Die lebenslange Freiheitsstrafe ist das härteste Strafmaß im deutschen Strafrechtssystem. Doch bedeutet "lebenslang" wirklich, dass man ein Leben lang im Gefängnis sitzt? Wann spricht man von besonderer Schwere der Schuld – und in welchen Fällen droht Tätern eine Sicherheitsverwahrung? Ein Blick auf die unterschiedlichen Strafmaße in Deutschland.

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In den vergangenen Jahren haben wiederholt Gewaltdelikte Deutschland erschüttert, bei denen unschuldige Menschen auf brutale Weise ihr Leben verloren. Doch während einige Täter nie wieder in Freiheit leben werden, werden andere nach wenigen Jahren aus der Haft entlassen. Wie ist das möglich?

Maßgeblichen Einfluss auf das Urteil haben das angewandte Strafrecht, die spezifischen Umstände der Tat und die Feststellung, ob eine besondere Schwere der Schuld vorliegt.

Das Jugendstrafrecht

In Deutschland gilt das Jugendstrafrecht für Minderjährige im Alter von 14 bis 17 Jahren. Primäres Ziel ist nicht die Bestrafung, sondern die Erziehung und Resozialisierung der jungen Straftäter. Für Angeklagte, die zum Tatzeitpunkt zwischen 18 und 20 Jahre alt sind, wird je nach ihrem individuellen Reifegrad entschieden, ob sie nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden.

Ein Beispielfall: In der Nacht vom 13. auf den 14. Oktober 2012 wird Jonny K. am Berliner Alexanderplatz Opfer eines brutalen Angriffs. Er will bei einem Streit mit einer Gruppe junger Männer einem Freund helfen, wird zusammengeschlagen, erleidet schwere Kopfverletzungen und stirbt. Onur U., der als Haupttäter gilt, ist mittlerweile längst wieder auf freiem Fuß. Der zum Tatzeitpunkt 19-Jährige wird wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Ebenso wie bei zwei Mittätern wird bei ihm das Jugendstrafrecht angewandt, das Urteil fällt entsprechend milder aus.

Das Mindestmaß einer Jugendstrafe beträgt sechs Monate, das Höchstmaß in der Regel fünf Jahre. Bei besonders schweren Verbrechen, für die nach dem Erwachsenenstrafrecht eine Freiheitsstrafe von mehr als zehn Jahren droht, kann die Jugendstrafe jedoch auf bis zu zehn Jahre erhöht werden.

Lebenslange Freiheitsstrafe

Eine lebenslange Freiheitsstrafe kann nur bei Anwendung des Erwachsenenstrafrechts verhängt werden, der oder die Angeklagten müssen zum Tatzeitpunkt mindestens 18 Jahre alt gewesen sein.

Ein Beispielfall: Am 16. Januar 2004 wird in Schöten (Thüringen) eine 35-jährige Frau auf dem Weg zur Arbeit mit sieben Schüssen aus einer Pistole getötet. Wer der Täter ist, ist lange unklar. Erst nach vielen Jahren wird dieser "Cold Case" wieder aufgerollt, am 11. Dezember 2024 wird das Urteil gesprochen. Den Mord, so ist das Gericht überzeugt, gibt der heute 62 Jahre alte Ehemann in Auftrag, der damals finanzielle Folgen aus einer drohenden Scheidung fürchtet.

Er zahlt für den Auftragsmord 30.000 Euro an den späteren Todesschützen. Sowohl der Ehemann als auch der heute 47 Jahre alte Täter werden zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Die Staatsanwaltschaft beantragt für den Schützen zusätzlich die besondere Schwere der Schuld, diese verhängt das Gericht aber nicht.

Mord, besonders schwere Fälle des Totschlags und Völkermord führen nach deutschem Recht in der Regel zu lebenslangen Freiheitsstrafen. Aber auch bei anderen schweren Straftaten wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Vergewaltigung mit Todesfolge kann dieses Strafmaß verhängt werden.

Trotz des Begriffs "lebenslang" ist die Möglichkeit einer vorzeitigen Haftentlassung gesetzlich vorgesehen: Gemäß Paragraf 57a des Strafgesetzbuchs kann die Strafe nach mindestens 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden.

Lebenslange Freiheitsstrafe und besondere Schwere der Schuld

Die Möglichkeit einer vorzeitigen Haftentlassung wird erheblich erschwert, wenn die besondere Schwere der Schuld festgestellt wird, das Verbrechen beispielsweise besonders grausam ist oder aus niederen Beweggründen wie Rache, Neid, Habgier oder reiner Mordlust verübt wird. In solchen Fällen verbringen Täter häufig 20 Jahre oder mehr im Gefängnis, bevor eine Prüfung auf Bewährung überhaupt in Betracht kommt.

