Im Prozess gegen Sprintstar Oscar Pistorius ist der Angeklagte während des Verhörs erneut unter Tränen zusammengebrochen. Der Staatsanwalt verstrickt den "Blade-Runner" mit bohrenden Fragen immer wieder in Widersprüche. Nach wie vor kreist der Prozess um den Vorwurf der "Absicht" - hat Pistorius Reeva Steenkamp versehentlich erschossen oder war es Mord?

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Es wird immer noch um die Frage gestritten, ob Oscar Pistorius gezielt auf seine Freundin Reeva Steenkamp geschossen hat oder nicht. Oscar Pistorius bleibt bei seiner Darstellung, in der Tatnacht einen Einbrecher im Haus vermutet zu haben. Deswegen habe er zur Waffe gegriffen und durch eine Tür ins Bad gefeuert. Dabei wurde Steenkamp viermal getroffen und tödlich verletzt.

Diese Darstellung bezweifelt Staatsanwalt Gerrie Nel. Durch eine emotionale und intensive Befragung versucht er Pistorius immer wieder aus der Reserve zu locken - und es gelingt ihm.

Oscar Pistorius bricht erneut in Tränen aus

"Ich holte meine Waffe unter dem Bett hervor, aus dem Holster, sagte Reeva, sie solle in Deckung gehen und wendete mich dem Gang zu", versucht Pistorius das Geschehene wiederzugeben. "Die Waffe war schussbereit?" fragt Nel und streckt dabei seine Faust in Richtung des Angeklagten. "Ja", ist die kleinlaute Antwort des Sprint-Stars. Was hat Pistorius in der Tatnacht gesagt, will Nel wissen. "Get the fuck out of my house" (dt. "Hau verdammt noch Mal aus meinem Haus ab"), erwidert Pistorius und bricht in Tränen aus. Das Gericht unterbricht die Sitzung zu ersten Mal.

Nach 20 Minuten Pause geht die Befragung weiter. Staatsanwalt Nel springt wild in Protokollaussagen umher - immer mit dem Ziel den Sprint-Star in Widersprüche zu verstricken. Hat Pistorius den Arm mit der Waffe in der Hand ausgestreckt und gezielt oder eine andere Haltung eingenommen? Der "Blade Runner" schwankt in seinen Aussagen, gibt aber immer wieder an, dass er nichts verschweige, er füge lediglich hinzu. Dann platzt Nel der Kragen: "Sie wissen sehr genau, was sie getan haben, Mister Pistorius: Sie haben die Waffe genommen und auf Reeva geschossen", sagt Staatsanwalt Gerrie Nel. Dann bricht Oscar Pistorius in Tränen aus. Bereits zum zweiten Mal an diesem Verhandlungstag. Die Verhandlung wird wieder unterbrochen.

Warum gab es nur vier Schüsse?

Nach gut 30 Minuten Unterbrechung geht der Prozess weiter. Die Verteidigung wirft der Staatsanwaltschaft eine unlautere Wiederholung der Fragen vor. Pistorius habe bereits in den vergangenen Tagen auf die Fragen geantwortet. Die Vorsitzende Richterin lässt die Befragung aber weiterhin zu. Nel bohrt weiter: "Sie haben nie gesagt: 'Ich bin bewaffnet, ich werde schießen?'". "Korrekt, ich hatte Angst, dass der Angreifer mit Gewalt darauf reagiert.", lautet die Antwort. "Sie haben der Person in der Toilette keine Chance gegeben. Sie haben einfach gefeuert?" - "Korrekt."

Es entbrennt eine längere Diskussion um die Schussfolge. Nel will wissen, warum Pistorius, wenn er in Angst war und aus einem Reflex heraus handelte, nicht das ganze Magazin entleert habe, warum er keinen Warnschuss zuvor abgegeben habe. Pistorius' Antwort "Ich bin mir nicht sicher" befriedigt ihn nicht. Es fällt auf, dass die Antworten des Sprintstars sehr selektiv ausfallen. In manchen Fällen ist er sehr detailliert informiert. Wenn es um die Tat selbst geht, klaffen allerdings große Erinnerungslücken. Das fällt auch dem Staatsanwalt auf: "Sie haben ein Geräusch gehört und deswegen geschossen. Sie haben auf die Badtür geschossen, weil ihre Waffe in diese Richtung gezeigt hat. Es war also Glück, dass Sie in die richtige Richtung feuerten, nachdem Sie das Geräusch..." Pistorius fällt Nel ins Wort: "Wie kann man von 'Glück' sprechen, wenn jemand gestorben ist?" Man spürt, dass der Angeklagte wieder den Tränen nahe ist. Das Gericht unterbricht die Verhandlung daraufhin erneut.

"Warum werden Sie emotional?"

Etwa 25 Minuten später nimmt das Gericht die Verhandlung wieder auf. Weiter geht es um den Ablauf des Abends. Pistorius verstrickt sich nach Ansicht der Staatsanwaltschaft in weitere Widersprüche. Der Ton wird rauer. Nel will klare Antworten von Pistorius, der Sprintstar fängt wieder an zu schluchzen. "Warum werden Sie emotional? Wir haben nicht über Reeva gesprochen", maßregelt der Staatsanwalt den "Blade Runner". Pistorius entgegnet ihm weinend: "Doch, wir haben über Reeva gesprochen." Diese Antwort kauft der Staatsanwalt dem Angeklagten nicht ab: "Sie sind emotional, weil sie so frustriert über die Widersprüche sind." Mit diesen Worten beantragt er die Unterbrechung des Prozesses für heute.

Viele Aussagen des heutigen Tages lassen Pistorius in keinem guten Licht erscheinen. Er wirkt aufgewühlt, weinerlich, erinnert sich nicht an wichtige Details der Tatnacht. Dann wieder stellt er sehr spezifische Nachfragen zu Zeugen, Vorwürfen oder Beweisen. Zudem verstrickt er sich immer wieder in Widersprüche. Bislang allerdings hat er wenig zur Aufklärung des Falls beigetragen. Staatsanwalt Nel wirkt entschlossen, teilweise etwas zu hart. Allerdings stellt er die wichtigen Fragen: Warum haben Sie geschossen? Warum nur vier Schüsse? Warum kein Warnschuss? Und auf diese Fragen bleibt Pistorius eine Antwort schuldig - stattdessen gibt es Tränen.

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