- Eine Anwältin aus Rio de Janeiro verteidigt die großen Chefs der Drogengangs.
- Ihre Tätigkeit halten viele für moralisch bedenklich - aber auch Schwerverbrecher haben ein faires Verfahren verdient.
Manchmal zeigt sie sich im Bikini am Strand. Manchmal auch einfach die Detailansicht ihrer frisch gestylten Augenbrauen. Eines ist klar: Die Blondine auf den Fotos genießt das Leben. Man kommt nicht auf Anhieb darauf, dass sich hinter dem Instagram-Account der einer Strafverteidigerin verbirgt.
Ihr Name: Flávia Pinheiro Fróes. Ihr Job: in Rio de Janeiro diejenigen vor Gericht zu verteidigen, die viele am liebsten ein Leben lang hinter Gittern sähen - die Drogenbosse der großen Kartelle Comando Vermelho (CV), Amigos dos Amigos (ADA), Terceiro Comando und PCC. Seit einigen Jahren verteidigt sie auch die Bosse der kriminellen Milizen.
Ihren Job macht sie schon seit mehr als 20 Jahren und die schweren Jungs zahlen gut. Sehr gut sogar. Glaubt man den wenigen Medienberichten, die bislang über Flávia Fróes erschienen sind, verlangt sie von den großen Fischen mindestens 120.000 Euro pro Nase. Klingt nach einem einträglichen Geschäft. Aber ist es auch ein sauberes?
Die Frage, an der die Anwältin polarisiert, ist so alt wie die Juristerei selbst: Ist es moralisch verwerflich, Menschen, die für das Leid anderer verantwortlich sind, vor Gericht zu verteidigen?
Drogen und Gewalt sind neben der Korruption das größte Geschwür der Gesellschaft
Drogen und Gewalt lassen in Brasilien das Geld fließen - sie verursachen aber auch sehr viel Leid. Neben Korruption sind sie das größte Geschwür der brasilianischen Gesellschaft. Bekommt das Justizsystem einen Drogendealer in die Finger, wird ihm daher der Prozess gemacht – ob ihm dabei grundlegende Rechte zugestanden werden, ist zweitrangig.
"Die Behandlung von Gefangenen in Brasilien ist das Symptom einer schweren moralischen und sozialen Krankheit", erklärt Flávia Fróes unserer Redaktion und verdeutlicht ihren Standpunkt: "Wenn mit dem Geld, das aus dem illegalen Handel stammt, Schönheitschirurgen, Autos oder andere Waren bezahlt werden, wird der Arzt oder wer auch immer das Geld bekommt nicht wegen der Herkunft des Geldes kriminalisiert." Bei Anwälten, die unterprivilegierte Mandanten verteidigen, geschehe dies aber schon - dann werde sofort kritisch hinterfragt, aus welchen Quellen das Honorar stammt. Interessanterweise passiere das aber nicht bei Anwälten, die Politiker verteidigen, die zuvor Millionenbeträge aus öffentlichen Kassen veruntreut haben.
Machismo prägt die Gesellschaft nach wie vor
Viele halten Fróes' Mandanten für gefährlich - sie selbst aber nicht. "Es ist merkwürdig, dass viele denken, ich hätte mit 'Bestien' zu tun", erzählt sie. Doch ihre Kritiker würden die Lage überschätzen. Ihre Mandanten seien "Menschen mit Schwächen wie wir".
Die brasilianische Gesellschaft ist machistisch geprägt. Männer haben oft das Sagen – in den Büros, in der Politik, auf der Straße und auch in den Drogengangs und den Milizen. Frauen sind oft bestenfalls schmückendes Beiwerk.
Flávia Fróes wird von den Gangs hingegen akzeptiert und respektiert. Ihre Mandanten sucht sie oft alleine in den Favelas auf, unbewaffnet und ohne Personenschutz fährt sie in die Armenviertel. Angst hat sie nicht. "Ich sehe keine Gefahr in der Arbeit, die ich seit 25 Jahren mache. Auch nicht, wenn ich extrem faschistische Teile der Polizei und des öffentlichen Dienstes hier verärgere. Ich gehe überall hin. Die Angst beherrscht nicht meine Gedanken", sagt sie. "Gefährlich ist das Schweigen im Angesicht der Ungerechtigkeit."
Auch davor, irgendwann einem Mandanten durch zu viel Wissen gefährlich werden zu können, hat sie keine Angst. "Ich bin ein Instrument, das ihre Rechte und ihre Menschenwürde garantiert, die ihnen von Brasilien verweigert wurden, einem der größten Verletzer von Menschenrechten."
Herkunft entscheidet oft, wie die Justiz mit Personen umgeht
Das ist nicht der einzige Zwiespalt, in dem sie sich befindet. Das vielleicht größte Dilemma der brasilianischen Justiz ist die Justiz selbst. Denn wie ein Amt, eine Behörde, ein Gericht mit einer Person umspringt, hängt in Brasilien erheblich von der Herkunft der Person ab.
So fänden es viele Menschen grundsätzlich in Ordnung, dass Drogendealer unmenschlich behandelt werden, weil sie ja mutmaßlich schlimme Verbrechen begangen haben, erklärt sie die Logik. "Das Essen, das Recht, mit den Familienmitgliedern zusammen zu sein - alles wird relativiert. Da ist es schwierig, den Menschen zu erklären, dass die Strafe nur die Freiheit des Einzelnen berauben soll, ohne seine menschliche Würde zu beeinträchtigen." Oder anders: Auch Kriminelle haben ein Recht auf einen menschenwürdigen Umgang.
