An mehr als jeder vierten Schule in Deutschland hat es laut einer Umfrage des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) in den vergangenen fünf Jahren Gewalt gegen Lehrkräfte gegeben. Dazu kommen: Beleidigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen - nicht nur von Schülern, sondern auch von Eltern. Der Schulalltag sei härter geworden, sagt der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann.
Herr Beckmann, der VBE hat schon mehrere Studien zu Gewalt gegen Lehrer in Auftrag gegeben. Bei einer Befragung im Jahr 2016 gaben knapp zwei Drittel der Lehrkräfte an, dass Gewalt an Schulen in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Sie haben viel mit Lehrern zu tun, kennen ihren Alltag. Wovon berichten sie Ihnen?
Udo Beckmann: Erst kürzlich hat mir ein Lehrer erzählt, dass er das Heft eines Schülers einsammeln wollte, um dessen Arbeit zu kontrollieren, und, als der das nicht wollte, von dem Schüler ins Gesicht geschlagen wurde.
Ein anderer Lehrer wollte zwei sich prügelnde Schüler trennen, woraufhin ihm einer der Schüler auf den Kopf schlug. Schlagen, treten, spucken - das passiert regelmäßig, auch schon an Grundschulen.
Und das war noch vor ein paar Jahren seltener der Fall?
Ja. Es gibt Studien, wonach zehn Prozent der Schüler eines Jahrgangs inzwischen unter psychischen Beeinträchtigungen leidet, die Zahl der Kinder mit emotional-sozialen Entwicklungsstörungen - früher sagte man "verhaltensauffällige Kinder" - hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre von 45.000 auf fast 90.000 verdoppelt.
Viele von ihnen wissen nicht, wie man mit Gefühlen wie Aggression umgeht. Die Situation an einer Schule ist ja schon besonders: Es kann Stress mit den anderen Kindern geben, es gibt Leistungsdruck und möglicherweise Versagensängste.
Woran liegt es denn, dass viele Kinder damit offenbar nicht umgehen können?
Oft ist es die familiäre Situation. Wenn es zum Beispiel Gewalt in der Familie gibt oder das Gefühl, sozial abgehängt zu sein. Zudem haben wir pro Jahr rund 200.000 Fälle von schwerem Kindesmissbrauch in Deutschland. Aber es muss nicht immer Gewalt sein.
Es reicht eine Trennung der Eltern, die Verlustängste erzeugt. Manche Kinder fühlen sich in so einer Situation alleingelassen, und werden unter Umständen auch tatsächlich mit ihren Gefühlen alleine gelassen - und können deswegen schlechter mit ihnen umgehen.
Liegt es also am Elternhaus, wenn die Kinder in der Schule ausfallend oder sogar gewalttätig werden, oder ist auch manchmal die Ansprache der Lehrer falsch?
Natürlich kann auch ein Lehrer mal den falschen Ton treffen. Aber es hat ja nicht nur das Mobbing von Schülern gegen Lehrer zugenommen, sondern auch der Eltern. Wenn Eltern mit einer Note nicht einverstanden sind, die das Kind bekommen hat, kommt es inzwischen häufiger vor, dass sie gegenüber dem Lehrer verbal ausfällig oder gar handgreiflich werden oder gleich mit dem Anwalt drohen.
Auch die Sprache verroht zusehends. Die Schule ist da meiner Meinung nach ein Spiegel der Gesellschaft. Es kann aber nicht sein, dass die Gesellschaft ihre Probleme in der Schule ablädt.
Was sollte getan werden, damit sich der Umgang verbessert?
Schulen und Eltern brauchen mehr Unterstützung. Viele Eltern nehmen ja auch Ratschläge an, oder sehen ihre eigene Überforderung und wenden sich an die Jugendhilfe. Die haben aber so wenig Personal, dass Eltern oft wochenlang auf einen Termin warten müssen.
Schulsozialarbeiter und Schulpsychologen könnten eine gute Rolle spielen, um Konflikte zu lösen. Allerdings kommen derzeit auf einen Schulpsychologen 6.000 Schüler, das sind viel zu viele. Mehr Unterstützung könnte auch von den Schulbehörden kommen.
Sie sollten Lehrkräften zum Beispiel helfen, wenn diese rechtlich gegen Eltern oder Schüler vorgehen wollen. Bislang wird so etwas aber eher abgeblockt.
Udo Beckmann ist Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). Seit 1987 ist er zudem ständiges Mitglied im Hauptpersonalrat für Lehrerinnen und Lehrer an Grund- und Hauptschulen beim Schulministerium des Landes NRW. Zurzeit ist er stellvertretender Vorsitzender des Hauptpersonalrates Hauptschule.
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