dann den Kontakt abgebrochen, was mich monatelang wirklich fertig gemacht hat. Das ließ mich nicht los und weil ich wissen wollte, was in sie gefahren war, habe ich irgendwann auch angefangen, die Dinge zu hinterfragen. Ich habe recherchiert und nach und nach festgestellt, dass meine Freundin recht hatte. Zum Glück. Sonst hätte mich dieser ganze Verschwörungsmist noch in die Psychiatrie gebracht.

Fiel es Ihnen schwer, sich einzugestehen, dass Sie jahrelang an Lügen geglaubt und diese weiterverbreitet haben?

Der Moment, in dem man realisiert, dass man die ganze Zeit komplett auf dem Holzweg gewesen ist, sich zum Affen gemacht hat, Zeit und Geld verschwendet hat für hanebüchenen Unsinn und wohin dieser hanebüchene Unsinn einen fast gebracht hätte, ist wirklich schrecklich! Man fühlt sich wie ein kompletter Idiot und schämt sich dermaßen, dass man sich am liebsten in ein Loch verkriechen möchte. Ich bin mir sicher, dass viele Verschwörungsideologen schon einmal an dem Punkt waren, wo sie realisiert haben, dass sie falsch liegen, sich dann aber wieder in die Verschwörungsszene geflüchtet haben, weil sie nicht zugeben konnten, welchem Irrtum sie aufgesessen sind.

Sind andere nach Ihrem Ausstieg ähnlich rüde mit Ihnen umgegangen, wie Sie damals mit ihrer Freundin?

Wie hart mein Verhalten für sie gewesen sein muss, wurde mir erst klar, als man mich selbst fertig gemacht hat, nachdem ich meinen Ausstieg öffentlich gemacht hatte. Ich habe sogar Morddrohungen bekommen und bekomme bis heute welche.

Vermutlich auch, weil Sie heute eine Website betreiben, die sich der Aufklärung von Verschwörungstheorien verschrieben hat.

Ja, natürlich. Aber davon lasse ich mich nicht abschrecken. Zumal es auch viel positive Resonanz gibt. Wir bekommen viele Mails von besorgten Menschen, deren Freunde oder Verwandte in die Szene zu rutschen drohen oder schon tief drinstecken. Die schätzen unsere Arbeit.

Stephanie Wittschier betreibt die Homepage dielockereschraube.de und eine dazugehörige Facebook-Seite, die sie hier aufrufen können. Ziel ihrer Initiative ist, über Verschwörungsmythen aufzuklären und Anlaufstelle für Hilfesuchende zu sein.
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