Brasilianische Justiz ist kaum gerecht
Aber auch Fróes stößt an Grenzen. "Selbst mit meiner Arbeit bekommen wir nicht immer faire Prozesse", sagt sie. Die Justiz in Brasilien folge schon lange der Politik. Man habe unlängst in der Operation Lava Jato, den größten Korruptionsermittlungen Südamerikas, die besondere Beziehung zwischen Staatsanwälten und den "Helden-Richtern" beobachten können. "Wenn heute die Absprachen eines Prozesses aufgedeckt werden, der den politischen Kurs des Landes verändert hat, nimmt man leicht wahr, was meine Mandanten jeden Tag am eigenen Leib erfahren: Richterlicher Aktivismus ignoriert Beweise, Elemente und Verfahrensgarantien, wenn es Interessen außerhalb des Prozesses gibt."
Mehr als 20 Jahre schon ist Flavia Fróes als Strafverteidigerin aktiv. Sie stammt aus dem Stadtteil Tijuca in der Nordzone Rio de Janeiros. Der frühere Glanz des Stadtteils mit Bossa-Nova-Clubs ist lange verblasst. Seit die Metropole sich immer weiter gen Süden und ins Hinterland frisst, ist Tijuca ein Stadtteil der Mittelklasse.
Angefangen hat sie Ende der 1990er Jahre als junge Anwältin, die ein Praktikum im Gefängnis absolvieren musste. Evaristo de Moraes lautet der Name des Knasts in Tijuca, im Volksmund "Galpao da Quinta", die "Hütte von Quinta". Das Galpao ist ein Knast wie die meisten in Brasilien: chronisch überbelegt, mit überproportional vielen jungen und schwarzen Insassen. Viele von ihnen waren im Drogenmilieu aktiv; kleine Dealer, die einsaßen, ohne dass ihnen ein ordentlicher Prozess gemacht worden war. Fróes begann, diese Männer zu verteidigen. Wie am Fließband.
Ihr erstes Schwergewicht verteidigte sie 1999: Jorge Zambi, besser bekannt als "Pianinho" vom Comando Vermelho, dem "Roten Kommando", Rios größtem Drogenkartell. Danach wurden Kollegen Zambis auf sie aufmerksam.
Fróes gerät selbst ins Visier der Staatsanwaltschaft
Dass sie sich mit ihrer Arbeit nicht nur Freunde macht, ist klar. 2010 geriet sie selbst ins Visier der Staatsanwaltschaft. Der Vorwurf: Sie habe mit den Kriminellen gemeinsame Sachen gemacht und Informationen aus dem Gefängnis geschmuggelt. Eine Retourkutsche, davon ist sie überzeugt, denn vorher hatte sie in einem anderen Fall Polizeigewalt angeprangert. Sie tauchte zunächst unter, konnte aber später ihre Unschuld beweisen.
Die Arbeit hat sie verändert. Aus einer jungen Faschistin wurde eine Menschenrechtsaktivistin, sagte sie einst einem Modemagazin. Inzwischen sieht sie sich als linke Aktivistin. Auch wegen des Spruchs "Nur ein toter Bandit ist ein guter Bandit" - ein alter Spruch in Brasilien, der aber 2018 unter dem gewählten rechtsradikalen Populisten Jair Bolsonaro ein Comeback feierte.
Seit 2002 engagiert sie sich im Instituto Anjos da Liberdade, dem Institut Engel der Freiheit. Dort bieten Anwälte Opfern von häuslicher Gewalt, Drogenopfern und Indigenen juristischen Beistand und kämpfen für deren Rechte. Inzwischen ist Fróes Vize-Präsidentin des Instituts, das auch eng mit der brasilianischen Ärztekammer zusammenarbeitet.
Wen Fróes nicht verteidigen würde
Wer übrigens denkt, Fróes sei wenig wählerisch bei der Auswahl ihrer Mandanten, irrt. Sie hat Prinzipien. So würde sie Präsidentensohn Flávio Bolsonaro, der bis zum Hals in Untreuevorwürfen steckt und engste Kontakte zu den kriminellen Milizen zu pflegen scheint, nicht verteidigen. "Ich verteidige jeden, aber wegen offensichtlicher politischer Meinungsverschiedenheiten müsste ich den Fall ablehnen - in der Hoffnung, dass er einen guten Anwalt hat und dass seine Rechte mit einem ordentlichen Verfahren und in Form des Gesetzes respektiert werden", sagt sie und erwähnt, dass sie gegen den Präsidenten selbst eine Klage beim Internationalen Strafgerichtshof eingereicht hat.
Zudem hat sie den zweiten Antrag auf ein Amtsenthebungsverfahren, das gegen Bolsonaro vorliegt, verfasst. "Die Politik Bolsonaros hat die wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten der Comunidades (Favelas, Anm. d. Red.) noch verschärft. Der Mangel an Managementkapazitäten hat den ärmsten Teil der Bevölkerung weiter geplättet."
In den Favelas gibt es aber noch die Bande der kollektiven Solidarität, die aus dem späten Ende der Sklaverei entstanden sind. "Was viele den Populismus der Schlepper nennen, heißt dort Solidarität, kollektives Denken", erklärt Fróes.
Verwendete Quellen:
- Instagram-Account von Flavia Pinheiro Froes
- Institut "Anjos da Liberdade"
- revistamarieclaire": Flávia Pinheiro Fróes, a advogada do tráfico
- "Diaro de Noticias": Exclusivo Flávia Fróes. Quem é a advogada preferida dos traficantes de droga do Rio de Janeiro
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