Der Kampf gegen die Fluten in Österreich hält auch am Dienstagnachmittag Zehntausende in Atem. Es zeigt sich aber auch großartige Solidarität. Eine Familie erzählt von den dramatischen Stunden.

Mehr Panorama-News

Die Szene ist filmreif. Die 93-jährige Oma wird in einen Sessel gesetzt, dann packt die ganze Familie an und trägt die Seniorin über das Wasser im Erdgeschoss in den ersten Stock. "Sie hat das mit Humor getragen", sagt der 71-jährige Martin Gölß. Die Familie aus Kapelln bei Wien gehört zu den Tausenden, die in Österreich von dem sintflutartigen Regen und dem folgenden Hochwasser schwer getroffen wurden.

Das zum reißenden Strom angeschwollene Flüsschen Perschling hat das schmucke Haus der Gölß's in dem 1.300-Seelen-Ort in kürzester Zeit unter Wasser gesetzt. Die Wärmepumpe, die erst vor einem halben Jahr installierte Photovoltaik-Anlage, die hochkarätige Werkstatt im Keller und die Autos - alles kaputt. Martin Gölß rechnet mit einem Gesamtschaden von 100.000 Euro.

Hoffen auf den Katastrophenfonds

Für die Familie ist es nicht der erste Wasserschaden. Aber so schlimm wie dieses Mal war es noch nie. Selbst die 93-jährige Oma könne sich an nichts Vergleichbares erinnern, sagt Gölß. Beim letzten Schaden habe die Versicherung 8.000 Euro erstattet. Nun hofft der 71-Jährige, dass zumindest ein weiterer Zuschuss aus dem Katastrophenfonds des Bundes kommen wird. Dort liegen nach Angaben von Kanzler Karl Nehammer 300 Millionen Euro zur Beseitigung der Schäden bereit. Das Land Niederösterreich und der Bund gaben am Dienstag 75 Millionen Euro Soforthilfe frei.

Große Solidarität zu spüren

Privatsender und der öffentlich-rechtliche ORF senden seit Tagen fast ununterbrochen aus dem Katastrophengebiet. Bei den Zuschauern setzt sich der Eindruck fest: Das Leid, das menschliche und das finanzielle, löst meist keine Resignation aus.

Hochwasser in Österreich
Soldaten des österreichischen Bundesheeres helfen bei Aufräumarbeiten. © Bmlv/Daniel Trippolt/BUNDESHEER/APA/dpa

Das Motto nach dem ersten Schock: Anpacken! Die Solidarität und die gegenseitige Hilfe sind enorm. Arbeitgeber hätten ihren Beschäftigten freigegeben, um sich um ihr Haus oder um andere Menschen zu kümmern, lobt die Ministerpräsidentin Niederösterreichs, Johanna Mikl-Leitner.

Auch in Kapelln haben die Menschen Nachbarschaftshilfe erfahren. Als nichts mehr zu retten war, sei sie mit ihrem Hund von einem vorbeifahrenden Traktor mitgenommen worden und habe bei Nachbarn ohne Weiteres ein Zimmer bekommen, erzählt eine junge Frau. "Jeder, der nicht betroffen ist, hilft. Das ist schon Gold wert".

Wiederaufbau wird wohl Monate dauern

Das größte Rückgrat der Flutbekämpfung und der akuten Hilfe sind die oft gut ausgebildeten und ausgerüsteten freiwilligen Feuerwehren in den Gemeinden.

Martin Gölß (l) und sein Neffe Alexander Kratschmar-Kienböck säubern einen Teppich, der während des Hochwassers im Haus gelegen hatte. © picture alliance/dpa/Christoph Reichwein

33.000 Helfer, meist Mitglieder dieser ehrenamtlichen Kräfte, waren bisher im Einsatz, wie es vonseiten des Landes heißt. Auf sie setzen Bund und Land auch beim wohl monatelangen Wiederaufbau. Insgesamt sind in Österreich 350.000 Menschen Mitglied bei einer freiwilligen Feuerwehr.

Der Zeitpunkt der Flut könnte durchaus politische Folgen haben. In zehn Tagen wählt Österreich ein neues Parlament. Kanzler Nehammer hat versucht, den Kümmerer und Krisen-Manager zu geben. Für die rechte FPÖ, die bisher in Umfragen führt und den Klimawandel leugnet, könnte die Naturkatastrophe zur Unzeit gekommen sein.

Die Gölß's gehen ihre Zukunft jedenfalls mit einer großen Portion Pragmatismus an. "Man schaut, was man retten kann, der Rest wird weggeschmissen. Und dann hofft man, dass so etwas nie wieder passiert", sagt Martin Gölß. (dpa/bearbeitet von phs)

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.