Ein Beispielfall: Am frühen Morgen des 31. Januar 2022 erschießt Andreas S. in Kusel (Rheinland-Pfalz) eine Polizistin und einen Polizisten, nachdem diese in seinem Fahrzeug illegal erlegtes Wild entdecken. Das Gericht erkennt bei S. das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht: Durch den Tod der Beamten habe er erreichen wollen, dass die Wilderei und sein illegaler Waffenbesitz unentdeckt bleiben.

Da S. die verwundeten Polizisten aus nächster Nähe mit Kopfschüssen hinrichtet, stellt das Gericht außerdem die besondere Schwere der Schuld fest. Der vorsitzende Richter spricht von mindestens 20 oder 25 Jahren, die S. hinter Gittern bleiben wird. Erst dann wird der Verurteilte einen Antrag auf Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung stellen können.

Lebenslange Freiheitsstrafe, besondere Schwere der Schuld und Sicherungsverwahrung

Deutschlandweit für Bestürzung sorgt auch der Doppelmord von Herne. Am 6. März 2017 tötet Marcel H. den neunjährigen Jaden F. mit 52 Messerstichen. Kurz darauf sticht er 68 Mal auf den 22 Jahre alten Autisten Christopher W. ein und erdrosselt ihn. Laut psychologischem Gutachten ist der zum Tatzeitpunkt 19-jährige H. voll schuldfähig, bei ihm wird zudem das Erwachsenenstrafrecht angewandt.

Am 31. Januar 2018 verurteilt das Landgericht Bochum Marchel H. wegen zweifachen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und stellt zusätzlich die besondere Schwere der Schuld fest. Zudem behalten sich die Richter vor, H. später in Sicherungsverwahrung unterzubringen.

Dies bedeutet, dass er möglicherweise bis zu seinem Lebensende in einer Justizvollzugsanstalt oder einer spezialisierten Einrichtung verbleiben wird.

Lebenslange Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung ohne besondere Schwere der Schuld

Theoretisch ist es möglich, dass Täter nach verbüßter Freiheitsstrafe ohne Feststellung der besonderen Schwere der Schuld in Sicherungsverwahrung verbleiben. In der Praxis kommt dies jedoch nur selten vor.

Ein Beispiel könnte ein Sexualmord an einem Erwachsenen sein, bei dem der Täter im Affekt handelt und eine Persönlichkeitsstörung aufweist, die das Risiko weiterer schwerer Straftaten erhöht.

Sicherungsverwahrung kann auch angeordnet werden, wenn in der letzten Haftphase neue Gefährlichkeitsprognosen vorliegen, die die Notwendigkeit dieser Maßnahme nahelegen. Besonders relevant ist dabei Paragraf 66b des Strafgesetzbuchs, der eine nachträgliche Sicherungsverwahrung ermöglicht, wenn Anhaltspunkte für eine erhebliche Gefährlichkeit des Täters entdeckt werden.

Konzept der Sicherungsverwahrung in der Kritik

Im Mai 2011 entscheidet das Bundesverfassungsgericht, dass die deutsche Regelung zur Sicherungsverwahrung in bestimmten Fällen nicht mit höherrangigem Recht, insbesondere der Europäischen Menschenrechtskonvention, vereinbar ist. Daraufhin tritt 2013 eine Neuregelung in Kraft, die die Sicherungsverwahrung als präventive Maßnahme deutlich von Strafen abgrenzt. Sie darf nur verhängt werden, wenn eine konkrete Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit vorliegt und ist ausschließlich auf der Grundlage eines therapeutischen Konzepts zulässig.

Ziel der Sicherungsverwahrung ist es, die Resozialisierung der Straftäter zu fördern und gleichzeitig die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen. Eine zeitliche Begrenzung existiert nicht, ihre Fortdauer wird jedoch regelmäßig von einem Gericht überprüft.

Die Sicherungsverwahrung wird bis heute aus verschiedenen Gründen kritisch betrachtet – etwa wegen der lebenslangen Stigmatisierung und der dauerhaften Einschränkung der Freiheit der Betroffenen. Kritiker sehen in ihr eine "Strafe nach der Strafe", auch wenn sie juristisch nicht als solche gilt. Denn die Sicherungsverwahrung wird nicht aufgrund einer begangenen Tat angeordnet, sondern auf Basis einer Gefährlichkeitsprognose.

"Die Untergebrachten bezeichnen sie als eine Strafe für Taten, die sie noch gar nicht begangen haben. Und man kann hinzufügen: meistens auch gar nicht begehen würden", bemängelt die Juristin Christine Graebsch in einem Beitrag für "nd-aktuell.de".

Kritisch hat sich auch Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminologie in Tübingen, vor einigen Jahren in einem bei "Der Freitag" erschienenem Artikel zu diesem Thema geäußert und dabei einen weiteren Grund angeführt: "Aus Furcht, bei einem Rückfall an den Pranger gestellt zu werden, halten die meisten Gutachter und Gerichte die Täter für gefährlicher als sie sind."

Verwendete Quellen

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