Vor dem 75. Gründungstag der Nato hat die langjährige Bündnismitarbeiterin Stefanie Babst strategische und militärische Defizite der Allianz kritisiert. Gut zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs habe die Nato "keinen strategischen Plan", sagte Babst der Nachrichtenagentur AFP. "Wir brauchen eine Debatte über das grundsätzliche Verhältnis zu Russland, das über die eigene Abschreckung und Verteidigung hinausgeht", sagte die ehemalige leitende Mitarbeiterin im internationalen Nato-Stab.

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Die Allianz müsse überlegen, wie sie "den russischen Expansionismus in Europa wirkungsorientiert eindämmen" könne, sagte Babst, die bis 2020 in leitender Funktion im Nato-Generalsekretariat tätig war. Gegenüber der Ukraine bekunde das Bündnis zwar, "so lange wie nötig" Unterstützung zu leisten. Aber was das konkret bedeute, werde "in keiner Weise ausbuchstabiert".

Dies liegt nach Einschätzung von Babst "vor allem am mangelnden Interesse in Washington und in Berlin". Zu Beginn der russischen Invasion habe US-Präsident Joe Biden vorgegeben, die Nato dürfe nicht zur Kriegspartei werden und keine Soldaten in die Ukraine schicken. "Diese Parameter nutzt Russlands Präsident seit mehr als zwei Jahren gnadenlos aus, denn er weiß, dass seine Truppen auf dem Schlachtfeld keinen anderen begegnen werden als denen der Ukraine", sagte die Politologin weiter.

"Das Mindeste ist, dass wir Putin im Unklaren über unsere Absichten und nächsten Schritte lassen", sagte sie. Diese "strategische Ambiguität" habe nun Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit der Bodentruppen-Diskussion ins Spiel gebracht. Die Debatte sei zwar stark verkürzt, Macrons Äußerungen seien dennoch "ein wichtiges strategisches Signal", betonte Babst.

Sie kritisierte in diesem Zusammenhang Deutschland für eine "Eskalationsvermeidung mit Russland". Berlin müsse die "Deeskalationsrhetorik beenden", forderte die frühere Nato-Mitarbeiterin. "Bundeskanzler Olaf Scholz sollte zudem aufhören, Deutschland immer als Musterschüler darzustellen. Das kommt bei den Verbündeten nicht besonders gut an."

Mit Blick auf die zunehmende China-Orientierung der USA und eine mögliche Wiederwahl von Ex-Präsident Donald Trump müsse zudem der europäische Pfeiler im Bündnis dringend gestärkt werden, sagte Babst weiter. "Gegenwärtig und auch mittelfristig sind die Europäer nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen." Auch Deutschland habe noch "einen ganzen Katalog von Dingen" zu tun. In die von Scholz ausgerufene "Zeitenwende" müsse "viel mehr Dampf rein, viel mehr Energie", forderte die Politologin.  © AFP

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